Nach ÖVP-Ankündigung: Was aus Nehammers 100 neuen Arztstellen wurde
Mitten im Hochsommer ist die Debatte um die angekränkelte öffentliche Gesundheitsversorgung neu aufgeflammt. ÖGK-Obmann Andreas Huss und Vorarlbergs AK-Vizepräsidentin Manuela Auer fordern wie berichtet eine umfassende Reform des Kassensystems, um den akuten Mangel an Kassenärzten zugunsten der stetig wachsenden Zahl an Wahlärzten zu beseitigen.
Bei der ÖVP sieht man keinen Handlungsbedarf. Mit dem Finanzausgleich gebe es 1,5 Milliarden Euro für den niedergelassenen Bereich, außerdem habe man die angekündigten zusätzlichen 100 Kassenstellen „zur Umsetzung gebracht“, betont Gesundheitssprecher Josef Smolle.
Die neuen Stellen wurden vor genau einem Jahr im Sommerministerrat von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angekündigt. Entstehen sollen sie vor allem in den Mangelfächern Gynäkologie, Kinder- und Jugendheilkunde sowie Allgemeinmedizin. Als Anreiz für Interessenten ist ein Starterbonus über 100.000 Euro vorgesehen.
Zwölf Monate, zwölf Stellen
Tatsächlich aufgesperrt haben aber erst wenige, wie eine Bestandsaufnahme zwölf Monate später ergibt. „Mit Stand 1. Juli wurden zwölf Ärzte in Vertrag genommen“, sagt eine Sprecherin der ÖGK zum KURIER.
Fächer
Die 100 Kassenstellen sollen in den Fächern Allgemeinmedizin, Kinderheilkunde, Gynäkologie, (Kinder-)Psychiatrie, Augenheilkunde sowie Dermatologie entstehen.
Verteilung
Sie richtet sich nach der Bevölkerungszahl der Bundesländer – von 22 in Wien bis drei im Burgenland.
Zwischenbilanz
Von den zwölf bereits besetzten Stellen befinden sich laut ÖGK drei in NÖ, je zwei in OÖ, der Steiermark und Tirol, je eine in Salzburg, Vorarlberg und Wien.
Im August soll eine weitere Stelle folgen – eine Ordination für Kinder- und Jugendheilkunde im Burgenland. „Weitere Invertragnahmen sind voraussichtlich mit Beginn des vierten Quartals per 1. Oktober zu erwarten“, kündigt die ÖGK-Sprecherin an. Dass man jedenfalls auf dem richtigen Weg sei, illustriert sie an einem Beispiel: In Vorarlberg habe sich sogar eine bisherige Wahlärztin dazu entschlossen, eine Kassenordination zu übernehmen.
195 Bewerbungen
Die neuen Kassenstellen wurden vorab entsprechend der Bevölkerungszahl auf die Bundesländer verteilt. Bei der ÖGK ist man mit der Nachfrage durchaus zufrieden: „Bisher wurden 70 der 100 Stellen ausgeschrieben. Für 63 Stellen gab es insgesamt 195 Bewerbungen.“ Aktuell laufe noch eine weitere Ausschreibung in Kärnten.
Es geht aber nicht nur um reine Einzelordinationen: Sollten Ärzte an einer Kooperation mit anderen Kollegen interessiert sein, unterstütze man sie dabei, sich zu vernetzen, heißt es bei der ÖGK. „Dadurch können bestehende Stellen, Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten personell ausgeweitet werden.“
Anders als früher hat die Ärztekammer bei der Schaffung der neuen Stellen kaum etwas mitzureden. Wohl mit ein Grund, dass Vizepräsident Edgar Wutscher an der Aktion der Bundesregierung und der ÖGK kein gutes Haar lässt. Die geringe Zahl an bisher realisierten neuen Kassenstellen würde zeigen: „Allein die Ankündigung einer Förderung über 100.000 Euro reicht nicht, um mehr Ärzte ins Kassensystem zu bringen. Dieses muss insgesamt viel attraktiver gemacht werden“, ist der für die niedergelassenen Ärzte zuständige Kurienobmann überzeugt.
Als Beispiele nennt er eine Flexibilisierung bei den Ordi-Öffnungszeiten, was vor allem Ärztinnen mit Kleinkindern entgegenkommen würde. Weiters einen Abbau der Bürokratie.
Das aktuelle Projekt sei falsch aufgesetzt, kritisiert Wutscher. Es werde bei der Verteilung der neuen Stellen zu wenig auf den tatsächlichen regionalen Bedarf geachtet. „In einem Tiroler Ort etwa kommt eine zusätzliche hinzu, obwohl die Versorgung dort schon sehr gut ist.“
Mehr Ärzte ins Kassensystem soll eine weitere Maßnahme bringen: Geht es nach Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), wird mit einem modernisierten und bundesweit einheitlichen Gesamtvertrag (er regelt die Abrechnung zwischen Ärzten und Kassen) der Job des Kassenarzts künftig deutlich attraktiver werden.
Die Verhandlungen laufen zäh. Die Ärztekammer sträubt sich etwa gegen pauschalisierte Honorierungen. In einem solchen System habe laut Wutscher der Arzt kein Interesse, den Patienten öfter als einmal zu Gesicht zu bekommen, da dies genüge, um zu seinem Geld zu kommen. Wann es zu einer Einigung kommt, ist völlig offen.
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