Öffnungsschritte: Die Auferstehung vor Ostern rückt näher
„Ein Lockdown, bei dem keiner mitmacht, hat wenig Sinn“, sagte Kanzler Sebastian Kurz kürzlich der Bild. Ein Hoffnungsschimmer für Gastro und andere geschlossene Bereiche. Die Marschrichtung der Volkspartei scheint klarer zu werden: Es soll mittels Freitesten weitere Öffnungsschritte geben. Aber wann? Der KURIER hat auf allen Seiten nachgefragt. Erste Vorschläge liegen auf dem Tisch.
Dagegen spricht: Es gibt immer mehr Neuinfizierte. Am Donnerstag wurden rund 2.400 neue positive Fälle gemeldet. Zudem ist die südafrikanische Corona-Variante kein Tiroler Spezifikum mehr, sondern auch in Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg angekommen. Wiederum stabil bleibt die Belegung der Spitals- und Intensivbetten.
Die Wirtschaft drängt vehement auf weitere Freiheiten. Die hohen Infektionszahlen seien zu einem erheblichen Teil den vielen Testungen geschuldet, argumentierte Harald Mahrer (ÖVP), Präsident der Wirtschaftskammer, bei einem „Öffnungsgipfel“, der den gesamten Donnerstag in Anspruch nahm. Mahrer forderte „eine Perspektive“. Die Gastro freut’s, Veranstalter fühlen sich weiterhin vernachlässigt, Virologen sind skeptisch.
Karlheinz Kopf, WKÖ-Generalsekretär, schlug ein Datum für Öffnungen vor: den 15. März. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner stößt ins gleiche Horn. Einen detaillierteren Öffnungsplan, mit Daten für unterschiedliche Branchen ab März, haben die Neos. Und die Regierung?
Sie hatte sich ja auf 1. März vertagt. Dann folgt das nächste Treffen mit Experten, Sozialpartnern und Ländern. Zumindest ein Teil der ÖVP drängt bereits auf eine Auferstehung vor Ostern.
"Mit Tests ist alles möglich" - WKO pocht auf Öffnung
ÖVP-Landeschefs, Neos und Wirtschaft werden ungeduldig
Dass hochrangige, ÖVP-nahe Wirtschaftsvertreter massiv Druck für eine rasche Öffnung machen, ist nicht neu – dass nun aber erste türkise Landeschefs die eigene Bundesregierung zum Handeln auffordern, kam dann doch überraschend.
Mit der niederösterreichischen Landeschefin Johanna Mikl-Leitner spricht sich eine mächtige ÖVP-Politikerin dafür aus, weitere Branchen zu öffnen: Die Gastronomie solle Mitte März wieder aufsperren, sagt Mikl-Leitner. Und zwar ungeachtet der Infektionszahlen: „Der Tunnelblick nur auf Infektionen ist ein unvollständiger“, sagt Mikl-Leitner. Wenig später kam Schützenhilfe von ihrem Amtskollegen Thomas Stelzer (ÖVP) aus Oberösterreich: „Zu- und Wegsperren sei weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich verkraftbar“, sagt er.
Sie sind auf einer Linie mit Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP), der am Donnerstag bei einem eilig einberufenen „Öffnungsgipfel“ auf einen Stufenplan gepocht hat. „Was nicht geht, ist keine Perspektive“, sagt Mahrer, der zahlreiche Interessensvertreter zur virtuellen Konferenz zusammengetrommelt hat. Gastro-Obmann Mario Pulker pocht auf eine Öffnung der Wirtshäuser am 15. März und glaubt, dass bis zu 70 Prozent der Betriebe mitziehen werden. Für alle wird sich das nicht rechnen – Stichwort ausbleibende Touristen, geschlossene Grenzen.
Ein Thema, das auch Reisebüros trifft: Markus Martinek vom Familienunternehmen Sato Tours fordert differenziertere Reisewarnungen. Derzeit gelte für die meisten Länder Warnstufe 6. „So kann man keine Reise verkaufen“, sagt Martinek. Und das, obwohl die Österreicher laut Verkehrsbüro-Chefin Helga Freund „so reisehungrig wie noch nie sind“. Branchensprecher Gregor Kadanka bezeichnet die Quarantänebestimmungen als „Tod der Branche“. „Keiner ist bereit, nach einer Reise fünf oder zehn Tage in Quarantäne zu gehen.“ Die Lösung könnte der grüne Pass für Geimpfte, Genesene und Getestete sein.
