Verhandeln für Einsteiger: Was auf die Neos zukommt
Grün raus, Rot und Pink rein. Das ist aktuell ein realistisches Szenario für eine mögliche Dreier-Koalition. Für die Neos wäre es die erste Regierungsbeteiligung im Bund. Doch wie kann eine in Koalitionsverhandlungen noch recht unerfahrene Kleinpartei gegen die Routiniers von ÖVP und SPÖ bestehen? Und wie fühlt es sich umgekehrt an, wenn man nach Jahren der Regierungsarbeit wieder die Oppositionsbänke drücken muss?
Für beide Fragen eignet sich Wien als Fallbeispiel, wo - ähnlich wie vielleicht bald auch im Bund – 2020 die Neos die Grünen als Regierungspartei ablösten.
Vorweg: Die Wiener Neos geben sich aktuell äußerst zugeknöpft, was ihre seinerzeitigen Verhandlungserfahrungen mit den Roten betrifft. Das Thema scheint zu heikel, schließlich werden einige ihrer Funktionäre aufgrund ihrer einschlägigen Erfahrung wohl auch bei den anstehenden Gesprächen auf Bundesebene eine Rolle spielen.
Gesprächiger ist man da schon auf Seiten der Grünen. Einer der die Rollenwechsel sehr gut kennt, ist etwa der grüne Wiener Gemeinderat Martin Margulies: Zehn Jahre war er mit seiner Partei Opposition im Wiener Rathaus, dann hat er ab 2010 weitere zehn Jahre als Mandatar die erste rot-grüne Landesregierung hautnah miterlebt. Seit 2020 drückt er wieder die Oppositionsbank.
Monatelange Vorbereitung
Wie hat er 2010 die Verhandlungen der damals als Regierungspartei noch unterfahrenen Grünen mit der übermächtigen Wiener SPÖ erlebt?
„Unser fixes Ziel war es damals, in die Regierung zu kommen. Wir haben uns vor der Wahl ein dreiviertel Jahr auf die Verhandlungen vorbereitet. Indem wir so viel Informationen wie möglich über die Stadtverwaltung zusammengetragen haben. Vor allem Budget-Daten. Das war enorm wichtig für die Verhandlungen“, erinnert sich Margulies.
Rein vom Handwerklichen hatte man - obwohl Neuling - nur wenig Aufholbedarf: „Verhandeln gehört zum politischen Geschäft dazu, auch wenn man Oppositionspartei ist“, sagt der Gemeinderat. So habe es schon lange vor der Regierungsbeteiligung regelmäßige Verhandlungstrainings gegeben.
Nicht anlügen lassen
Dabei geht es auch um Psychologie: Wie erkannt man, dass einem der Verhandlungspartner anlügt? Ob er einem auflaufen lässt? „Auf keinen Fall darf man zulassen, dass das Gegenüber das eigene Verhandlungsteam spaltet, dann ist man wirklich arm dran. Und keinesfalls darf man die eigenen roten Linien ständig verschieben.“
Budget-Experte Margulies erinnert sich an die Tricks der SPÖ-Verhandler, etwa die theatralische Enttäuschung seines Gegenübers, der damaligen Finanzstadträtin Renate Brauner, über die Grünen, wenn die Verhandlungen stockten. „Davon darf man sich nicht beeindrucken, so etwas können SPÖ-Verhandler auf Knopfdruck.“
Auf solche Finten können sie sich nun möglicherweise auch die Neos einstellen. Was ihnen entgegen kommt: Die Wiener SPÖ - mit Bürgermeister Michael Ludwig im Hintergrund - dürfte auf Seiten der roten Verhandler eine gewichtige Rolle spielen. Man weiß also, mit wem man es zu tun. Zumal ja auch Parteichefin Beate Meinl-Reisinger aus der Wiener Landespolitik kommt.
Das grüne Urgestein Margulies kennt es aber auch aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, von einem Tag auf den anderen wieder auf die Oppositionsbank zu wechseln. „Besonders schwer waren die ersten ein bis zwei Jahre: Da gab es viele Dinge, die wir als Oppositionspartei nicht kritisieren konnten, weil wir sie in der Regierung noch selbst mitbeschlossen haben.“
Harte Landung in der Opposition
Hinzu kommt: Als Abgeordneter einer Oppositionspartei erhalte man nur mehr sehr spärlich Informationen aus der Verwaltung. „Der Info-Fluss versiegt relativ flott“, schildert Margulies. „Besonders bitter ist das bei noch nicht abgeschlossenen Projekten, die man selbst noch initiiert hat.“
Kurzum: „Abgeordneter einer Regierungs- oder einer Oppositionsfraktion zu sein, sind zwei völlig unterschiedliche Berufe.“ Was möglicherweise schon bald der eine oder andere seiner Parteikollegen auf Bundesebene lernen wird müssen.
Kommentare