Der ehemalige ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll würde lieber die SPÖ als die FPÖ in der Bundesregierung sehen. Kanzler Karl Nehammer sieht er weiterhin als den richtigen Mann an der Spitze der ÖVP.
KURIER:Die Wahl vom vergangenen Sonntag wird als historisch eingestuft, weil erstmals die FPÖ bei einer Nationalratswahl auf dem ersten Platz gelandet ist. Haben Sie dieses Ergebnis erwartet?
Erwin Pröll: Nach all dem, was sich in den vergangenen Jahren in der Republik getan hat und auch was die Umfragen angezeigt haben, war es natürlich ein erwartbares Ergebnis. Aber das ist ja nicht unbedingt ein Malheur für die Republik. Der entscheidende Punkt ist, dass nach so einem Wahlergebnis relativ rasch wieder Normalität in der Republik einkehrt. Wahlkampfzeiten sind abnormale Zeiten, jetzt ist wieder Ruhe und Übersicht gefragt.
Ihrer Meinung nach sollte man also alles ein wenig gelassener sehen. Eine hohe SPÖ-Funktionärin hat im Gegensatz dazu von einem schwarzen Sonntag für die Demokratie gesprochen.
Die Demokratie in Österreich ist sehr in Ordnung, und sie ist kräftig. Mehrheiten wechseln, und damit muss man auch umgehen können. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass der Wähler immer recht hat. Es hat viele Wahlabende gegeben, an denen die ÖVP Nummer eins war, und viele, an denen es die SPÖ war. Dennoch hat sich die Welt weitergedreht. Jetzt ist halt die FPÖ auf dem ersten Platz.
Etwas muss für Sie dennoch ungewöhnlich gewesen sein. Da verliert die ÖVP über zehn Prozentpunkte, schafft nicht den ersten Platz, und dennoch gibt es kein Rütteln am ÖVP-Obmann. Das muss Sie doch überraschen.
Nein, eigentlich nicht. Das letzte gute Wahlergebnis unter Sebastian Kurz ist zustande gekommen, als die FPÖ nach Ibiza vollkommen zerrüttet war. Da sind viele Stimmen von der FPÖ zur ÖVP gewandert. Die Zeiten haben sich geändert, und in der Zwischenzeit mussten viele Krisen bewältigt werden. Als Karl Nehammer die Partei übernommen hat, ist sie in Umfragen etwa bei zwanzig Prozent gelegen, somit hat er am Wahlabend ein Plus von mehr als sechs Prozentpunkten geschafft. Für mich hat er nicht nur ein tolles Krisenmanagement hingelegt, sondern er ist auch ein Mann mit beiden Beinen auf dem Boden, sehr umsichtig, sehr sorgfältig und gesprächsfähig in alle Richtungen.
Bei Gebhart: Erwin Pröll
Aber nicht in Richtung von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Er hat schon vor der Wahl eine Regierung mit ihm ausgeschlossen. War er da vielleicht zu voreilig?
Nein. Karl Nehammer hat mit Sicherheit einen Grund für diese Ansage. Er hat mit Kickl schon zusammengearbeitet, bevor er Bundeskanzler geworden ist. Der FPÖ-Obmann und die FPÖ haben jetzt in Wirklichkeit zwei Chancen. Die eine besteht darin, dass sie den Auftrag zu einer Regierungsbildung bekommt.
Zwei Chancen für FPÖ-Chef Kickl
Da gibt es Diskussionen, dass der Bundespräsident ihm entgegen den Usancen den Auftrag nicht erteilt.
Warum sollte man das über Bord werfen, nur weil es jetzt am Wahlabend diese Konstellation gibt? Diese Chance wird Kickl jedenfalls nutzen müssen.
Und die zweite Chance?
Wenn ihm der Bundespräsident nicht den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, dann kann er noch immer von sich aus 92 Mandate im Parlament hinter sich vereinigen und so dort die Mehrheit haben. Und auf dieser Basis eine Regierung vorschlagen. Dann wird der Bundespräsident in diese Richtung eine Entscheidung treffen müssen, ob er es akzeptiert oder nicht. Wenn Kickl das nicht nutzt, dann hat er seine Chancen verspielt.
Es gibt natürlich für die FPÖ eine dritte Chance: Sie überredet ihren Spitzenkandidaten, den Weg für eine Regierung ohne seine Person frei zu machen.
Das stimmt, aber die Erfahrung hat uns gelehrt, dass das keine optimale Lösung ist. Im Jahr 2000 ist Jörg Haider als FPÖ-Spitzenkandidat zur Seite getreten, hat sich aber im Laufe der Zeit dann als Spaltpilz erwiesen. Wir brauchen auf dem Weg in die Zukunft eine stabile Regierung, die kalkulierbar bleibt.
Trauen Sie es der FPÖ zu, Teil einer stabilen Regierung zu sein?
