Sollen wir russisches Gas boykottieren? Und womit ersetzen?
Russland profitiert derzeit enorm von den hohen Energiepreisen. Europas Öl- und Gasimporte verhelfen dem Kreml zu täglichen Einnahmen in Milliardenhöhe. Die Diskussion um einen Boykott Europas von russischen Energielieferungen nehmen zu.
Da ein plötzlicher Lieferstopp einige Staaten wie Deutschland, Österreich oder auch Ost-Staaten wie Ungarn hart treffen würden, scheint eine Einigung schwierig, obwohl auch die Ukraine und deren Präsident Druck machen, die Importe aus Russland zu stoppen, da sie nur das Leid der Ukrainer vergrößern würden. In Österreich sind sich die Parlamentsparteien zumindest einig, dass ein sofortiger Stopp zum Schaden des Landes wäre (siehe unten).
Die Europäer trifft außerdem derzeit die Inflation hart, laut Statistik Austria kletterte die Inflationsrate im März im Jahresvergleich auf 6,8 Prozent. Starke Preistreiber waren einmal mehr die Spritpreise sowie die weiterhin hohen Preise für Haushaltsenergie. Wohnung, Wasser und Energie kosteten durchschnittlich um 9,7 Prozent mehr.
Energieerzeuger profitieren
Freuen können sich dafür die Energieerzeuger: Die Wirtschaftswissenschaften kennen einen sogenannten "Marktlagengewinn", vielleicht besser bekannt als "windfall profit": Gemeint ist damit ein plötzlicher, außergewöhnlicher und unerwarteter Gewinn eines Unternehmens durch eine Veränderung der Marktentwicklung. Und das haben wir gerade bei einigen Energieversorgern.
Dazu muss man wissen, dass der Strompreis nach der "Merit-Order"-Regelung bestimmt wird: Diese sagt, dass das teuerste Kraftwerk den Strompreis bestimmt. (Denn schaltete man dieses wegen Unrentabilität ab, würde dem Netz Strom fehlen, und wir hätten einen Blackout.)
Gewinne abschöpfen?
Die teuersten Kraftwerke sind derzeit, wegen der hohen Gaspreise, die Gaskraftwerke. Was aber nicht unbedingt einleuchtend ist, schließlich rühmt sich Österreich, fast 80 Prozent der Stromproduktion aus Erneuerbaren Kraftwerken, vor allem Wasser und Wind, zu generieren. Weder Wasser noch Wind sind teurer geworden, daher profitieren die Stromproduzenten aktuell enorm von den hohen Gaspreisen – und fahren überraschend hohe Gewinne ein.
Dass diese vom Staat einfach "abgeschöpft" werden können, zeigt gerade Italiens Premier Mario Draghi, der sich aus einer Sondersteuer rund 4 Milliarden Euro erwartet.
Sigrid Stagl, Klimaökonomin der WU Wien, schlägt das der Regierung ebenfalls vor – oder aber, so die Ökonomin zum KURIER, könnten die Energieversorger verpflichtet werden, den Ausbau der Erneuerbaren Energien und der dafür nötigen Hochspannungsnetze stark zu beschleunigen: "Der britische Premier Tony Blair hatte das einst gemacht – und das durchaus erfolgreich."
Der KURIER hat die Energiesprecher der Fraktionen befragt:
Sind Sie für einen Boykott von russischem Gas/Öl?
Tanja Graf (Energiesprecherin ÖVP):
"Ein Boykott oder Embargo sollte immer jene treffen, die auch sanktioniert werden sollen. Hier wäre das Gegenteil der Fall: Wir – ebenso wie andere Staaten – würden unseren Unternehmen und der Bevölkerung nichts Gutes tun, indem wir russisches Gas boykottieren. Im Gegenteil: Das wäre eine Gefahr für das Funktionieren unserer Volkswirtschaft. Energie-Experten warnen vor einem kompletten Lieferstopp von russischem Gas nach Europa. Das würde eine sofortige Rezession auslösen.
