Politologen zu Putin-Besuch: Kanzler riskiert "politischen Flop"
"Er hat sich auf etwas eingelassen, wovon er selbst sehr wenig steuern kann – politisch wie kommunikativ." So lautet die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Peter Filzmaier zum überraschenden Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer beim russischen Präsidenten Wladimir Putin heute, Montag.
Die Kontrolle über die Kommunikation liege bei dem, der besucht wird, also bei Putin - nicht bei dem, der den Besuch absolviert. "Es geht ja um die weltweite Deutungshoheit", so Filzmaier, nicht um die im kleinen Österreich, wo Nehammer allenfalls gegensteuern könnte.
Der Bundeskanzler riskiere "einen politischen Flop", könne andererseits aber jedenfalls wenig erreichen - was ihm freilich nicht vorzuwerfen sei.
Auch die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle sieht tendenziell das mit dem Treffen verbundene Risiko größer als die Chancen. Die Gefahr bestehe, dass sich der Kanzler für die russische Propaganda instrumentalisieren lasse. Ob er sich dem entziehen könne, bleibe freilich abzuwarten. Gleichwohl will Stainer-Hämmerle Nehammer ein "ernstes Bemühen um die Vermittlung eines Gesprächs zwischen Selenskij und Putin" nicht absprechen.
Selbstbild "Brückenbauer"
Dieses füge sich auch in das überkommene Selbstbild Österreichs als "Brückenbauer": "Wir sind zwar klein und unwichtig, aber wir können ein Ort sein für die Verhandlungen der Mächtigen", formuliert es Stainer-Hämmerle.
Sie meint indes auch, es hätte bessere Mittel gegeben, "Einfluss zu nehmen und Haltung zu zeigen". Wenn Nehammer etwas beitragen wolle, den Krieg zu verkürzen, so solle Österreich seinen Widerstand gegen den Gas-Boykott aufgeben. In Deutschland, wo die einschlägige Debatte ähnlich läuft, wie in Österreich, sage man einerseits, ein Boykott sei schwierig; andererseits behaupte man, wenn Putin das Gas abdrehen sollte, würde man das schon schaffen. Da sei es doch besser, gleich "proaktiv" zu agieren und von sich aus Druck auf Putin auszuüben.
EU-intern akkordiert?
Für Filzmaier ist die entscheidende Frage, ob die Visite in Moskau mit der EU tatsächlich akkordiert war und Nehammer nicht nur die EU-Spitzen einfach informiert habe. Als EU-intern akkordierte Maßnahme könnte die Aktion einen gewissen Sinn ergeben: etwa, dass man den Vertreter eines kleinen, neutralen und nicht sonderlich bedeutenden Landes einmal vorausschicke.
Die EU-interne Abstimmung sei umso wichtiger, als die EU zuletzt mit einer sonst kaum gekannten Einigkeit gepunktet habe: "Polen war seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr so auf EU-Linie und sogar die Abweichungen aus Ungarn waren vergleichsweise gering."
Heikler Zeitpunkt
Filzmaier weist hier allerdings noch auf den möglicherweise problematischen Zeitpunkt der Aktion hin. Wenn nämlich in den nächsten Tagen nach dem Treffen eine neue russische Großoffensive starte, so werde zwar dafür niemand Nehammer verantwortlich machen können, die Außenwirkung wäre aber trotzdem eine verheerende.
Fügt sich Nehammers Besuch bei Putin in die Reihe von Treffen früherer österreichischer Spitzenpolitiker mit "bösen Buben" der Weltpolitik, wie etwa Kreisky-Arafat oder Haider-Gaddafi? Stainer-Hämmerle meint, zu Kreiskys Zeiten habe die Diplomatie noch eine andere Rolle gespielt als heute "in diesem Tik-Tok-Krieg", wo Propaganda und Bilder völlig anders funktionierten. Filzmaier sieht indes im Grunde dasselbe Thema: "die Macht der Bilder". Bei Arafat sei es etwa der PLO-Führer, der mit Pistolengurt vor der UN-Vollversammlung gesprochen hat - wo dann diskutiert wurde, ob die Waffe geladen war ...
Cobra-Gate nicht entscheidend
Weitgehend einig sind sich Filzmaier und Stainer-Hämmerle, was einen da und dort angedeuteten Zusammenhang mit Cobra-Gate betrifft: dass also Nehammer mit internationalen Auftritten (Kiew, jetzt Moskau) von der für ihn unangenehmen Causa rund um zwei betrunkene Personenschützer in seiner Privatwohnung ablenken wolle. Beide Politikbeobachter halten das bestenfalls für einen Nebenaspekt. Dafür hätte Nehammer nicht nach Moskau fahren müssen, da hätte Kiew jedenfalls gereicht, so Stainer-Hämmerle. Und auch Filzmaier will diesen Aspekt nicht überbewerten.
Kommentare