Michael Ludwig: "Die SPÖ ist keine Führerpartei"
Wiens SPÖ-Chef will die Polizei übernehmen, so der Bund es nicht schafft, mehr Polizisten für Wien zu gewinnen.
KURIER: Der Terroranschlag in München, der vereitelte Anschlag auf Taylor Swift-Konzerte in Wien. Haben wir ein Sicherheitsproblem?
Michael Ludwig: Wir sind in Europas Großstädten gefordert, doch wie wir nicht zuletzt im Zuge der Taylor Swift-Konzertabsage gesehen haben, arbeiten die Sicherheitsbehörden auf internationaler Ebene sehr gut zusammen. Die Bilder, die die Swifties auch dank unserer Gratis-Angebote für Öffis und Bäder in die Welt geschickt haben, waren beeindruckend. Sie haben die Botschaft aus Wien gesandt, dass man sich vom Terror nicht einschüchtern lässt.
Als Historiker gefragt: Der Anschlag in München war am Jahrestag des Olympiaattentats 1972, die Anti-Palästina-Demos, antisemitische Aussagen in einer RTL-Doku: Erstarkt der Antisemitismus gerade?
Wir müssen alles dazu beitragen, den Antisemitismus zu bekämpfen. In Wien haben wir ein sehr gutes Einvernehmen aller Religionsgemeinschaften, wozu auch der Religionsrat beiträgt, den ich eingerichtet habe. Es gibt in der Stadt eine sehr starke Allianz gegen jede Form von Rassismus, Diskriminierung und jeglichen Versuch, Religion als Waffe einzusetzen.
Derzeit ist viel von Muslimen die Rede oder vom Schutz der jüdischen Gemeinde: Ist die Stimme der christlichen Glaubensgemeinschaften laut genug oder zu leise?
Ich empfinde das Wirken der katholischen Kirche mit Kardinal Schönborn an der Spitze als sehr konstruktiv, wenn es darum geht, das Miteinander zu fördern. Als die Fahne der israelitischen Kultusgemeinde von Vandalen zerstört wurde, hat es trotz Sommerferien blitzartig eine Allianz aller Religionsgemeinschaften gegeben – von der röm.-kath.angefangen bis hin zu den Buddhisten.
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ja, ich bin seit meiner Geburt röm.-kath. und sehe den konstruktiven Beitrag, den die Kirche macht.
Wie interpretieren Sie die FPÖ-Plakate „Euer Wille geschehe“?
Ich halte es für eine Anmaßung und für richtig, dass Repräsentanten der Kirche dagegen aufgetreten sind. Religion sollte nicht für parteipolitische Zwecke missbraucht werden, insbesondere im Wahlkampf.
Ein großes Thema im Wahlkampf ist die Sicherheit. Ist das Leben in Wien sicherer oder unsicherer geworden?
Wir müssen zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist die Kriminalitätsstatistik, die ausweist, dass Wien eine der sichersten Metropolen weltweit ist. Das andere ist das subjektive Sicherheitsempfinden, das durch bestimmte Ereignisse negativ beeinflusst wird.
Wie lässt sich das subjektive Sicherheitsempfinden verbessern?
Ich fordere seit Jahren mehr Polizistinnen und Polizisten in Wien, die auch optisch sichtbar im Stadtbild erkennbar sind. Wir haben in den letzten zehn Jahren – obwohl die Bevölkerung stark zugelegt hat – in Wien nicht mehr, sondern weniger Exekutivbeamte für den eigentlichen Straßendienst. Wien hat schrittweise immer mehr Aufgaben von der Polizei übernommen wie das Melde-, Fund- oder Passwesen. Gleichzeitig unterstützen wir die Polizei.
Inwiefern?
Wir haben ein Recruiting-Center, fahren mit Bussen durch die Stadt, um Frauen und Männer für den Polizeidienst zu gewinnen. Wenn es der Bund nicht schafft, mehr Polizistinnen und Polizisten für Wien zu gewinnen, dann bin ich bereit, die Polizei zu übernehmen. So, wie wir bereits andere Blaulichtorganisationen der Stadt wie die Berufsfeuerwehr oder Berufsrettung übernommen haben. Wir hatten 2023 über 11.000 Veranstaltungen und Demonstrationen in Wien. Was man gerne vergisst: Die Demos richten sich ja nicht gegen die Stadtregierung, sondern gegen die höchsten Organe des Bundes. Deshalb erwarte ich mir auch eine entsprechende personelle Ausstattung.
