KURIER: Frau Präsidentin, die aktuelle Debatte über Pensionisten ärgert Sie. Halten Sie die Kritik, dass Österreichs Pensionssystem nicht nachhaltig genug aufgestellt ist, tatsächlich für ungerechtfertigt?
Ingrid Korosec: Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, dass sich nichts ändern soll. Argumente sollten aber faktisch und sachlich stimmen. Wenn behauptet wird, das Pensionssystem sei nicht mehr finanzierbar und Pensionisten sich zunehmend für eine Pension, die sie sich „verdient“ haben rechtfertigen müssen, ist das Pensionisten-Bashing. Das verunsichert Senioren und auch die Jugend. Unser System ist grundsätzlich ein sehr gutes.
Weil es ungerechtfertigt ist. Dass Österreich die private und betriebliche Säule nicht forciert hat, war ein Fehler, stimmt. Das gehört geändert. Aber dass die Pensionen nicht sicher sind, höre ich seit Jahrzehnten. Schon 1959 hat die Neue Österreichische Tageszeitung geschrieben, dass unser Sozialstaat jeden Moment zusammenbricht.
Das Hauptargument ist kein Systemkollaps, sondern, dass zu hohe Ausgaben für Pensionen andere, wichtige Investitionen blockieren.
Dann muss man einmal genau definieren, was der Pensionszuschuss überhaupt ist. In unserem System wird die Armutsbekämpfung zu den Pensionen gerechnet. Aber die Ausgleichszulage oder Wiedereingliederungs- und Rehableistungen oder Präsenz- und Zivildienst haben nichts mit der Pension zu tun. 25 Prozent der Ausgaben für gesetzliche und Beamten-Pensionen gehören eigentlich nicht in den Pensionstopf.
WIFO, Fiskalrat, Rechnungshof und Ihr Vorgänger in der Alterssicherungskommission, Walter Pöltner, warnen dennoch vor den steigenden, staatlichen Kosten. Liegen die alle falsch?
Nein. Warnen ist schon ok, aber nicht Panik verbreiten. Es ist einfach die Wahrheit, dass sechs von 26 Milliarden keine Pensionskosten sind. Die Pension ist eine Versicherungsleistung und die Durchrechnung ist die gerechteste Lösung. Der wichtigste Faktor, um eine gute Pensionspolitik zu betreiben, ist eine gute Wirtschaftspolitik. Damit unsere Produktivität hoch bleibt, müssen wir die Arbeitswelt anpassen.
Arbeiten ist momentan in der Freizeitgesellschaft junger Leute nicht so „In“. Das kann ich bei der schwierigen Perspektive auch oft verstehen. Man hat viel versäumt. Wir brauchen mehr Flexibilität statt „one-size-fits-all“. Ich appelliere seit 40 Jahren dafür, dass Kindergärten im ländlichen Bereich ausgebaut werden, damit Frauen mehr Vollzeit statt Teilzeit arbeiten können.
Männer gehen aktuell mit rund 62, Frauen mit 60 Jahren in Pension. Das sind Werte wie 1970, obwohl wir mehr als zehn Jahre länger leben als damals. Was spricht dagegen, das gesetzliche Pensionsalter auf 67 Jahre anzuheben?
Das ist eine zu einfache Lösung und unfair, weil sie vorrangig diejenigen trifft, die bis zum Antrittsalter arbeiten. Zuerst müssen wir daher einmal unsere Hausaufgaben machen und uns dem gesetzlichen Antrittsalter von 65 Jahren nähern. Das allein würde uns jährlich zehn Milliarden Euro im Budget bringen. Das Frauenantrittsalter wird bis 2033 gesetzlich angepasst.
Ist das schnell genug?
Es könnte schneller gehen, aber das ist jetzt so. Gleichzeitig hat die Regierung 4,5 Milliarden Euro für Kindergärten genehmigt. Unsere Frauen sind bestens ausgebildet, haben in manchen Bereichen mehr Studienabschlüsse als die Männer. Dieses Potenzial muss man nutzen.
Wer früher in Pension geht, hat Abschläge von 5,1 Prozent pro Jahr. Wer länger arbeitet, Boni von 4,2 Prozent. Sie wollten das ändern, passiert da noch was?
