Neos-Koalition mit Kurz? "Es braucht ethische Grundstandards"
Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr und Neos-Salzburg-Chefin Andrea Klambauer regieren in ihren Ländern mit. In Salzburg in einer Koalition mit ÖVP und Grünen, in Wien mit der SPÖ. Am Neos-Parteitag wurden sie zu den neuen Stellvertretern von Parteichefin Beate Meinl-Reisinger im Bund gewählt.
KURIER: Ist die Zukunft der Neos die Regierungsbank, nicht die Opposition?
Wiederkehr: Wir haben uns gegründet, um mitzugestalten, das Leben der Bevölkerung besser zu machen und mehr Freiheit zu gewährleisten – auch wirtschaftlich. Das geht natürlich besser, wenn man in der Regierung ist. Das ist unser Anspruch. Allerdings nicht unter allen Umständen, sondern nur in einer Koalition mit Reformwillen.
Klambauer: Ich schließe mich voll an. Es macht Freude, zu regieren. Man braucht halt die passenden Partner.
Im Bund fallen die Neos eher als Aufdecker- und Protestpartei auf. Wie kann man aus dieser Rolle herauskommen?
Klambauer: In Bezug auf Corona habe ich uns wirklich sehr konstruktiv erlebt. Aus meiner Sicht haben wir jede einzelne Maßnahme immer für sich sachlich beurteilt. Bei den sinnvollen und evidenzbasierten Beschlüssen waren wir dabei. Ansonsten haben wir auch sehr scharf gesagt, was nicht passt. Bei Themen wie Korruption oder Menschenrechten haben wir sowieso klare Werte, die wir auch äußern.
Wiederkehr: Die Kontrollfunktion gehört zur Oppositionsarbeit dazu. Mindestens so stark war aber immer die konstruktive Lösungsorientierung. Im Parlament haben wir zum Beispiel frühzeitig Teststrategien gefordert, die wir in Wien dann auch implementiert haben.
Herr Wiederkehr, Sie koalieren in Wien mit einer Partei, an der sich die Neos jahrelang abgearbeitet haben. Können Sie ausschließen, dass es in Wien roten Postenschacher gegeben hat, seit Sie Vizebürgermeister sind?
Wiederkehr: Als Transparenzstadtrat möchte ich in diesem Bereich Verbesserungen erreichen. Wir haben zum Beispiel vor Kurzem ein Fördertransparenzgesetz erlassen, um Förderungen klarer und transparenter zu vergeben. Das, was wir jetzt bundesweit gesehen haben, ist eine Schande. Wir haben gesehen, wie sich die Bundes-ÖVP Jobs per Chat-Nachrichten hin- und herschiebt. Darunter leidet die ganze politische Landschaft in Österreich.
Postenschacher in Wien können Sie also ausschließen?
Wiederkehr: Ich bemühe mich, dass es mehr Transparenz und Kontrolle gibt. Das ist nicht von einem Tag auf den anderen möglich. Aber wir haben schon viel vorangebracht. Ich erinnere an die Whistleblowing-Plattform.
Frau Klambauer, im Bund kracht es zwischen Neos und ÖVP. Wie wirkt sich das auf Ihre Zusammenarbeit mit ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer aus?
Klambauer: Unsere Zusammenarbeit funktioniert sehr gut.Ich sehe große Unterschiede zwischen der Art, wie Wilfried Haslauer sein Team führt und der Art von Sebastian Kurz. Bei uns steht Sachpolitik im Vordergrund. Das unterscheidet auch Haslauer von Kurz: Er will etwas weiterbringen. Und er ist schon auch ein etwas liberalerer Geist als der Herr Bundeskanzler.
Was würden Sie von einer Koalition mit der türkisen ÖVP im Bund halten?
Wiederkehr: Wir beurteilen mögliche Koalitionsoptionen danach, ob Reformen und Fortschritt möglich sind. Bei Sebastian Kurz sehe ich keinerlei Reformwillen, sondern genau das Gegenteil: Das Verfestigen von Machtstrukturen, Macht um jeden Preis. Wir Neos können mit links der Mitte koalieren. Wir können aber auch eine bürgerliche Koalition mit der ÖVP und den Grünen bilden, wie in Salzburg. Es geht darum, mit welcher Variante wir mehr Fortschritt schaffen. Und es müssen gewisse ethische Grundstandards eingehalten werden.