Vielleicht wollen sich Menschen nicht mehr in den Polizeidienst stellen?
Es würde jedenfalls Sinn machen, den Polizeibeamten in der Bundeshauptstadt einen Bonus zu zahlen, weil sie allein 2,5 Millionen Überstunden leisten. Eine finanzielle Aufwertung würde auch die Attraktivität des Berufs erhöhen.
Was halten Sie davon, dass wie von Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp vorgeschlagen, das Bundesheer Polizeiarbeit übernimmt?
Die Polizei soll Polizeiarbeit versehen und ich bin sicher, dass durch mehr Anreize auch mehr Menschen in den Beruf wollen.
Fühlen Sie sich als Bürger in Wien sicher?
Ich habe in keinem Teil der Stadt auch nur irgendein Unsicherheitsgefühl.
Auch nicht in Favoriten?
Favoriten ist ein sehr lebenswerter Bezirk und von der Einwohnerzahl vergleichbar mit der drittgrößten Stadt Österreichs: Linz. Favoriten hat übrigens halb so viele Polizisten wie Linz.
Umgekehrt: Müssen wir uns daran gewöhnen, dass eine Millionenmetropole wie Wien Bezirke hat, die sich so verändern wie Favoriten mit seinem hohen Ausländeranteil oder die Mariahilfer Straße mit Leerstand und Obdachlosigkeit?
Natürlich sind wir einem Wandel unterworfen: Andere Regionen schrumpfen – Wien wächst. Das bringt Veränderung mit sich, aber die Stadt interveniert überall dort stark, wo das subjektive Sicherheitsempfinden beeinträchtigt wird.
Wo interveniert die Stadt?
Wir kümmern uns um Obdachlose, die besonders aus den Bundesländern und dem Ausland zu uns kommen und im öffentlichen Raum eine Kultur leben wollen, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung einschränkt. Ein anderes Beispiel: Als ich Bürgermeister wurde, habe ich durchaus gegen Widerstände ein Alkoholverbot am Praterstern verhängt. Gemeinsam mit dem Bund wurde ein Waffenverbot verhängt, was in Kombination dazu führte, dass der Praterstern sicherer wurde und mich darin bestärkt, ein Waffenverbot für die gesamte Stadt zu fordern. Spannend finde ich ja, dass genau die Parteien jetzt Sicherheit zum Thema machen, ein Vierteljahrhundert das Innenministerium geführt haben.
Wünschen Sie sich, dass das Innenministerium nach der Wahl rot wird?
Ich würde mir wünschen, dass das Innenministerium auf die Bedürfnisse des Bundeslandes eingeht, das dem Ressort sehr unterstützend zur Seite steht. Dass wir überhaupt Herausforderungen wie jene der Zuwanderung haben, hängt damit zusammen, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, eine sinnvolle Verteilung in Österreich vorzunehmen.
Das viel zitierte Beispiel der syrischen Familie, die mit sieben Kindern 4.600 Euro an Unterstützung bekommt, ist keine Sogwirkung für Wien.
Schauen wir uns die Fakten an: Wien liegt bei der Mindestsicherung genau im Durchschnitt. Österreichweit beträgt sie 743 – in Wien liegt sie bei 748 Euro pro Kopf, fünf Bundesländer geben geringfügig weniger, drei geringfügig mehr als Wien aus. Wir behandeln im Gegensatz zu anderen jedes Kind gleich. Die SPÖ handhabt das seit den 1970ern so, denn die damalige Kinderbeihilfe, die heutige Familienbeihilfe wird ebenfalls für jedes Kind in gleicher Höhe ausbezahlt. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Das degressive Modell wurde vom Verfassungsgerichtshof übrigens aufgehoben, weswegen wir uns bestätigt sehen.
Man kann Dinge ja auch überdenken.
Natürlich, deshalb plädiere ich auch für eine einheitliche Regelung. Diese hat es schon gegeben, wurde aber von ÖVP und FPÖ aufgehoben. Alle, die berufstätig sein können und zwischen 15 bis 65 Jahren alt sind, sollten die Mindestsicherung vom AMS ausbezahlt bekommen – auch, um schneller wieder Arbeit zu finden. Zusammen mit einem zweijährigen Integrationsprozess, einer Residenzpflicht und einer Kindergrundsicherung würden sich viele derzeitige Fragen gar nicht stellen.