Das wurde mir zugesagt und ich hoffe, es funktioniert heuer noch. Ich sehe nicht ein, dass der Bonus niedriger ist als der Malus. Man sollte beides auf mindestens sechs Prozent erhöhen – gerne noch höher.
Wer über das Antrittsalter hinaus arbeitet, soll zudem keine Pensionsversicherungsbeiträge mehr zahlen. Gibt es in beiden Punkten positive Signale von den Grünen?
Ja, aber ich bin gelernte Österreicherin und warte einmal auf den Beschluss (lacht). Bei den Pensionsbeiträgen kann ich mir übrigens auch steuerliche Absetzbeträge als Alternative vorstellen. Man muss es nur tun. Wir haben derzeit einen Expertenpool an Seniorinnen und Senioren, der brach liegt. Dabei ist es für viele Senioren eine Freude, länger zu arbeiten. Auch für mich, sonst wäre ich ja nicht hier.
Welche Schuld tragen Betriebe, dass die meisten Senioren diese Option nicht haben?
Es wird besser, aber in vielen Betrieben fehlt immer noch die Wertschätzung für erfahrene Arbeitskräfte. 56 Prozent der Frauen gehen von der Arbeitslosigkeit in Pension, weil sie nach der Kindererziehung vermeintlich zu alt waren für einen Karrieresprung. Bei der Arbeitsmedizin sind wir sowieso noch im vorigen Jahrhundert. Da wird gemessen, ob der Tisch hoch genug ist, aber die psychischen Probleme, die wegen der raschen Arbeitswelt zunehmen, ignoriert man.
Wann kommt das automatische Pensionssplitting?
Das wäre jederzeit machbar, aber es gibt Widerstände der Grünen, was unverständlich ist.
Sie sind seit 2016 Seniorenbundpräsidentin. Seitdem wurden die Pensionen fünfmal über dem gesetzlichen Wert angepasst. Das kostet langfristig Milliarden. War man zu sorglos?
Wie gesagt, das war immer Armutsbekämpfung. Übrigens auch auf Kosten jener, die immer alle Pensionsbeiträge gezahlt, aber nicht die volle Inflationsanpassung bekommen haben.
Was das Versicherungsprinzip verzerrt…
Die Halbierung der Armut steht im Regierungsprogramm. Daher war ist es Aufgabe der Regierung, etwas zu tun. Das ist richtig und wichtig.
Die nächste Pensionsanpassung wird wohl noch vor der Nationalratswahl beschlossen. Wird es ein Wahlzuckerl geben?
Pensionsanpassung ist kein Wahlzuckerl. Dass zumindest die Inflationsrate mit der Pensionsanpassung abgegolten wird, steht für mich immer außer Frage.
Apropos Bashing: Haben Sie schon einen pensionistenfeindlichen Wahlkampf erlebt? Erst 2019 gab es ja eine besonders kräftige Pensionserhöhung.
Das war die legendäre Casino-Nacht. So etwas unterstütze ich nicht.
Pensionssystem
Laut Finanzministerium fließen heuer 25,5 Milliarden Euro des Bundesbudgets ins Pensionssystem – das ist ein Viertel der staatlichen Einnahmen von 98 Milliarden. 2027 ist es laut Prognosen ein Drittel: 35 von 111 Milliarden.
Mercer-Studie
Österreichs Pensionssystem ist wenig nachhaltig: Zu diesem Ergebnis kam eine Studie des Mercer Instituts 2022. Im Vergleich mit 43 Staaten landete Österreich auf Platz 33.
Pensionserhöhung
Laut Neos Lab verursachen Pensionsanpassungen der vergangenen fünf Jahre, die über dem gesetzlich vorgeschriebenen Wert lagen, bis 2040 Mehrkosten von 10,5 Milliarden Euro.
Die gebürtige Böheimkirchnerin (NÖ) und ausgebildete Volkswirtin, startete ihre Polit-Karriere 1983 als Gemeinderätin in Wien. 1986 wechselte sie in den Nationalrat,war von 1991 bis 1995 ÖVP-Generalsekretärin. Danach war Korosec sechs Jahre Volksanwältin, bevor sie in den Wiener Gemeinderat zurück wechselte. Die 82-Jährige ist seit 2016 Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes. Sie hat sich dem Kampf gegen Altersdiskriminierung verschrieben, ist bekannt für bunte Kleidung und betreibt rege Medienarbeit.
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