Obsorge: Auch Psychoterror gilt bald als Gewalt

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Die Justizministerin will den Gewaltbegriff im Gesetz erweitern
An der Wand hängt eine Kinderzeichnung. Sie überdeckt ein Loch, das der Vater im Zorn mit der Faust hineingeschlagen hat. Knapp neben dem Gesicht der Mutter. Diese Szene stammt aus der Netflix-Serie „Maid“.
Ähnliches kennt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Frauenhäuser, auch aus der Realität. „Das ist besonders raffiniert. Vor Gericht, im Obsorgestreit, sagen Männer dann: Was denn? Ich habe sie nie direkt geschlagen.“ Vor Gericht zählen nur „harte Fakten“ – blaue Flecken oder Knochenbrüche.
Justizministerin Alma Zadić will das ändern. Im Rahmen der geplanten Reform des Kindschaftsrechts soll der Gewaltbegriff um psychische und ökonomische Gewalt erweitert werden (der KURIER berichtete). So sollen Väter, die Psychoterror machen, in ihren Kontaktrechten eingeschränkt werden – auch, wenn sie nie zugeschlagen haben. Und Mütter umgekehrt genauso.
Österreich setzt damit die Istanbul-Konvention um. Darin haben sich die EU-Staaten 2011 zu Maßnahmen gegen jede Form von häuslicher Gewalt verpflichtet.
Ähnlich wie Frauenrechtlerin Rössl-humer sieht es Alexander Haydn von der Männerberatung Wien, wo der Gewaltbegriff schon jetzt sehr breit ausgelegt wird: „In unseren Trainings machen wir Männern klar, dass es falsch ist, wenn sie einmal zugeschlagen haben, dass es aber genauso falsch ist, wenn sie ihre Frau 99 Prozent der Zeit psychisch fertigmachen.“ Eifersucht, Kontrollwahn, Herabwürdigung oder auch Machtmissbrauch, indem Frauen die Bankomatkarte weggenommen wird, nennt er als Beispiele.
Körperliche Wunden, so Haydn, verheilen rasch. Seelische brauchen oft ein Leben lang – nur seien diese juristisch schwieriger zu fassen. Hier liege auch das Problem der geplanten Reform, sagt Familienrechtsexpertin Barbara Beclin: Psychische Gewalt sei ein „volatiles Kriterium“.
Beclin schlägt vor, eine Erheblichkeitsschwelle einzuziehen, damit nicht jede Äußerung des jeweils anderen Elternteils im Pflegschaftsverfahren angeführt wird. „Sonst könnte die Konsequenz sein, dass noch häufiger Sachverständige herangezogen werden, deren Gutachten das Verfahren bestimmen, aber nicht immer nachvollziehbar sind.“
Schon jetzt gebe es ein massives Problem mit überlangen und teuren Rechtsstreits um Obsorge und Unterhalt. Auch ein Schauplatz, an dem Frauen vom Ex-Partner „systematisch zermürbt und finanziell ausgeblutet werden“, sagt Rösslhumer.
Die von der Justizministerin geplante Reform müsse den Frauen mehr Luft verschaffen, nicht zusätzlichen Ärger machen. Entsprechend kritisch sieht sie den Plan, dass die Obsorge bei der Geburt des Kindes automatisch auf Mutter und Vater aufgeteilt wird, auch wenn diese nicht verheiratet sind. Bei der Trennung könnte der biologische Vater seine Rechte jederzeit einfordern – ob er nun eine Beziehung zum Kind hat oder nicht.
Nächster Kritikpunkt: Die Koppelung des Unterhalts an die Betreuungszeit. Väter müssen weniger zahlen, wenn sie sich zu mehr Betreuung verpflichten. Das stimme meist aber nur auf dem Papier, sagt Rösslhumer. Diesen Punkt findet auch Haydn heikel – man mache damit eine weitere Baustelle auf, die zu Streit führt. Im Vordergrund sollte das Recht des Kindes auf Kontakt zu den Eltern stehen.
Für solche Einwände ist noch Zeit: Die Reform soll im Frühjahr in Begutachtung geschickt werden.
Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hat sich vergangene Woche für eine Kindergrundsicherung ausgesprochen. Die Basis bildet die neue Kinderkostenanalyse der Statistik Austria, die zeigt, wie viel ein Kind im Monat kostet. Auf dieser Grundlage könnte nun ein einkommensunabhängiger Richtsatz festgesetzt werden, wie viel Geld die Eltern pro Kind jedenfalls zur Verfügung stellen müssen, erklärt Barbara Beclin, Professorin für Zivilrecht. Wenn nicht gezahlt werden kann, könnte der Staat den Betrag vorschießen.
494 Euro kostet ein Kind laut Studie im Monat, wenn es mit zwei Erwachsenen lebt, 900 Euro, wenn es mit einem alleinerziehenden Elternteil lebt. Die unterschiedlichen Beträge ergeben sich, weil Kinder, die mit einem Erwachsenen wohnen, im Durchschnitt älter sind und Kosten für Wohnen und Energie sich auf weniger Personen aufteilen.
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