Gewessler widerspricht Mikl-Leitner bei Windrädern: "Das geht nicht"

Gewessler widerspricht Mikl-Leitner bei Windrädern: "Das geht nicht"
Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler arbeitet an einem Plan zum Ausstieg aus russischem Gas bis 2027 – und nimmt alle, auch Bundesländer und Gemeinden, in die Pflicht.

KURIER: Frau Ministerin, sollte morgen – aus welchen Grund auch immer – kein Gas mehr aus Russland fließen, hat die Republik nicht wirklich einen Plan, oder?

Leonore Gewessler: Österreich ist heute zu 80 Prozent abhängig vom russischen Erdgas, das macht uns erpressbar, ist gefährlich, und wir sehen jetzt mit Blick auf die Ukraine, wie schmerzlich das ist. Letztlich ist es das Ergebnis der Politik der vergangenen 15 Jahre, in denen einfach zu wenig getan wurde, um die Abhängigkeit zu verringern. Deswegen arbeiten wir jetzt an einem Ausstiegsplan. Und parallel dazu haben wir alle Pläne für den Ernstfall vorbereitet.

Aber geht es bei einem Gas-Embargo nicht auch um Moral? Nach dem Motto „lieber ein bisschen wärmer anziehen und dafür Leben retten“?

Es geht im Falle eines Gasstopps nicht um zwei Grad weniger in der Wohnung, sondern um Produktionsrückgänge, Arbeitslosigkeit und Armut. Also um eine Situation, die wir weniger lang durchhalten als Herr Putin.

Wie soll der Ausstiegsplan also aussehen? EU-Kommissionschefin von der Leyen will ab 2027 kein russisches Gas oder Öl importieren.

Ja, das geht nicht von heute auf morgen und 2027 ist, ehrlich gesagt, sehr ambitioniert. Jeder Ausstiegsplan hat drei Säulen: Gasverbrauch reduzieren oder ganz verzichten etwa durch Gasheizungstausch und den Umstieg auf grünen Strom. Zweitens heimische Produktion erhöhen, also Ausbau von Wasserstoff- und Biogasproduktion. Und drittens neue Lieferländer suchen, diversifizieren, z.B. mehr aus Norwegen oder Flüssiggas. Wir beteiligen uns da an einer gemeinsamen EU-Beschaffungsplattform, denn das geht nur mit einem europäischen Schulterschluss.

Aber wir versuchen ja gar nicht, den Gasverbrauch zu reduzieren – fast alle Landesenergieversorger bewerben aktuell Gasheizungseinbau. Das ist nicht glaubwürdig.

Also im Jahr 2022, in dieser Situation, kann man doch niemandem guten Gewissens sagen, bau dir eine Gasheizung ein. Auf so eine Heizung müsste man ein Pickerl geben: „Achtung, macht abhängig von russischem Erdgas“. Nicht zuletzt treiben die hohen Erdgaspreise unsere Inflation und Kosten in die Höhe. Die Sonne schickt uns keine Rechnung, die Gazprom schon. Wir fördern daher den Umstieg mit bis zu 7.500 Euro, oder hundert Prozent für die untersten Einkommensschichten.

Sind Konsequenzen aus dem Krieg, wie der höhere Spritpreis, nicht etwas, das den Grünen entgegenkommt?

Wir reden gerade von einem Angriffskrieg in Europa und den Effekten. Einer davon ist ein Preisschock, den es abzufedern gilt. Krieg ersetzt keine Klimapolitik , und ein Preisschock ist kein Plan, wie wir den Umstieg auf zukunftsfähige Energieversorgung, die uns unabhängig macht von Russland, umsetzen können.

Gewessler widerspricht Mikl-Leitner bei Windrädern: "Das geht nicht"

Drei Stufen hat Gewesslers Ausstiegsplan aus dem russischen Gas.

Aber wenn Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner sagt, sie will keine neuen Windräder mehr, stockt nicht auch der Ökostromausbau enorm?