Das muss die FPÖ mit sich selbst ausmachen. Jedenfalls kommen wir jetzt in eine Zeit, wo das Handwerk gefragt ist, und nicht das Mundwerk. Reden kann man viel, das Tun ist schon ganz etwas anderes.
Am Wahlabend haben Sie gesagt, dass Ihnen eine schwarz-rote Regierung lieber wäre. Warum?
Sie wissen, dass ich in den 37 Jahren meiner politischen Tätigkeit ständig mit der SPÖ zusammengearbeitet habe. Auch in den Jahren, in denen ich mit absoluter Mehrheit regiert habe. Ich bin in einer Zeit sozialisiert worden, in der die Sozialpartnerschaft noch eine ganz wesentliche, tragende Rolle hatte. Da habe ich gemerkt, was es heißt, einen stabilen Partner an der Seite zu haben, auch wenn es da und dort in der Tagespolitik heftige Konflikte gegeben hat. Aber mit der SPÖ ist es immer wieder gelungen, vernünftige Kompromisse zu schließen. Deswegen appelliere ich auch dringend, dass in dieser Republik auf dem Weg nach vorne der Kompromiss wieder hoch geschätzt wird.
In Ihrer Partei hört man aber auch, dass die SPÖ unter Andreas Babler eine andere Partei geworden sei. Zu sehr links, zu marxistisch.
Es stimmt, dass die SPÖ unter Babler deutlich nach links gerückt ist. Aber auch die SPÖ ist eine Gemeinschaft von Gesinnungsgenossen, die nicht alle dieser Meinung sind. Ich kenne eine Reihe von SPÖ-Exponenten, die nicht nur um des Regierens willen in die Regierung wollen, sondern weil es ihnen um die Republik geht. Wenn Persönlichkeiten zusammenkommen, die die Zukunft der Republik im Auge haben und nicht das egoistische Partei- oder Eigenwohl, dann sind wir auf einem guten Weg.
Bleibt die Frage, ob diese Kräfte in der SPÖ auch stark genug sind.
Das wird die SPÖ in sich klären müssen. Ich bin aber überzeugt davon, dass das möglich ist, weil ich eine Reihe von starken SPÖ-Verantwortungsträgern kenne.
Ein kurzer Rückblick: Die türkis-grüne Bundesregierung hat fünf Jahre gehalten und einiges geschafft. Am Ende ist man aber doch mehr im Streit als in Einigkeit auseinandergegangen. Was hat da nicht funktioniert?
Ich bin nur zum Teil Ihrer Meinung, weil ich tatsächlich glaube, das die türkis-grüne Regierung über weite Strecken gut miteinander gearbeitet hat. Dass es in der einen oder anderen Sachfrage Differenzen gegeben hat, das ist das Natürlichste auf der Welt. Auch dass diese Differenzen entsprechend ausgetragen werden. Selbst wenn sich Partner in einer Regierung noch so gut verstehen, sobald der Wahltag näher kommt, muss das jeweils eigene Profil für die Wählerinnen und Wähler sichtbarer werden.
Fokussieren wir das auf den einen Punkt, dass die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler gegen den Willen von ÖVP-Kanzler Karl Nehammer auf EU-Ebene für das Renaturierungsgesetz gestimmt hat. Ich möchte nicht wissen, was Sie da getan hätten, wären Sie an der Spitze der Regierung gestanden …
Das ist mir in meiner Zeit als Landeshauptmann auch einmal passiert. Daraufhin habe ich diesem Regierungsmitglied die Kompetenzen entzogen. In der Zusammenarbeit in einer Regierung muss klar sein, wer letztendlich den Ton angibt, trotz unterschiedlicher Arbeitsfelder. Wenn ein Bundeskanzler als Spitze der Regierung mit seiner Fraktion etwas vorgibt, dann haben sich die Regierungsmitglieder daran zu halten. Wenn nicht, dann muss man in den Diskurs mit dem Kanzler gehen und eine gemeinsame Vorgangsweise suchen.
Wobei in so einem Fall ein Landeshauptmann mehr Macht hat als ein Bundeskanzler.
Wie lange wird jetzt verhandelt werden, bis es eine Koalition gibt? Erhalten wir eine neue Regierung als Weihnachtsgeschenk?
Ob Weihnachtsgeschenk oder nicht, darauf kommt es nicht an. Wichtiger ist, dass die Grundsätze ordentlich ausdiskutiert werden, dass die Sachbereiche genau festgelegt werden, die man dann gemeinsam umsetzen will. Handfeste Arbeit davor ist die beste Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit danach.
Werden Sie im Hintergrund in diese Gespräche involviert sein?
Nein. Wenn jemand glaubt, dass ich aufgrund meiner Erfahrung etwas beitragen kann, dann haben die entscheidenden Exponenten meine Telefonnummer. Einmischen werde ich mich allerdings auf keinen Fall, weil ich weiß, dass es viel schwieriger ist, als Aktiver zu agieren, als sich von außen einzubringen und das auch noch lauthals nach außen zu tragen.
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