Ebenso wie beim Gas gilt auch beim Öl, dass es nicht das Ziel sein kann, durch Boykott-Maßnahmen sich selbst zu schaden. Klar ist, dass es Alternativen zu fossilen russischen Energieträgern braucht – und daran arbeiten wir in Bundesregierung und Parlament."
Lukas Hammer (Energiesprecher Grüne):
"Angesichts des brutalen Angriffskriegs in der Ukraine ist es notwendig, dass die EU geeint und mit aller Entschlossenheit gegenüber Russland auftritt. Sanktionen sind daher auf EU-Ebene gemeinsam zu entscheiden. Nichts spielt Putin mehr in die Hände, als eine Spaltung zwischen den Mitgliedstaaten. Es ist deshalb notwendig, dass auf die besonderen und unterschiedlichen Herausforderungen der Mitgliedstaaten eingegangen wird und Konsequenzen solidarisch gemeinsam getragen werden. Gerade Österreich ist besonders abhängig von russischem Erdgas.
Die Politik hat in den letzten zwanzig Jahren nichts dagegen unternommen diese Abhängigkeit zu reduzieren. Ganz im Gegenteil, sie wurde oftmals gefördert. Durch neue Lieferverträge, durch Einladungen und ähnliches. Jetzt sind wir in der äußerst herausfordernden Situation, dass Österreich nicht von heute auf morgen auf russisches Erdgas verzichten kann, bei Erdöl sind unsere kurzfristigen Möglichkeiten größer. Das schmerzt aber das ist die bittere Wahrheit.
Wir müssen bei Sanktionen darauf achten, dass sie nicht uns mehr weh tun - und vor allem dass wir sie länger durchhalten - als Russland. Umso wichtiger ist, dass wir jetzt sofort beginnen, unsere Abhängigkeit von Öl und Gas zu reduzieren. Denn nur dann bekommen wir den notwendigen Handlungsspielraum für die Zukunft."
Alois Schroll (Energiesprecher der SPÖ):
"Nein. Ein Boykott von russischem Gas würde zu gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen führen. Zudem hat es die Bundesregierung bislang nicht zusammengebracht, alternative Quellen zu erschließen oder den Bedarf drastisch zu senken (durch Energieeinsparungen oder Energieträgerwechsel).
Die Abhängigkeit von russischem Erdöl ist in Österreich zwar viel geringer als bei Erdgas, dennoch sollte die Regierung zuerst einen Plan vorlegen, wie die bisherigen Mengen an Rohöl und Ölprodukten ersetzt und die Preisanstiege nach einem Öl-Embargo abgefedert werden sollen, bevor man sich zu diesem Schritt entschließt."
Axel Kassegger (Energiesprecher der FPÖ):
"Nein, wir sind gegen einen Boykott, weil wir damit unsere Industrie, damit unseren Wohlstand und die Sicherheit unseres Stromnetzes, aber auch die Versorgung unserer Haushalte mit Wärme massiv in Gefahr bringen würden. Beim Öl gibt es bessere Alternativen, da sind wir auch viel weniger abhängig von Russland."
Karin Doppelbauer (Energiesprecherin der Neos):
"Es steht außer Zweifel, dass Europa und somit auch Österreich mit dem Import von russischem Gas Putins völkerrechtswidrigen Krieg finanziert. Die große Abhängigkeit Österreichs von Russland ist den Bundesregierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte zu verdanken. Alle Sanktionen müssen auf den Tisch, weil ein Ende mit Schrecken immer noch viel billiger ist als ein Schrecken ohne Ende.
Ein Embargo stellt eine Möglichkeit dar, um die Einnahmen von Russland aus den Gasexporten zu reduzieren. Alternativ könnte man auch hohe Zölle einführen, die einen ähnlichen Effekt haben könnten oder die Auszahlungen auf einem Treuhandkonto einfrieren und die Auszahlung an die Bedingung eines Waffenstillstands binden.
