Österreich ist neutral – und beinahe wehrlos

Österreich ist neutral – und beinahe wehrlos
Die Neutralität bleibt für die Politik ein Tabuthema. Von einer wehrhaften Neutralität wie in der Schweiz ist Österreich aber meilenweit entfernt.

Sie sei "elegant" und "schön", sagt Alexander Van der Bellen über die Bundesverfassung. Und zumindest was das Neutralitätsgesetz angeht, trifft der Befund wohl zu.

Denn selbst juristische Laien können ohne Anstrengung verstehen, wozu sich die Republik vor fast 67 Jahren im Artikel I verpflichtet hat: Die "Neutralität" und das Staatsgebiet seien "mit allen zu Gebote stehenden Mitteln" zu "verteidigen".

Politisch wird über die Neutralität in diesen Tagen vermehrt diskutiert, doch inhaltlich ist die Lage unverändert: Da die Mehrheit der Österreicher meint, die Neutralität sei eine gute Sache, haben sich die Regierungsparteien und namhafte Vertreter der Opposition festgelegt, dass an der Neutralität nicht gerüttelt werden soll. Daran ändert auch der zügig anlaufende NATO-Beitritt der neutralen bzw. paktfreien EU-Nachbarn Schweden und Finnland wenig.

"Österreich war, ist und bleibt neutral", hat Kanzler Karl Nehammer erst am Dienstag festgehalten – und weder der Koalitionspartner noch Vertreter der größten Oppositionspartei SPÖ lassen Zweifel daran aufkommen, dass sie das genau so sehen.

Die Tatsache, dass sich die institutionalisierte Politik nicht einmal zu einer Debatte über die Neutralität geschweige denn über deren Abschaffung verleiten lässt, beantwortet eine, wenn nicht die zentrale Frage aber noch nicht, nämlich: Erfüllt Österreich überhaupt sein in der Verfassung abgegebenes Versprechen, die Neutralität "mit allen zu Gebote stehenden Mitteln" zu schützen?

Stehen wir etwa gleich gut da wie die benachbarte Schweiz, die seit mehr als 200 Jahren neutral ist?

Österreich ist neutral – und beinahe wehrlos

Schweizer Neutralität ist "keine leere Hülle"

Experten wie Politikwissenschafter Franz Eder von der Universität Innsbruck würden das verneinen, mehr noch: Für Eder ist die nun laufende Debatte "scheinheilig", weil Österreich im Unterschied zur Schweiz sehr vieles unterlässt, um das Konzept einer eigenständigen und wehrhaften Neutralität mit Leben zu erfüllen.

"Die Schweizer haben ein klares Konzept, die Neutralität ist dort keine leere Hülle", sagt Eder zum ORF.

Mit rund fünf Milliarden Euro Wehrbudget geben die Eidgenossen de facto doppelt so viel für ihre Armee aus wie Österreich; und während Österreich die verpflichtenden Miliz-Übungen 2006 abgeschafft hat, trainiert die Schweiz ihre Miliz-Soldaten ständig, "um rasch auf trainierte Streitkräfte zurückgreifen zu können" (Eder).

Wie desperat der Zustand des Bundesheeres ist, das hat der frühere Verteidigungsminister Thomas Starlinger in seinem schonungslosen Leistungsbericht "Unser Heer 2030" aufgeschlüsselt.

Aus dem 67 Seiten starken Dokument geht hervor, dass das Bundesheer einfach in allen Bereichen dramatischen Aufholbedarf hat: Egal ob Nachtsichtgeräte für Soldaten, technische Upgrades für die alten Leopard-Panzer oder EDV für Cybersoldaten: im Bundesheer fehlt es an allen Ecken, um den verfassungsmäßigen Auftrag langfristig erfüllen zu können.

Dieses Problem, dass Österreich beides nicht ist, also weder bei der NATO noch in der Lage, sich selbstständig zu verteidigen, betrachten mittlerweile auch Vertreter der Koalition als Problem.

Gerade weil Österreich von NATO-Ländern umgeben und daher relativ sicher sei, müsse es sich in anderen politischen Feldern viel mehr engagieren, erklärte am Mittwoch der europapolitische Sprecher der Grünen, Michel Reimon. Bei der Sicherheitspolitik sei man zum "Trittbrettfahrer" geworden.

Das passt nicht mit der Verfassung zusammen und könnte langfristig ein Politikum werden. Dann nämlich, wenn die EU-Nachbarn fragen: "Was bekommen wir dafür, dass wir unsere Armeen so ausrüsten, wie es Österreich eigentlich selbst tun müsste?"

Kommentare