Es wird uns nur gelingen, wenn wir alle an einem Strang ziehen, das heißt, auch die Länder und die Gemeinden, weil wir ja die Flächen für die Energiewende und die Windräder brauchen. Zu sagen: „Klar, aber nicht bei mir“, geht sich nicht mehr aus. Und ich glaube, die Menschen in unserem Land haben dafür auch kein Verständnis mehr. Jedes Windrad ist ein Zeichen für mehr Freiheit und Unabhängigkeit von Russland.

Das Erneuerbaren Wärmegesetz will ein Einbauverbot von Gasheizungen im Neubau ab 2023 und einen sukzessiven Tausch bestehender Öl- oder Gas-Geräte ab 2025. Aber was sollen Mieter einer Wohnung mit Gastherme machen?

Für die Heizung ist der Eigentümer verantwortlich. Da haben wir einiges an Förderung und steuerliche Absetzbarkeit von Sanierungsmaßnahmen, und es braucht rechtliche Maßnahmen, damit auch im Wohnbau das Klimaziel 2040 machbar wird.

Die grüne deutsche Außenminister Annalena Baerbock sagt, für sie seien Waffenlieferungen in die Ukraine kein Tabu. Auch für Sie?

Diese Entscheidung muss Deutschland treffen. Österreich ist ein neutrales Land, das heißt, auch wir helfen mit anderen Mitteln: Schutzausrüstung, Einsatzfahrzeuge und vieles mehr. Aber auch, wir müssen uns im Falle des Falles verteidigen können. Dazu braucht das Bundesheer Finanzmittel. Aber wir haben in Österreich auch eine Geschichte von Rüstungskauf und Korruption, darum müssen wir da sehr genau hinschauen.

Nach dem, was inzwischen alles bekannt ist: Halten Sie die ÖVP für eine grundsätzlich korrupte Partei?

Wenn ich momentan nach Vorarlberg schaue, denke ich mir, es ist notwendig, dass diese Vorgänge aufgeklärt werden. Ich werde nicht von hier aus etwas ausrichten, aber ich glaube, wir haben eine gemeinsame Verantwortung, damit das Vertrauen in die Politik nicht weiter erschüttert wird.

Aber die Wirtschaftskammer Wien und der Verfassungsexperte Heinz Mayer meinen, Ihr Nein zum Lobautunnel sei rechtswidrig!

Ich bin nicht nur Klimaschutzministerin, ich bin auch Infrastrukturministerin. Meine zentrale Aufgabe ist, staatliche Infrastruktur vernünftig zu planen. Das heißt, wir müssen uns anschauen, was man braucht, um gut und klimaverträglich mobil sein zu können. Deswegen werden Projekte, wie der Lobau-Tunnel nicht weiterverfolgt. Und das darf ich natürlich auch. Wir haben in der Vergangenheit immer versucht, Verkehrsprobleme mit mehr Straßen zu lösen. Mehr Straßen heißt aber einfach nur mehr Verkehr.

Themenwechsel: Am 30. April ist der grüne Bundeskongress, auf dem Sie wohl zur Vizeparteichefin gewählt werden. Ist die Basis zufrieden mit der Regierungsarbeit der Grünen?

Unsere Regierungsperiode lief bisher im Krisenbewältigungsmodus. Die Grünen sind eine enorm verantwortungsvolle Partei, die Dinge ausdiskutiert. Das macht uns stark.

Es wird gemunkelt, dass Sie Werner Kogler schon bald als Bundessprecherin nachfolgen könnten. Wenn er Sie fragt, sagen Sie dann ja?

Werner Kogler kandidiert in einer Woche erneut als Parteiobmann. Er bekommt mit voller Überzeugung meine Stimme. Alles andere steht nicht zur Debatte.

Gibt es Themen, die Ihnen abseits von Klima und Umwelt politisch am Herzen liegen?

Klimapolitik ist ja kein rein technisches Thema, bei dem man sich nur anschaut, wie Photovoltaik funktioniert. Wir reden da über große Veränderungen in unserer Gesellschaft, die brauchen einen ganzheitlichen Blick. Das geht von Sozial- und Wirtschaftspolitik zur Bildungs- und auch zur Frauenpolitik. Und ja, ich bin auch Feministin.

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