Unterstützung für rasche Öffnungen kommt von den Neos. Sie präsentierten einen „4-Stufen-Öffnungsplan“. Ab 6. März solle Schritt für Schritt geöffnet werden – zuerst Kultur und Unis, eine Woche später Sportplätze und Schanigärten, gefolgt von den Hotels. Zu Ostern sollen Gastro und Fitnesscenter aufsperren. Ist das clever, zumal zu Ostern viele Besucher in Lokalen zu erwarten wären? Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker: „Es ist besser, mit Tests in Lokale zu dürfen, als ohne Test Familienfeiern zu Hause zu veranstalten.“
Viele Forscher sehen die Öffnung skeptisch, aber nicht alle: Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien will Sportvereine für Kinder und Jugendliche so rasch wie möglich öffnen. Und zwar nicht nur im Freien, sondern auch in Hallen. Die Sportverbände wird es freuen: Bei ihnen ist das Unverständnis, dass Hallen- und Mannschaftssport verboten sind, groß. Für heute, Freitag, haben hunderte Fußballvereine Proteste angemeldet.
In einem sind sich – fast – alle Befürworter der Öffnung einig: Es brauche ausgeklügelte Sicherheitskonzepte – von der Maskenpflicht bis zu Tests als Eintrittsvoraussetzung etwa in der Gastro.
Anders sieht das nur die FPÖ: Sie will nicht nur aufsperren, „solange es noch etwas gibt, das aufzusperren ist“, sagt FPÖ-Klubchef Herbert Kickl. Die Blauen sind zudem gegen „Masken-, Impf- und Testzwang“.
Medizinerinnen und SPÖ-Granden mahnen zu Vorsicht
Während sich die Stimmen aus Wirtschaft, Kultur und Sport mehren, die sich für eine Öffnung aussprechen, zeigen sich vor allem Wissenschafter skeptisch.
Tatsächlich steigen die Infektionszahlen wieder – zuletzt auf mehr als 2.000 pro Tag –, die Südafrika-Mutation hat mittlerweile sieben Bundesländer erreicht.
„Aus heutiger Sicht ist der Zeitpunkt extrem ungünstig, um über weitere Öffnungsschritte nachzudenken“, sagt die Epidemiologin Eva Schernhammer von der MedUni Wien. „Ich sehe das mit Sorge, weil ja auch die Datenlage zu den neuen Virusvarianten derzeit noch sehr unklar ist.“
Natürlich könne man versuchen, die Öffnungen sicher zu gestalten, mit Tests und weiteren flankierenden Maßnahmen: „Aber deswegen werden die Infektionsfälle nicht weniger werden – das sollten sie aber. Man sollte sich nicht erwarten, dass man jetzt öffnet und dann die Fallzahlen wie durch Magie plötzlich zurückgehen.“
Wären schon alle älteren Menschen über 70 Jahren und alle Risikogruppen geimpft, „könnte man ein bisschen lockerer über Öffnungsschritte nachdenken“ und auch höhere Fallzahlen in Kauf nehmen: „Aber so weit sind wir noch nicht“, sagt Schernhammer. „Es wäre sehr wünschenswert, wenn das Impfen ein bisschen schneller ginge.“
Virologin Monika Redl-berger-Fritz, die ebenfalls an der MedUni Wien forscht, mahnt Geduld ein: Eine definitive Aussage, ob weitere Öffnungsschritte aus virologischer Sicht vertretbar seien oder nicht, sei erst unmittelbar vor der Öffnung möglich, sagt Redlberger-Fritz.
„Für Öffnungen am 15. März ist die Datenlage jetzt noch nicht klar genug. Die tatsächliche Situation sieht man erst unmittelbar davor. Ich verstehe, dass die Branchen eine Vorlaufzeit benötigen. Aber die Pandemie gibt uns diese nicht“, sagt Redlberger-Fritz.
Bis Mitte März könne sich die Situation in die eine oder die andere Richtung entwickeln. Sie sei dann für eine Öffnung, wenn die Gesamtsituation stabil ist und die südafrikanische Variante mit Sicherheit lokal eingeschränkt ist: „Jetzt einen Freibrief für den 15. März zu geben, ist aus virologischer Sicht nicht möglich – da kann man maximal eine Woche nach vorne schauen.“
Und natürlich, sagt Redl-berger-Fritz, bleibe die Frage, was in der Bevölkerung überhaupt durchsetzbar sei: „Hier muss die Politik abwägen und entscheiden.“
Ginge es nach SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, wäre die Antwort klar: Die Oppositionsführerin, die selbst einige Zeit als Virologin tätig war, mahnt zur Vorsicht, wenn es um weitere Öffnungsschritte geht. Die aktuellen Infektionszahlen würden ein Anlass zu großer Sorge sein, sagt Rendi-Wagner zum KURIER.
Darum dürften bei Betrieben und Konsumenten keine falschen Hoffnungen geweckt werden: „Stattdessen ist die Regierung gefordert, die Infektionen unter Kontrolle zu bekommen.“ Das sei besonders hinsichtlich der ansteckenderen Virusvarianten erforderlich.
Auch der mächtigste SPÖ-Landeschef, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, zeigt sich zurückhaltender als seine Kollegen aus anderen Bundesländern: Ludwig könne sich vorstellen, dass zumindest die Schanigärten bald wieder öffnen dürfen. Vor dem Treffen mit Kanzler und Experten am Montag wolle man aber keine Forderungen stellen.
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