"Nicht deeskalierend": Sind die Demo-Verbote ein Brandbeschleuniger?
Ignaz Bearth, rechtsextremer Politiker, konnte es bei Moderation des Demo-Live-Streams aus der Wiener Innenstadt kaum glauben
– nämlich, wie eine illegale, von den Behörden untersagte Demonstration plötzlich von der Polizei geduldet wurde. „Seht ihr, wie geschickt die Österreicher das machen. Sie weichen den Blockaden der Polizei immer wieder aus. So müssen es die Berliner das nächste Mal auch machen“, freute sich Bearth.
Solche Szenen stellen eine Frage in den Raum: Heizt es die Stimmung unter Corona-Gegnern zusätzlich an, wenn Veranstaltungen untersagt werden, darunter eine Kundgebung der FPÖ? Für den Politologen Peter Filzmaier hat das Verbot ein „verstörendes Bild hinterlassen“.
"Opfer und Sieger"
Einerseits hält es der Politik-Experte für problematisch, dass eine Demonstration untersagt wird, egal, ob der Anlass von einer Mehrheit für „falsch oder sogar für dumm gehalten wird“. Andererseits habe man mit diesem Vorgehen den Demonstranten eine Plattform gegeben, dass sie sich „als Opfer und als Sieger inszenieren konnten“, da die Demo am Ende doch stattgefunden hatte.
Bis in die Abendstunden zogen 10.000 Demonstranten durch Wien. Ein Nachteil wandelte sich so in einen doppelten Vorteil um. „Wäre die Demonstration genehmigt worden, hätte es diesen Effekt und die mediale Aufmerksamkeit nicht gegeben“, kritisiert Filzmaier.
Ähnlich beurteilt es der ehemalige SPÖ-Innenminister Karl Schlögl. Obwohl er den Corona-Leugnern sehr skeptisch gegenüber stehe, sei das Demonstrationsrecht „eine der wichtigsten Säulen der Demokratie“. „Eine Demo zu untersagen, egal ob eine Partei oder eine NGO diese anmeldet, hat einen sehr schalen Beigeschmack.“ Gerade in einer Zeit, wo der „Unmut über die Corona-Politik immer mehr wächst, trägt ein Verbot einer Demonstration nichts zur Deeskalation bei“.
"Aggressor" Kickl "Grenzen setzen"
Die Demonstranten würden sich gegen „Willkür und Zwang“ stellen, meint FPÖ-Klubchef Herbert Kickl. Er hätte am Sonntag bei einer Kundgebung sprechen sollen – die abgesagt wurde. Die FPÖ hat eine Sondersitzung im Nationalrat beantragt.
Und wie denken die Verfassungssprecher der anderen Parlamentsparteien über die Demo-Verbote? Wolfgang Gerstl (ÖVP) sieht eine schwierige Abwägung zwischen dem Schutz der Gesundheit und dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Da sich die Mehrheit der Bevölkerung an die Covid-Maßnahmen halte, verstehe er die Verbote: „Wenn diese Menschen sehen, dass sich andere nicht an die Maßnahmen halten und Behörden nicht darauf reagieren, untergräbt das die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats.“ Jene drei FPÖ-Abgeordneten, die an der untersagten Demo teilnahmen, seien rücktrittsreif und die „Kickl-FPÖ“ gieße bewusst Öl ins Feuer, meint Gerstl: „Wenn man diesem Aggressor keine Grenzen setzt, dann gewinnt er irgendwann.“
Agnes Sirkka Prammer (Grüne) betont: Dass die FPÖ Menschen bewusst aufhetze, sei „demokratiepolitisch bedenklich“. Behörden seien zudem verpflichtet, Versammlungen zu untersagen, „deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet“. Genau das sei jetzt passiert, so Prammer: Das Verbot "hatte nichts mit dem Inhalt der Demonstration oder den Anmeldern zu tun, sondern war dem Umstand geschuldet, dass bei vorhergehenden gleichartigen Versammlungen von vielen Teilnehmer*innen weder Masken getragen wurden noch der Abstand eingehalten war".
"Existenzängste endlich ernst nehmen"
Nikolaus Scherak, Verfassungssprecher der Neos, hätte es besser gefunden, die Demonstrationen zuzulassen und bei Verstößen konsequent zu sanktionieren: „Die Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie kann nur aus ganz wenigen Gründen beschränkt werden. Ich halte diese Verbote für juristisch und politisch schwierig.“ Es gehe nicht darum, ob man mit den Anliegen der Demonstranten sympathisiere. Vor allem in der jetzigen Zeit, wo Grundfreiheiten tatsächlich in großem Stil eingeschränkt sind, sei ein sensibles Vorgehen besonders wichtig, betont Scherak: „Sonderlich deeskalierend wirkt das nicht. Im Gegenteil: Es befeuert die teils obskuren Erzählungen der Demonstranten zusätzlich.“
„Sehr kritisch“, sieht SPÖ-Verfassungssprecher Jörg Leichtfried die Verbote. Die Versammlungsfreiheit sei "eins der am härtesten erkämpften Grundrechte" und mit klaren behördlichen Auflagen und der konsequenten Überprüfung der Einhaltung durch die Polizei wäre es möglich gewesen, die Demos durchzuführen. Das türkis-grüne Agieren sei allgemein nicht vertrauensbildend: „Wie sorglos die Bundesregierung mit der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der parlamentarischen Demokratie umgeht, stimmt sich sorgenvoll.“ Anstatt alle Demonstranten ins rechtsextreme Eck zu stellen, sollte man politische Maßnahmen setzen und etwa das Arbeitslosengeld erhöhen, sagt Leichtfried: „Die Bundesregierung muss die Existenzängste der Menschen endlich ernst nehmen.“
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