Kampf um die Straße: Linz, eine überforderte Stadt
Bereits zwei Mal haben sich die beiden Männer eine neue Position am Tresen des Würstelstands gesucht – und dafür sogar ihre politische Fachsimpelei unterbrochen. Eben noch wurde über Verkehrsministerin Leonore Gewessler geschimpft („Mit fremdem Geld kann ich das auch, was die macht“), jetzt deutet einer der Männer mit seiner Flasche Bier in Richtung Platz. „Von hier aus hat man den besten Blick.“
Was es zu beobachten gilt? Eine Polizeikontrolle. Zwischen Würstelstand, Maroniverkäufer und Brunnen stehen Polizeibusse, ein Dutzend Uniformierter – und ein Grüppchen Jugendlicher. Das Blaulicht, das sich an diesem Abend im regennassen Pflasterboden spiegelt, verleiht der Szenerie auf dem Linzer Taubenmarkt eine eigentümliche Stimmung.
In Linz ist wenige Tage nach den Ausschreitungen, deren Bilder durch das Land gingen, immer noch in einer Art Ausnahmezustand. Am Montag attackierten 129 Jugendliche die Polizei hier, auf der Linzer Landstraße – einer der beliebtesten Einkaufsstraßen in Österreich –, mit Böllern, Flaschen und Steinen. Szenen, die man nicht gewohnt ist, man kennt sie aus dem Ausland oder aus Filmen. In einem solchen hatten sie auch ihren Ursprung: Die Jugendlichen haben sich auf der Social-Media-Plattform TikTok verabredet, um „Athena 2.0“ zu entfesseln – eine Anspielung auf den Netflix-Thriller „Athena“, der gewaltsame Auseinandersetzungen von migrantischen Jugendlichen und der Polizei zeigt.
Das traurige österreichische Remake, so könnte man sagen, ist leider gelungen.
Eine Nacht in Angst
„Gut, dass jetzt so streng kontrolliert wird“, sagt die Standlerin fast beiläufig, während sie eine Käsekrainer durchs Fenster reicht und sich dann einer veganen Bosna zuwendet. „Seit es passiert ist, ist die Polizei den ganzen Tag hier.“ Sie war, wie sie später erzählen wird, an jenem Montag im Dienst – und wurde mit den Randalierern eingekesselt. „Als die Hundestaffel gekommen ist, habe ich die Rollläden runtergelassen. Da haben alle Angst bekommen.“ Mehrere Stunden musste sie ausharren, zwischen 21 und 3 Uhr Früh war der Platz gesperrt. Die Oberleitungen der Bim wurden vom Strom genommen, um einen Brand zu verhindern. Immer wieder hallte der Lärm der Böller durch die Straße. Nur langsam sei es den Beamten gelungen, die Randalierer in Richtung Mozartkreuzung zu drängen.
Ihre Meinung zu den Unruhestiftern ist deutlich: „Das haben wir alles dem Bürgermeister zu verdanken. Er hat uns erklärt, dass wir die alle brav aufnehmen müssen.“ „Die“, das sind „die Ausländer“. Getragen waren die Ausschreitungen von jungen Männern – eher Kindern, viele waren unter 14 Jahre alt – mit Migrationshintergrund; Afghanen, Syrer, unter ihnen sechs Asylwerber. Was es dazu am Würstelstand zu hören gibt, kennt man: Wem es hier nicht gefalle, der könne „ja heimgehen“. Und wenn sich ein Österreicher „dort“ so benähme, „dann wird er erschossen“.
Aufgeladene Stimmung
Fest steht, dass Linz ein Problem hat: Die Stimmung ist seit Langem aufgeladen, fast aggressiv. Der Bahnhof ist trotz moderner Architektur, 90 Videokameras und Polizeistation immer wieder Schauplatz von Gewalt, das Viertel – mit dem finsteren Volksgarten, der hinter dem bunkerartigen Musiktheater liegt – taugt zum Angstraum. Auf der Straße sind viele Migranten zu sehen, vor allem abends, in Grüppchen. Ein Viertel der Bevölkerung hat nicht die österreichische Staatsbürgerschaft.
Die Krawalle bohren in offenen Wunden. Erst am Nationalfeiertag demonstrierte man im nahen St. Georgen im Attergau – im Beisein von Rechtsradikalen – gegen die Errichtung von Zelten für Asylwerber. Das Land Oberösterreich erfüllt seine Asylquote übrigens nicht.
Über Polizei und Politik verlieren die Passanten, die das Treiben mit irritierter Faszination beäugen, wenig Gutes: Dass die Randale vorhersehbar gewesen sei, hört man. Dass seit Wochen immer wieder Böller geworfen würden – und dass die Polizei stets zu spät vor Ort sei. „Diese Wilden tanzen uns auf der Nase herum, provozieren uns.“ Die Nachricht vom eher ergebnisarmen Sicherheitsgipfel, der kurz zuvor zu Ende ging (und zu dem der Innenminister gleich gar nicht kam), hat sich schon verbreitet.
Schlechte Bilanz
Tatsächlich war die Bilanz der Exekutive zuletzt keine gute. Vor dem Suizid der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die von Corona-Leugnern bedroht wurde, hat die Polizei Hilferufe leichtfertig ignoriert. Das Versagen rund um den Mord an einer Prostituierten kurz darauf zeigte, dass man nichts gelernt hat. Und nun die Ausschreitungen.
Dass die Nerven bei der Exekutive blank liegen, zeigt sich an diesem Abend. Die Stimmung bei den Beamten ist hektisch und getragen von demonstrativer Härte. Eine aus den Fugen geratene Migranten-Community auf der einen Seite, überforderte Polizisten auf der anderen – eine brandgefährliche Mischung.
Unter (General-)Verdacht
Wer verdächtig aussieht, wird kontrolliert. Verdächtig – ein subjektiver Begriff. Treffender: Wer migrantisch wirkt, wird angehalten. (In den USA nennt man das Racial Profiling.) Die Jugendlichen werden in einer Reihe an die Wände der schicken Geschäfte gestellt, die Hände sichtbar vor dem Körper. „Ich wurde vor drei Minuten kontrolliert“, sagt einer. (Er hat nachweislich recht, er musste die Prozedur eben erst auf der anderen Straßenseite über sich ergehen lassen.)
Der Polizist beginnt zu schreien. „Das ist mir scheißegal.“ Und: „Du hältst jetzt den Mund.“ Der Ton ist einen Tick zu laut, um professionell zu klingen. Und vielleicht eine Oktave zu hoch. Das Gespräch, das sich entwickelt, ist folglich wenig konstruktiv, erst Minuten später wird man sich einig. „Ich war am Montag nicht hier“, sagt ein 16-Jähriger. „Behauptet auch keiner“, antwortet der Polizist. Und: „Wenn ihr bei der Polizei wärt, würdet ihr das auch so machen.“ Die Burschen nicken eher pflichtschuldig als überzeugt. Dann dürfen sie gehen. Wie weit sie kommen, ist unklar. „Das mit den Kontrollen wird länger so bleiben“, mutmaßt die Standlerin. Auch die Silvester-Feiern seien bereits abgesagt. Gut für die Sicherheit, schlecht fürs Geschäft.
Die Männer sind bereits beim nächsten Bier. Und beim nächsten Thema. „Scheiß U-Ausschuss. Das interessiert doch keine Sau.“
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