Einen sofortigen Importstopp von russischem Gas sehen wir kritisch, weil dies Energielenkungsmaßnahmen zur Folge hätte und weite Teile der Industrie gezwungen wären, ihre Produktion einzustellen. Ein derartiges Szenario ist für Österreich mittelfristig wirtschaftlich nicht verkraftbar.
Und ja, Neos sprechen sich für ein Boykott von russischem Öl aus, wenngleich auch dies eine Teuerung mit sich ziehen würde, da bestehende Infrastrukturen nur nach und nach auf die geänderte Nachfrage und Liefermengen reagieren können."
Was wären Alternativen für das russische Gas?
Tanja Graf (ÖVP):
"Es ist bekanntlich unser Ziel, die fossilen Energieträger durch erneuerbare Formen der Energiegewinnung zu ersetzen. Das ist ein weiter Weg, der auch unter Rücksichtnahme auf die Unternehmen und den Wirtschaftsstandort zu beschreiten ist. Das bedeutet, dass es gilt, neben Wind- oder Wasserkraft und Solarenergie auch im fossilen Bereich nach alternativen Lieferanten zu suchen. Das ist ja auch bereits – etwa im arabischen Raum – geschehen."
Lukas Hammer (Grüne):
"Zunächst einmal muss gesagt werden, dass der Ausstieg aus fossiler Energie, den wir Grünen seit 30 Jahre fordern und nun auch mit der Energieministerin massiv vorantreiben, der beste Weg ist, um von russischem Gas unabhängig zu werden.
Kurzfristig können wir aber nicht alle Fehler der Vergangenheit wieder gut machen. Deshalb braucht es eine Diversifizierung der Lieferungen, das heißt Gas aus anderen Quellen. Auch der Ausbau der Grüngasproduktion wird eine wichtige Rolle spielen. Zudem ist die Energieeffizienz, also die nicht verbrauchte Energie zentral – jede kWh, die wir NICHT verbrauchen, macht uns von Putin und anderen autokratischen Regimen unabhängiger."
Alois Schroll (SPÖ):
"Jahrzehntelang hat Österreich wirtschaftlich von den sicheren und günstigen Gaslieferungen aus Russland profitiert, sodass sie ein Ausmaß erreicht haben, das jetzt nicht kurzfristig ersetzbar ist. Neben der Diversifizierung der Lieferanten und dem tatsächlichen Ausbau Erneuerbarer Energie – nicht nur in Ankündigungen! – wäre es sinnvoll, viel stärker auf die Steigerung der Energieeffizienz zu setzen. Damit macht man sich auch widerstandsfähiger gegen hohe Preise. Seit 1.1.2021 haben wir aber kein gültiges Energieeffizienzgesetz mehr, weil die Regierung nicht in der Lage ist, sich darauf zu verständigen."
Axel Kassegger (FPÖ):
"Alternativen sehe ich kurz- und mittelfristig keine. Und wer glaubt, wir können das mit Erneuerbaren Energien kompensieren, hat nichts vom Energiemarkt verstanden. Wir importieren derzeit etwa 100 TWh Gas aus Russland, und das Ausbauziel der Regierung für Ökostrom liegt bei 27 TWh, und da muss man bezweifeln, dass das erreicht werden kann."
Karin Doppelbauer (Neos):
"Neben einer Diversifizierung der russischen Gaslieferungen etwa durch Gaslieferungen aus Norwegen, fordern wir NEOS unter anderem einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren durch Entbürokratisierung, erleichterte Netzanschlüsse sowie schnellere UVP Verfahren, eine Erhöhung der Rate der thermischen Sanierungen, eine Ende von Neubauten mit Gas ab 2023 sowie die Behebung des Fachkräftemangels für eine schnellere Energiewende."
Sollen die E-Versorger höhere Steuern zahlen?
