Wahlkampf mit Vorzugsstimmen? Warum das fast aussichtslos ist
Nationalratswahlen finden nach dem Listenwahlrecht statt. Das heißt, es muss eine Partei gewählt werden, die vorab ihre Kandidatenlisten eingereicht hat. Darüber hinaus können aber bis zu drei Vorzugsstimmen für die Kandidaten der gewählten Partei vergeben werden, und zwar je eine für die Regionalparteiliste, eine für die Landesparteiliste und eine für die Bundesparteiliste.
Die Reform des Vorzugsstimmensystems im Jahr 2013 unter Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) sollte die Vorreihung von Kandidaten durch eine bestimmte Anzahl an Vorzugsstimmen einfacher machen. Doch für eine Vorreihung auf der Regionalwahlliste benötigt ein Kandidat 14 Prozent der Stimmen seiner Partei, für die Landesparteiliste 10 Prozent, und für die Bundesparteiliste 7 Prozent.
"Parteien wollten Kontrolle nicht abgeben"
Tatsächlich haben bei der Wahl 2019 nur zwei Politiker diese Hürde übersprungen – Sebastian Kurz und Herbert Kickl. „Und die kandidierten ohnehin auf einem sicheren Listenplatz. Und das ist das eigentliche Problem, die Reform von 2013 wurde uns so verkauft, dass eine Vorreihung nun realistischer ist, davor waren die Hürden noch höher. Tatsächlich schaffen es nach wie vor aber nur Spitzenkandidaten, weil die Hürden zu hoch sind“, erklärt Politologe Peter Filzmaier.
Aber warum ist das so? „Die Idee war ja, die Distanz des Wählers zum Abgeordneten des eigenen Wahlkreises zu verringern. Doch die Parteien wollten dennoch nicht die Kontrolle abgeben, wer für sie im Nationalrat einzieht. Da geht es zum Beispiel um die Frage der Fraktionsdisziplin“, sagt der Experte. Also, dass Abgeordnete nicht gegen die eigene Fraktion abstimmen.
Wer es in Österreich dennoch probiert
Zwei internationale Beispiele, dass es auch anders geht: In der Slowakei reichen drei Prozent der Stimmen zur Vorreihung. Und das modernste Wahlrecht gilt für das Parlament („Bürgerschaft“) in Hamburg, bei dem die Wähler je fünf Stimmen für Bundesland und Bezirk haben. Diese Stimmen können entweder auf eine einzelne Liste gesetzt oder auf verschiedene Kandidaten derselben oder verschiedener Listen verteilt werden (kumulieren und panaschieren). Wer die meisten Stimmen erhält, wird vorgereiht. So entscheiden die Wähler, und nicht die Parteien, wer sie vertritt.
Obwohl die Erfolgsaussichten verschwindend gering sind, gibt es übrigens auch bei der kommenden Wahl Kandidaten, die auf einen Vorzugsstimmen-Wahlkampf setzen. Warum? Darüber hat der KURIER mit Nikolaus Kowall (SPÖ), Laura Sachslehner (ÖVP) und Leo Lugner (FPÖ) gesprochen, die es allesamt probieren.
"Parteirebell" Kowall: Rote Klimapolitik durch 25.000 Stimmen
Niki Kowall kandidiert auf der SPÖ-Bundesliste auf Platz 27, auf der Wiener Landesliste auf Platz 20. Man muss nicht wie er ein Doktorat der Volkswirtschaft haben, um zu verstehen, dass beide Plätze aussichtslos für den Einzug ins Parlament sind.
Deshalb hat Kowall beschlossen, einen Vorzugsstimmen-Wahlkampf zu führen. 25.000 Stimmen nur in Wien benötigt er wahrscheinlich zur Vorreihung, sagt der 41-Jährige zum KURIER. „Da muss man sich schon fragen, ob die Bevölkerung eigentlich etwas mitzureden hat bei der Zusammensetzung des Nationalrats.“ Eine zu hohe Hürde?
Wofür Kowall kämpft
Ein Einzug wäre eine große Überraschung, gibt Kowall zu, doch genau damit kennt er sich eigentlich sehr gut aus. Kowall war es, der in der „Sektion 8“, eine Art roter NGO, unter Kanzler Alfred Gusenbauer plötzlich gegen den Parteichef rebellierte, wegen dessen Untätigkeit bei der Erbschaftssteuer. Bekannt wurde er 2011, nach einer Brandrede beim Landesparteitag stimmten die Genossen gegen den Wunsch der Parteiführung für die Abschaffung des „Kleinen Glücksspiels“ in Wien. „Eine entscheidende Maßnahme, um Spielsucht zu bekämpfen und viele Familien vor dem finanziellen Ruin zu bewahren“, sagt Kowall.
Und im Vorjahr kandidierte er knapp 72 Stunden lang für den SPÖ-Bundesparteivorsitz, was letztendlich den Weg für seinen Wunschkandidaten Andreas Babler ebnete.
Thematisch kämpft er etwa dafür, durch einen „ökologischen Umbau der Wirtschaft“ das Klima zu schützen und Arbeitsplätze zu schaffen – dafür seien auch „mehr Steuern auf große Vermögen und natürliche Ressourcen“ nötig. Und er sagt, alle haben ein gutes Leben verdient – „nicht nur Promis, Erben und Konzernchefs. Deshalb schrauben wir die Arbeitszeit runter und das Niveau von Gesundheit, Pflege und Mieterschutz rauf.“
Nikolaus Kowall
Aufgewachsen in Hainfeld in einer Unternehmerfamilie. Roter Landesschulsprecher, Studium und Doktorat der Wirtschaftswissenschaften
Beruf
Kowall forschte in Düsseldorf und Berlin und ist Hochschullehrer für internationale Wirtschaft an der Fachhochschule des BFI und ehrenamtlich in der SPÖ Alsergrund
Sachslehner will türkise Werte verteidigen
Weil sie den Kurs, den die ÖVP in der Koalition mit den Grünen eingeschlagen hat, mit „ihrem Weltbild nicht mehr vereinbaren konnte“, ist Laura Sachslehner im September 2022 als Generalsekretärin gegangen. Jetzt will sich die 30-jährige Wiener Gemeinderätin mit Vorzugsstimmen einen Platz im Nationalrat erkämpfen.
