Lasst die Blauen beweisen, dass sie nicht nur Maulhelden sind

Wie mit dem Wahlsieger umgehen? Man gibt sich derzeit in der Hofburg die Klinke in die Hand. Dass es am Ende einen Kanzler Kickl geben wird, ist nicht sehr wahrscheinlich. Linke und Grüne trommelten dennoch ihre Anhänger bereits wenige Tage nach der Wahl zur „Donnerstagsdemo“ zusammen.
Eine Feministin, eine Trans-Aktivistin und ein Vertreter der jüdischen Hochschülerschaft sahen ihre Rechte durch die FPÖ bedroht. Legitim. Aber ist es illegitim, wenn Menschen die FPÖ wählen, weil sie fürchten, dass sie selbst (aber noch mehr die Vertreter der erwähnten Gruppen) von illegalen Einwanderern mit rabiat-islamischen Vorstellungen bedroht sind? Unter den Stuckdecken von Wien-Neubau wünscht man sich ein neues Volk, weil nur ein Drittel linke Politik gewählt hat. Und die Andreas-Babler-Gebetsliga (also genau jene, die über die Kurz-Jünger höhnten) macht die Medien für den Untergang ihres Messias verantwortlich: nicht anders als die FPÖ, die über „Systemmedien“ ätzt.
Wenn die SPÖ ihr Schreckgespenst einer rechten Mehrheit verhindern will, dann müsste sie selbst mit den Blauen koalieren. Nein, natürlich wird das nicht geschehen, schon gar nicht unter dem jetzigen Parteichef, dem offenbar niemand zu sagen wagt, dass er den Weg für eine neue Politik frei machen müsste. Da nimmt noch eher Karl Nehammer den Hut, wenn am Ende vielleicht doch nur Blau-Schwarz übrig bleiben sollte. Einbindung der FPÖ wäre ja vernünftig, damit sie sich wieder entradikalisiert. Aber Kanzler Kickl? Schwierige Vorstellung! Weniger wegen irgendwelcher alter Liedtexte, die riesig skandalisiert werden, sondern weil es bei der FPÖ trotz des modernsten Wahlkampfes aller Parteien personell und inhaltlich eher dünn ausschaut. Konziliante Parteikollegen wie Norbert Hofer schiebt Kickl aus der Bundespolitik ab. Verschwörungstheorien werden über FP-Kanäle massenhaft verbreitet.
Der freiheitliche Siegeszug wird demnächst auch die Länder erreichen, vor allem die Steiermark, eventuell Vorarlberg. Die dortigen ÖVP-Landeshauptleute sind keine Charismatiker. Sollte sich im Bund eine nicht zusammenpassende schwarz-rot-pinke Koalition ergeben, wächst Blau weiter. „Ein Grund für den Erfolg der Rechten liegt darin, dass man, auch wenn man selbst die falschen Antworten gibt, trotzdem die richtigen Fragen stellen kann“, schrieb ein Leser, und er hat recht.
Trotz berechtigter Sorgen müsste man die Blauen beweisen lassen, dass sie mehr sind als Maulhelden. Vielleicht sollte sogar eine (natürlich auch extrem mühsame) Allparteienregierung nach Schweizer Vorbild auf bestimmte Zeit gebildet werden. Die Probleme, die es zu lösen gibt, wären groß genug, um alle Kräfte in die Verantwortung einzubinden. Es ist nicht die Zeit der populistischen Schreihälse.
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