Tanja Graf (ÖVP):
"Klar ist, dass eine erhöhte Nachfrage auch zu einem Preisanstieg und damit zu mehr Gewinn bei den jeweiligen Unternehmen führt – wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen auch. Die heimischen Energieversorger investieren Gewinne traditionell in einen Ausbau von Infrastruktur und Erhöhung der Versorgungssicherheit – das ist ein wichtiger Beitrag, der allen zugutekommt. Insbesondere für die Energiewende – wir brauchen dazu auch die notwendigen und sicheren Netze.
Es gibt auch vorzeige Eigentümer wie in meinem Bundesland Salzburg bei der Salzburg AG: Hier werden 40% der Dividende somit rund 12 Millionen Euro für die Finanzierung des Anti-Teuerungspakets verwenden. Eine generelle Strompreissenkung wäre weniger treffsicher als ein Anti-Teuerungspaket, das sich speziell an Niedrigverdiener richtet.
Wir als Volkspartei haben daneben gemeinsam mit den Grünen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bereits zwei Anti-Teuerungspakete im Gesamtausmaß von 3,7 Milliarden Euro auf den Weg gebracht."
Lukas Hammer (Grüne):
"Der liberalisierte Markt stößt angesichts der Krise an seine Grenzen – das sehen wir zum Beispiel auch daran, dass vor dem letzten Winter nicht genug Gas eingespeichert wurde. Die Politik hatte hier keine rechtlichen Grundlagen um Unternehmen vorzuschreiben, genüg Gas einzulagern. Einige Unternehmen machen derzeit hohe Gewinne. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass die Energieversorger noch längst nicht alle Preissteigerungen des Markts an die Kundinnen und Kunden weitergegeben haben.
Uns ist es wichtig, dass die Kundinnen und Kunden nicht die alleinige Last tragen müssen – es wird daher zu diskutieren sein, wie und in welcher Form die EVU, die ja zumeist im Eigentum der Länder sind, ihren Teil der Verantwortung tragen müssen. Ich habe nur wenig Verständnis dafür, dass sämtliche Gewinne bei den Unternehmen bleiben, die Risiken und Verluste aber von allen getragen werden. Wir haben bereits Entlastungspakete in der Höhe von vier Milliarden Euro beschlossen, um die sehr hohen Energiepreise abzufedern. Sollten weitere kurzfristige Maßnahmen notwendig sein um diejenigen zu unterstützen die sich nicht selbst helfen können, werden wir das natürlich tun."
Alois Schroll (SPÖ):
"Ja. Die SPÖ hat bereits gefordert die Krisengewinne der Energieversorger abzuschöpfen. Völlig unverständlich ist aber, wieso sich die österreichische Bundesregierung bislang vehement gegen eine Reform des Strommarktdesigns gestellt hat. Mit dem aktuellen Preisbildungsmechanismus profitieren ja nicht nur Ökostromerzeuger, sondern auch die Atom-Lobby. Das kann ja nicht ernsthaft die österreichische Position sein."
Axel Kassegger (FPÖ):
"Das sollten wir auf jeden Fall machen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Wir stellen seit Monaten entsprechende Anträge, die von ÖVP, Grünen und Neos niedergestimmt werden. Die SPÖ ist da ähnlicher Meinung wie wir. Die Landesenergieversorger sind ja im Eigentum der öffentlichen Hand, und damit von uns!"
Karin Doppelbauer (Neos):
"Aufgrund dieser Regelung zahlt der Konsument auf der einen Seite derzeit den höchsten Preis – und auf der anderen Seite fahren Energieversorger Gewinne in Milliardenhöhe ein, weil kein wirklicher Preiswettbewerb stattfindet. Die Bundesregierung muss hier tätig werden – einerseits mit Entlastungsmaßnahmen, wie der Abschaffung der Kalten Progression, der Senkung der Lohnnebenkosten oder der zielgerichteten Unterstützung der ärmsten Haushalte.
Andererseits sollen Anreize gesetzt werden, um den Energieverbrauch zu senken. Dem Verbraucher muss mehr Geld im Börsel bleiben, um selbstbestimmt entscheiden zu können, wofür er sein Geld ausgibt."
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