Eldorado für Wahlärzte
Dass Kassenstellen in kleinen Orten oft Ladenhüter sind, wundert niemanden mehr. Aber in der Landeshauptstadt? Grundsätzlich ist das Angebot opulent, 118 niedergelassene Mediziner wirft die Suchmaschine der Ärztekammer für die Freistadt aus. Meist Wahlärzte, nicht wenige arbeiten auch im Spital.
Was sagt die Ärztekammer zum Praktikerproblem in Eisenstadt? Direktor Thomas Bauer plädiert dafür, „die Kirche im Dorf zu lassen“, selbst in der Bundeshauptstadt gebe es dieses Problem. Er hat aber auch eine Erklärung, warum Kassenarztstellen im Burgenland über die Maßen schwer zu vermitteln sind.
Jahrzehntelang war das Verhandlungs-Visavis der Kammer die „arme“ Gebietskrankenkasse mit geringeren Tarifen für medizinische Leistungen. Mittlerweile sind die Gebietskrankenkassen der Bundesländer durch die ÖGK abgelöst, ein einheitlicher Leistungskatalog lässt aber noch auf sich warten. Manche meinen, Ärztekammern in Bundesländern mit höheren Tarifen hätten gar keine Freude mit einer Vereinheitlichung, weil sie eine Angleichung nach unten fürchten.
Das Geld sei nicht ausschlaggebend für den Mangel an Kassenärzten, sagt hingegen Allgemeinmediziner Andreas Paul zum KURIER. Sondern überbordende Bürokratie, die in Kombination mit steigenden Patientenzahlen auf Kosten der Behandlungsqualität gehe.
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Paul ist einer der fünf verbliebenen Allgemeinmediziner mit ÖGK-Vertrag in Eisenstadt. Er sei „Praktiker mit Leib und Seele“, aber seit Jahren gehe es in Praxen „weg vom Menschen, hin zum Papier“.
„Dokumentationitis“
Weil die Angst vor Fehlern immer größer werde, „müssen wir wie die Trottel dokumentieren“, klagt Paul. Dabei ist der Mediziner eigentlich, was man neudeutsch resilient nennt: Vor 22 Jahren hat er die Praxis übernommen, damals kamen auf eine Kassenstelle noch vier, fünf Bewerber, er musste seinem Vorgänger den Kundenstock ablösen. Davor war Paul in der Unfallambulanz des Eisenstädter Krankenhauses, flog als Notarzt im Christophorus – und ist staatlich geprüfter Berg- und Skiführer. „Vermutlich der Einzige, der im Burgenland lebt“, lacht Paul.
Ein zäher Bursche also.
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Dennoch trägt sich der 61-Jährige mit dem Gedanken, Mitte 2024 als Kassenmediziner aufzuhören und als Wohnsitzarzt ohne eigene Praxis weiterzuarbeiten.
Wenn sich für Dr. Böhm kein Nachfolger finde, würden dessen Patienten zu den verbliebenen Praktikern strömen. Für Paul nicht mehr machbar. Denn selbst mit sechs Allgemeinmedizinern mit ÖGK-Vertrag sei Eisenstadt unterbesetzt. Rechnet man 2.000 Patienten pro Arzt, bräuchte die Landeshauptstadt acht Kassenstellen. Zuletzt waren es sechs, seit voriger Woche fünf.
Würde er demnach heute nicht mehr praktischer Arzt werden? „Doch, doch, sofort“, entgegnet Paul.
Aber nicht mehr unter diesen Bedingungen.
Im Süden sind alle Kassenstellen besetzt
Knapp vor Weihnachten wurde im Nationalrat mit den Stimmen von ÖVP und Grünen – und zum Teil auch der SPÖ – die jüngste Gesundheitsreform beschlossen. Darin enthalten ist auch ein Ausbau der Primärversorgungszentren (PVZ). PVZ werden immer wieder als Lösung gerade für den ländlichen Raum angepriesen, weil Mediziner und andere Gesundheitsberufe unter einem Dach versammelt sind und nicht die ganze Last auf den Schultern eines Arztes oder einer Ärztin liegt.
Im Burgenland gibt es bisher kein PVZ, aber im südlichsten Burgenland etwas Vergleichbares: das Gesundheitsnetzwerk Raabtal.
Das Gesundheitsnetzwerk wurde 2019 von Allgemeinmedizinern der Region als Pilotprojekt gegründet. Heute arbeiten sechs Mediziner und acht weitere Gesundheitsexperten (von Psychotherapie über Diätologie bis Logopädie) zusammen. In den fünf Raabtal-Gemeinden Mogersdorf, Weichselbaum, Jennersdorf, St. Martin/Raab und Minihof-Liebau werden 9.000 Einwohner an fünf Tagen die Woche versorgt. Das Besondere des als Verein organisierten Netzwerks: Die Mediziner sind auf drei Hausarztpraxen verteilt, außerdem gibt es drei Therapiestandorte.
Damit hätten die Patienten auch weiterhin den persönlichen Bezug zu „ihrem“ Hausarzt, sagt Vereinsobmann Dr. Ernst Eicher: Das Netzwerk soll „die hausärztliche Versorgung in unserer Region aufrechterhalten und das Gesundheitssystem weiterentwickeln“. Im Bezirk Jennersdorf sei „keine Kassenstelle unbesetzt“, sagt Eicher nicht ohne Stolz. Nächster Schritt: Vom Pilotprojekt zum Regelbetrieb.
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