Viele Funktionäre hätten sie darum gebeten, erklärt sie im KURIER-Gespräch. Grund seien die Spekulationen um eine neue Koalition aus ÖVP, SPÖ und Neos, die erahnen ließen, dass die ÖVP weiterhin zu Kompromissen bereit sein wird, „die ich nicht für sinnvoll erachte“, so Sachslehner.
Es brauche jemanden, der die Mitte-Rechts-Positionierung und die Werte, für die die ÖVP steht, vertritt, sagt sie und nennt konkret drei Punkte: Eine „klare Kante“ beim Thema Migration („Asylobergrenze null“), eine „budgetorientierte“ und eine „leistungsorientierte“ Politik. Einer der Gründe für Sachslehners Abgang waren Unstimmigkeiten zum Klimabonus, der auch für Asylwerber ausbezahlt wird. Sachslehner fand das „unlogisch und ungerecht“, die Bundespartei unter Karl Nehammer drehte die Debatte aber ab.
Wo sie die rote Linie zieht
Wie stellt sie sich die (Zusammen)-Arbeit im Klub vor, sollte sie den Einzug schaffen? „Ich werde meine Linie konsequent vertreten und bei Beschlüssen nur mitstimmen, wenn sie nicht im Gegensatz zu den Werten der ÖVP stehen.“
Damit meint sie nicht die kleinen, alltäglichen Kompromisse in einer Koalition, wie sie betont. Ein „Dealbreaker“ wäre für sie etwa, wenn die ÖVP sich darauf einlassen würde, die Staatsbürgerschaft aufzuweichen – etwas, das SPÖ und Neos ja fordern.
Wissend, dass ihre Kandidatur – gerade wegen ihrer Vorgeschichte – für Unruhe in der Bundespartei sorgen könnte, sagt sie: „Die ÖVP ist eine demokratische Partei. Das hält sie locker aus.“
Laura Sachslehner
Die 1994 geborene Wienerin startete in der Jungen ÖVP und war von Jänner bis September 2022 Generalsekretärin der Bundespartei. Seit 2020 hat Sachslehner ein Mandat im Wiener Gemeinderat
Nationalratswahl
Auf der Landesliste steht sie auf Platz 23. Um ein Mandat zu ergattern, braucht sie von ca. zehn Prozent aller ÖVP-Wähler in Wien eine Vorzugsstimme
Lugner: Prominenter Name als Starthilfe
Acht Jahre nach der Bundespräsidentschaftswahl 2016 kann man im Herbst wieder Lugner wählen. Es ist aber nicht der umtriebige 92-jährige Bau- und Societylöwe Richard, der noch einmal sein Glück auf der Polit-Bühne versucht. Vielmehr handelt es sich um den Wiener FPÖ-Politiker Leo Lugner (vormals Kohlbauer), der nach der Heirat mit Richard Lugners Tochter Jacqueline seit Kurzem den Nachnamen seines prominenten Schwiegervaters trägt.
Seit Jahren gehört der 37-jährige Ex-Gemeinderat und Mariahilfer Bezirksparteichef zum inneren Kreis der Wiener FPÖ. Nun will er per Vorzugsstimmenwahlkampf ins Parlament einziehen. Dabei stünden seine Chancen mit Platz 25 auf der Bundes- und Platz elf auf der Landesliste ohnehin nicht ganz schlecht. Gleich vier Parteikollegen hätten ihn aber dazu überredet, trotzdem mit einer eigenen Kampagne auf die Jagd nach Vorzugsstimmen zu gehen. „Davon profitiert auch die Partei“, ist Lugner überzeugt, der bereits auf TikTok und Instagram für sich Werbung macht.
Ein blaues Angebot an Migranten
Lugner macht keinen Hehl daraus, dass sein neuer Nachname im Wahlkampf ein Vorteil sei. Vor allem wenn es darum geht, ganz neue Wählerschichten für die FPÖ zu erschließen: „Die Lugner City (das von seinem Schwiegervater gegründete Einkaufszentrum am Wiener Gürtel, Anm.) hat unter Menschen mit migrantischem Hintergrund einen hohen Stellenwert“, sagt Lugner, der als Gemeinderat immer wieder mit schrillen Tönen in der Integrations-, aber auch in der Genderdebatte aufgefallen ist.
Für ihn kein Widerspruch. Er wolle gut integrierte Migranten ansprechen, die ihrerseits mit der unkontrollierten Zuwanderung unzufrieden seien. Zugleich werde er auch im Parlament „knallharte rechte Politik gegen straffällige Asylwerber und Migranten-Ströme“ machen.
Leo Lugner
Geboren 1987 in Korneuburg, war Leo Lugner (geb. Kohlbauer) im Textil-Einzelhandel beschäftigt
Politik
2017 bis 2020 war er FPÖ-Gemeinderat in Wien. Danach wurde er blauer Bezirksparteiobmann in Wien-Mariahilf. Gleichzeitig ist er für die FPÖ-Landespartei als Medienreferent tätig
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