Grüner Kaineder: "Wir müssen Blaue von den höchsten Ämtern fernhalten"
„Wir haben verloren“, gesteht Stefan Kaineder, Vize-Chef der Grünen, ein – und spricht über die Fehler seiner Partei, Bedingungen für eine neue Koalition, blaue „Zerstörungswut“ und fehlende „Haltung“ bei der SPÖ.
Die Grünen haben bei der Nationalratswahl nur 8,2 Prozent der Stimmen erreicht – und damit so stark verloren wie keine andere Partei. Was sie nicht davon abhält, bei den Sondierungsgesprächen eine „gewichtige Rolle“ spielen zu wollen, wie Parteichef Werner Kogler am Freitag nach dem Erweiterten Bundesvorstand (EBV) erklärte.
Zum grünen Sondierungsteam gehören neben ihm noch Sozialminister Johannes Rauch, Klimaministerin Leonore Gewessler, Justizministerin Alma Zadić, Klubobfrau Sigrid Maurer, Generalsekretärin Olga Voglauer und der oö. Landesrat Stefan Kaineder.
Der 39-Jährige gilt seit der Phase des Wiederaufbaus der Grünen nach dem Parlaments-Aus 2017 als gewichtige Stimme der Bewegung. 2019 hat ihn Kogler zu seinem Stellvertreter im Bund gemacht. Immer wieder wird der studierte Theologe auch als Wunsch-Nachfolger gehandelt.
KURIER:Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie stehen die Chancen, dass die Grünen in der nächsten Regierung sind?
Stefan Kaineder: Eine Skala macht nur Sinn, wenn man manche Gewissheiten hat, und die gibt es gerade nicht. Aus unserem Wahlergebnis leitet sich nicht ab, unbedingt in eine Regierung zu müssen. Wir haben verloren. Aber es wäre wichtig, dass der Klimaschutz mit am Verhandlungstisch sitzt – und den gibt es nur mit uns.
Leonore Gewessler sitzt mit am Tisch – mit ihr will die ÖVP nicht mehr zusammenarbeiten. Schon allein an ihrer Person könnte eine künftige Koalition scheitern.
Sie ist die erfolgreichste Ministerin der letzten Regierung. Natürlich ist sie für eine weitere Regierungsbeteiligung der Grünen gesetzt.
Wir werden jetzt sondieren und schauen, wie ernst es den anderen Parteien ist. Wenn ÖVP und SPÖ die Grünen in der Regierung haben wollen, dann ist das eine Klimaschutzregierung – wir machen bei diesem Thema keine Rückschritte. Wenn sie das nicht wollen, dann müssen sie eh mit den Neos gehen.
Was spräche für die Grünen?
Wir wollen die ökosoziale Marktwirtschaft weiterentwickeln. Das ist ein fundamentaler Unterscheid zu einer liberal-kapitalistischen. Mir fehlt bei den Neos auch die Ernsthaftigkeit beim Klimaschutz. Sonst hätten sie SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig in Wien schon gesagt, dass es keine Lobauautobahn geben soll. Und die Neos wollen im Staatshaushalt Milliarden sparen. Wenn du in einer solchen Reformpolitik nicht definierst, dass gerade beim Klimaschutz und bei Zukunftsinvestitionen nicht gespart wird, dann tun es die anderen, denen Klimaschutz eben nicht wichtig ist.
Kann es sein, dass auch den Österreichern Klimaschutz nicht wichtig ist? Das war zentrales Thema der Grünen im Wahlkampf, und nur 8,3 Prozent haben sie gewählt.
Die Gespräche, die ich auf der Straße und in den Dorfwirtshäusern geführt habe, klingen anders. Die Menschen haben durch die Dürre im Sommer und durch das Hochwasser am eigenen Leib gespürt, dass die Klimakrise da ist und sie bekämpft werden muss. Die gute Nachricht ist: Viele tun das schon. Früher haben die Leute im Wirtshaus das Foto vom neuen Auto hergezeigt, jetzt zeigen sie am Handy, was die eigene Photovoltaik-Anlage am Dach gerade produziert.
Eine Bekannte von mir hat auch so eine PV-Anlage. Sie freut sich auch über die neue Wärmedämmung ihres Hauses, den Klimabonus, der ihr gerade ausbezahlt wurde und dass ihre Kinder gratis mit dem Klimaticket durch Österreich fahren können. Am Sonntag hat sie Blau gewählt. Frustriert Sie das?
Für mich ist das ein Auftrag. Wir müssen den Menschen bewusst machen, dass das keine Selbstverständlichkeiten sind. Die FPÖ hat schon angekündigt, dass sie „diese grüne Politik“ wieder abschaffen wird. Alle Klimaförderungen werden dadurch infrage gestellt.
Wichtiger war im Wahlkampf offenbar das Migrationsthema. Kickl will eine „Festung“, die ÖVP will illegale Migration bekämpfen. Wo stehen die Grünen?
