Tempo 100 und Vorräte anlegen: Was Experten der Regierung in der Krise raten
Covid-Pandemie, Ukraine-Krieg, Teuerung und der Klimawandel: Auf diese aktuellen Krisen muss die Politik kurz- und langfristig reagieren. Momentan geht es in erster Linie darum, Gasspeicher zu füllen und Abhängigkeiten von Russland zu reduzieren. In Zukunft ist aber prinzipiell ein Umstieg auf erneuerbare Energien nötig, um bis 2040 klimaneutral zu werden. Wie können diese unterschiedlichen Ziele in Einklang gebracht werden?
Der wissenschaftliche Beirat des Ökosozialen Forums, rund um Fiskalrat-Präsident Christoph Badelt, präsentierte am Montag ein Expertenpapier mit zentralen Handlungsempfehlungen. "Wir waren uns sicher, dass wir jetzt in dieser Kombi-Krise sehr zielgerichtete Maßnahmen brauchen", sagt Badelt. Wie diese politischen Maßnahmen aussehen sollen und welchen Beitrag die Bevölkerung selbst leisten muss:
1. Abhängigkeiten reduzieren
Was unterscheidet die Klimakrise von der Corona-Krise? "Sie beginnt sehr stetig und langsam, hat aber eine exponentielle Komponente, die erst zu einem späteren Zeitpunkt auftritt", sagt Michael Staudinger, emeritierter Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Heißt: Das Verhalten von Gestern beeinflusst künftige Kipppunkte - etwa das Schmelzen von Eisschilden oder das Absterben des Amazonas-Regenwaldes.
Vor diesem Hintergrund und auch wegen des Ukraine-Krieges ist es kurz- und mittelfristig sinnvoll, Österreichs Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren. Dafür empfiehlt Staudinger ein Bündel an Maßnahmen.
Es müssten Vorratslager für Energie-Rohstoffe angelegt werden - nicht nur beim Gas, auch bei Lebensmitteln, um Preisschwankungen auszugleichen. Gleichzeitig müsse man Holz als regenerativen Baustoff sowie Biogas und Geothermie stärker nutzen und ausbauen, so Staudinger.
2. Maßnahmen mit klaren Zielvorgaben
Es sei nicht zielführend, Erdöl, Erdgas und andere fossile Rohstoffe generell zu verbilligen, betont Badelt. Damit meine er etwa eine mögliche Senkung der Mehrwertsteuer auf fossile Brennstoffe, eine Preisobergrenze bei Treibstoffen oder die kürzlich erhöhte Pendlerpauschale. "Wir glauben nicht, dass es gescheit ist, mit irgendwelchen generellen Maßnahmen die Energiepreise zu senken, weil an und für sich die Preise ein gutes Signal für die Knappheit sind", sagt Badelt.
Das Forum empfiehlt stattdessen Maßnahmen, die soziale, ökonomische und ökologische Ziele verfolgen:
- Im Bereich der Wärme soll die Regierung Szenarien erarbeiten, wie der Gasverbrauch für den kommenden Winter reduziert werden kann. Das Ökosoziale Forum empfiehlt unter anderem auch eine maximale Raumtemperatur von 20 Grad Celsius in öffentlichen Gebäuden, um beim Heizen zu sparen.
- Bei der Mobilität empfehlen die Experten - wieder einmal - Tempo 100 auf allen Autobahnen, die Förderung von Homeoffice oder einen schnelleren Ausbau von Öffis, Rad- sowie Fußgängerwegen.
- Um die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren, brauche es zielgerichtete Förderungen für Unternehmen, aber auch eine Informationsoffensive für die Bevölkerung. Wie lange halten sich Lebensmittel? Was bedeutet das Haltbarkeitsdatum auf der Verpackung? Wie lagert man Essen richtig? Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln: Dieser Punkt sei aus technischer Sicht regional am ehesten umsetzbar, meint Staudinger.
- Schlussendlich empfiehlt das Forum noch den Umstieg auf eine Kreislaufwirtschaft: "Das ist der Schlüssel zur Aufrechterhaltung des Wohlstands, den wir gewohnt sind", meint Badelt. Seltene Rohstoffe gehen zur Neige. Wie können sie rückgewonnen werden? Dafür brauche es schnellstmöglich eine Strategie.
3. Informations-Offensive und Anreize
Die Bundesregierung sei nun aufgerufen, Szenarien für Unternehmen, Haushalte und Individuen zu erarbeiten, die "eine längere Planbarkeit ermöglichen", heißt es im Forderungspapier. Dafür nötig: eine Informationsstrategie. Hier sei die richtige Info-Dosis entscheidend, um eine Verhaltensänderung herbeiführen zu können, sagt Bettina Fuhrmann, Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der WU Wien. "Es geht darum, den Sachverhalt nicht zu drastisch darzustellen, ihn aber natürlich auch nicht zu verharmlosen."
Fuhrmann empfiehlt der Regierung eine klimafreundliche Kampagne, bei der sie mit positiven Anreizen arbeitet. Das könnten beispielsweise regionale Wettbewerbe sein: Welche Gemeinde spart am meisten Energie? Wer kommt am umweltfreundlichsten zur Schule? Bei der Lebensmittel-Verschwendung sei es außerdem sinnvoll, klare Rechenmodelle zu präsentieren, wie viel (Geld) wir im täglichen Verbrauch überhaupt wegschmeißen. "So kann ich die Verlust-Aversion der Menschen ansprechen und Bewusstsein für ökonomisches und ökologisches Denken schaffen", meint Fuhrmann.
"Aufs Gas steigen"
Ohne Verpflichtungen - wie Tempo 100 auf Autobahnen - wird es nicht gehen, weiß die Expertenrunde. Das betrifft auch die Stromerzeugung. Vorarlberg, Tirol und Salzburg haben keine einzige Windkraftanlage, in Kärnten gibt es derer spärliche zwei. "Für manche Bundesländer wäre es sinnvoll, wenn die Zahl der Windräder nicht kleiner sein darf, als die Zahl der Seilbahnstützen", meint Badelt augenzwinkernd.
Im Ernst: Auch wenn Politiker davor traditionell Angst haben, ohne großes Hin-und-Her und mit klaren Ansagen könnten auch unpopuläre wirtschaftspolitische Maßnahmen kommuniziert werden, ohne sofort Wahlen zu verlieren, glaubt Badelt. Er empfehle der Regierung, auch wenn der Ausdruck metaphorisch nicht mehr ganz passend sei, "aufs Gas zu steigen".
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