Klambauer: Es kommt auf die Personen an. Bei dem, was ich von der türkisen Familie zu lesen bekommen habe, traue ich mich zu sagen, dass es deutliche Unterschiede zur Salzburger ÖVP gibt.
Also keine Koalition mit Kurz?
Wiederkehr: Es geht um die Themen. Und bräuchte eine grundsätzliche Veränderung der türkisen ÖVP. Der Kurs, der jetzt eingeschlagen wurde, ist höchst problematisch. Frontalangriffe gegen die Justiz können wir nicht akzeptieren als Koalitionspartner.
Frau Klambauer, sollte Österreich Flüchtlinge aus Lagern in Griechenland aufnehmen und falls ja, wie viele?
Klambauer: Ich schätze das Engagement von Stephanie Krisper sehr, die darauf aufmerksam macht, dass es eine Genfer Flüchtlingskonvention gibt. Insgesamt muss man das Thema schon in seiner ganzen Breite sehen. Aber wie es derzeit läuft, das finde ich nicht gut.
Herr Wiederkehr, wird Wien nun schärfere Corona-Maßnahmen setzen als der Bund?
Wiederkehr: Die ganze Lockerungsverordnung gehört noch einmal kritisch geprüft. Es sind Punkte dabei, wo ich mir denke, die Bundesregierung will die Pandemie abschaffen. Die wird uns aber noch länger begleiten, die Delta-Variante ist ernst zu nehmen. Jetzt müssen wir auf die verschiedenen Gesellschaftsbereiche schauen. Ich sehe es sehr kritisch, dass Berufsgruppentestungen abgeschafft werden und im Sommer Kinder im Ferienlager nicht mehr die Möglichkeit bekommen sollen, sich testen zu lassen. Wir werden uns in Wien sehr genau überlegen, in welchen Bereichen wir einen eigenen Weg gehen.
Klambauer: Die Bundesregierung macht es sich durchaus leicht, wenn sie immer die Lockerungen und das Schöne verkündet. Verschärfungen überlässt sie den Ländern und da regt sich durchaus Unmut.
Auch bei der ÖVP in Salzburg?
Klambauer: Der ist ja schon öfter geäußert worden.
Wie würden Sie die eigene Performance in der Pandemie im Vergleich zum Bund beurteilen?
Klambauer: Wir haben viele Diskussionen gehabt in der Landesregierung. Etwa beim Thema Schule, wo ich sehr gekämpft habe. Bei uns in Salzburg waren die Oberstufenschüler in einem ganzen Jahr nur 60 Tage in der Schule. Aber wir haben das ausdiskutiert und sind mit gemeinsamen Entscheidungen hinausgegangen.
Wiederkehr: Wir hatten eine sehr wichtige Doppelfunktion als Neos. Bundespolitisch als die Mahner und Kämpfer für Freiheitsrechte. Gleichzeitig waren wir in Wien dafür verantwortlich alles zu machen, damit das Gesundheitssystem gut über diese Phase kommt.
Die Umfragen zeigen bei den Neos einen positiven Trend. Nicht nur im Bund, auch in Wien und Salzburg. Woran liegt das?
Klambauer: Ich denke, es ist schon sichtbar, dass unsere Sachpolitik in Salzburg gut ankommt – etwa im Bereich der Elementarpädagogik, beim Wohnen. Ich glaube aber auch die Art wie wir zusammenarbeiten, einander Erfolge gönnen, wird positiv gesehen.
Wiederkehr: Darum geht es in der Politik. Der Hickhack und der Streit, der vielleicht die schnelle Schlagzeile produziert, lösen keine Probleme. Ich habe in meinem Amt keine Zeit zum Streiten, ich muss Reformprojekte umsetzen. Diese sachliche, lösungsorientierte Art wird auch honoriert.
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