Frage zum Wahlprogramm der SPÖ: Warum sollte man sie am 29. September wählen?
Die SPÖ ist die Partei, die gegen einen massiven Sozialabbau auftritt, denn die jetzige Regierung hinterlässt ein budgetäres Desaster. Alle Wirtschaftsforscher sind der Auffassung, das Budget muss wieder in Balance gebracht werden – und zwar in der Größenordnung zwischen 2 und 5 Milliarden Euro.
Werden wir sparen müssen?
Sparen ist ja per se ein positiver Begriff. Aber ich warne vor Sozialleistungskürzungen. Es gibt nur zwei Möglichkeit: Entweder, man zieht jene heran, die in den letzten Jahren stärker profitiert haben…
Wer hat profitiert?
Jene, bei denen das Vermögen stärker gestiegen ist als die Einnahmen aus Arbeit. Oder man entlastet Arbeit und zieht jene stärker heran, die breitere Schultern haben. Mich wundert, dass man so unkritisch mit den Programmen von ÖVP und FPÖ umgeht, denn während man bei uns jeden Punkt der Gegenfinanzierung wissen will, fragt man bei ihnen nicht nach den Größenordnungen von vier Milliarden nach.
ÖVP-Chef Karl Nehammer will den wirtschaftlichen Kuchen größer backen, wie er sagt.
Das ist sehr löblich, aber nur ein Teil, der dazu beitragen kann. Leider gibt es nämlich auch keine Signale, dass die Wirtschaft wächst. Im Gegenteil: Ich mache mir große Sorgen, was den Arbeitsmarkt betrifft, denn die Arbeitslosigkeit steigt. In Wien zwar erfreulicherweise geringer als in anderen Bundesländern, aber dort steigt sie teils zweistellig. Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung gegen Arbeitslosigkeit.
Zurück zur SPÖ. Ihre internen Querelen machten jüngst wieder Schlagzeilen …
… die SPÖ ist erfreulicherweise keine Führerpartei.
Michael Ludwig
(63) ist seit Mai 2018 Bürgermeister und Landeshauptmann der Bundeshauptstadt. Zudem ist der Wiener SPÖ-Chef Präsident des Österreichischen Städtebundes.
Von 2007 bis 2018 war er amtsführender Stadtrat in Wien für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung. Ludwig studierte Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und dissertierte über die DDR-Staatspartei SED
41,62 Prozent
der Stimmen erhielt die SPÖ bei der Landtags- und Gemeinderatswahl 2020 und regiert seither mit den Neos (7,74 %). 2025 wird in Wien ein neuer Landtag gewählt
Wer ist denn eine Führerpartei?
Ich erinnere daran, dass der Bundesparteivorsitzende der FPÖ stolz verkündet, dass er als rechtsextrem eingestuft wird. Er trägt das wie einen Orden. Bei uns hingegen gibt es immer die Einladung, sich inhaltlich einzubringen und gemeinsam ein Programm zu erstellen. Die Wiener Landesorganisation ist immer loyal jener Person gegenüber, die an der Spitze der Partei steht.
Das sieht nicht jeder so. Ärgert Sie das?
Alle sind erwachsene Menschen und es liegt nicht an mir, sie zu ermahnen.
Wird am 1.Mai 2025 Andreas Babler mit Ihnen am Rathausplatz stehen?
Ich gehe davon aus, dass er an meiner Seite stehen wird, wenn ich als Wiener Parteichef die größte Parteiveranstaltung begleiten werde.
In welcher Funktion?
Hoffentlich als Bundeskanzler.
Unabhängig vom Wahlausgang: Sehen Sie Schnittmengen zwischen SPÖ und FPÖ?
Ich sehe keine und werde fast täglich darin bestätigt. Eine Partei, die spaltet und von Fahndungslisten spricht, ist keine Partei, mit der ich mir nur irgendetwas vorstellen kann.
Zum Schluss: Hans Peter Doskozils Buch hat die Bedeutung und den Einfluss der Freimaurer innerhalb der SPÖ thematisiert. Gibt es diesen Einfluss?
Sie müssen den Landeshauptmann des Burgenlands fragen, was er damit gemeint hat.
Dass die Logen eine Bedeutung für die Partei haben – wie in anderen der Cartellverband oder Burschenschaftenwürden Sie in Abrede stellen?
Es mag wie überall in der Gesellschaft Überschneidungen geben – so, wie auch ZB Kirchen überall vertreten sind.
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