Für die Menschenrechte und ein menschliches Miteinander – was nicht heißt, dass Unanständige nicht auch unseren Widerstand kriegen. ÖVP und FPÖ wollen uns ständig erklären, dass wir uns an äußeren Merkmalen voneinander unterscheiden, für die niemand etwas kann. Die FPÖ zeigt mit dem Finger auf jemanden, der schwul ist. Das ist keine Art, miteinander umzugehen – das geht nicht.
Offenbar wollen die Menschen aber genau das: den harten Asylkurs, diese Art der Rhetorik und des Menschenbildes. Fast jeder Dritte hat FPÖ gewählt. Wie geht man als Grüner damit um?
Das glaube ich nicht. Es gibt sicher einen Teil in der Bevölkerung, der diese Zerstörungswut der Freiheitlichen gerne sieht. Aber es gibt auch viele, die einfach einen Protest artikulieren. Wir Grüne müssen lernen, die positiven Dinge unserer Klimapolitik zu erzählen, und wie sie unsere Lebensqualität verbessert. Und wir müssen es so erzählen, dass die Menschen Lust bekommen, mitzumachen.
Also lautet die Analyse – wie schon bei früheren Wahlverlusten – dass die Grünen eh so super sind, es nur nicht kommunizieren können?
Wir sind nicht nur super, wir haben auch Fehler gemacht. Wir haben es auch nicht geschafft, den Leuten klarzumachen, dass wir die einzige echte Brandmauer gegen Rechtsextreme und die blaue Zerstörungswut sind.
Apropos: Viele Grün-Wähler sind zu der SPÖ gewandert.
Ja, weil sie die Blauen verhindern wollten. Ich frage mich, wie Andi Babler jetzt seinen Wählern erklärt, dass Doris Bures am zweiten Tag nach der Wahl meint, ein Freiheitlicher soll Erster Nationalratspräsident werden. Es täte der SPÖ gut, Haltung einzunehmen. Wir müssen die Freiheitlichen von den höchsten Ämtern der Republik fernhalten.
In Oberösterreich haben Sie zwar wegen des Proporz noch ein Ressort in der Landesregierung – aber was ist das für ein Gefühl, aus einer Koalition auszuscheiden?
Es gibt einen beschränkten Handlungsspielraum und in diesem tue ich alles, was möglich ist, um Oberösterreich weiter in eine gute Zukunft zu führen. Es geht darum, die Transformation, die die Menschen, aber auch die Industrie brauchen, voranzutreiben. In Salzburg und in Niederösterreich, wo es keine Proporzregierungen gibt, kann man zuschauen, wie Zukunftschancen verschenkt werden. Und das droht jetzt auch in Österreich. Deshalb sondieren wir und hoffen, dass ÖVP und SPÖ für eine vernünftige Regierung mit uns bereit sind.
Und wenn’s dann doch die Opposition wird?
Diese Arbeit ist eine wichtige – nicht nur die Kontrollfunktion, sondern auch, die Regierung damit zu konfrontieren, wie man eine progressive Politik macht. Ich bin da ganz kämpferisch.
Jetzt nicht. Diese Frage steht beim Bundeskongress 2025 auf der Tagesordnung. Werner Kogler ist bis dahin gewählter Bundesparteisprecher.
Die Grünen haben bei der Wahl 40 Prozent ihrer eigenen Wähler verloren. Bei jeder anderen Partei wäre das ein Rücktrittsgrund.
Andere Parteien sind hierarchischer organisiert. Wir haben vorne ein Team, das die Verantwortung für dieses Wahlergebnis gemeinsam trägt. Werner Kogler ist ein unglaublich leidenschaftlicher und umsichtiger Teamchef und deshalb genau der Richtige, um in den kommenden Wochen und Monaten Sondierungen und – vielleicht – Regierungsverhandlungen zu führen.
Und danach Leonore Gewessler? Oder Sie?
Diese Frage stellt sich jetzt nicht. Werner Kogler ist bis 2025 gewählt. Das ist gut so und gibt uns die Zeit, uns perspektivisch Gedanken zu machen.
Stefan Kaineder (* 1985 in Linz) ist Landesrat der Grünen in OÖ. Nach der Wahl 2017, bei der die Grünen mit 3,8 % aus dem Nationalrat geflogen sind, hat sich eine „Next Generation“-Gruppe gegründet, der auch Kaineder angehört hat. Im Februar 2019 wurde er Vize-Parteichef neben Kogler, kurz darauf auch Landessprecher in OÖ.
Comeback Im Mai 2019 feierten die Grünen bei der EU-Wahl mit 14,09 % ihren ersten Erfolg, bei der NR-Wahl im September mit 13,8 % den nächsten – und kamen in die Regierung.
Rückschlag 8,2 Prozent lautete das jetzige Wahlergebnis. Die Grünen wollen trotzdem weiterregieren.
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