Gewalt gegen Spitalsmitarbeiter: "Nicht die helfende Hand beißen"
„Tätliche Angriffe, Drohungen und Beschimpfungen gegen das Personal, aber auch gegen unsere Patientinnen und Patienten werden ausnahmslos bei der Polizei zur Anzeige gebracht“, lässt ein Aushang in der Notaufnahme der Wiener Klinik Ottakring wissen, der von der Kollegialen Führung und der Personalvertretung unterzeichnet ist.
Allein schon die Existenz dieses Hinweises lässt erahnen, dass es mittlerweile keine Selbstverständlichkeit ist, dass sich alle Spitalspatienten während ihres Aufenthalts angemessen verhalten.
Seit Jahren sieht sich Gesundheitspersonal in und außerhalb der Spitäler mit massiven Ausbrüchen an Drohungen, Aggression und auch tätlicher Gewalt konfrontiert. Nicht vergessen ist etwa der Fall der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die vor genau zwei Jahren Suizid begangen hat. Davor war sie über Monate hinweg massiv von Impfgegnern und Corona-Leugnern angefeindet worden – bis hin zu Morddrohungen.
Zunehmend stärkeren Anfeindungen ausgesetzt sind auch Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Zuletzt schilderte etwa eine Wiener Gynäkologin im Falter, wie sie von Abtreibungsgegnern im Internet mit Namen und Foto öffentlich verunglimpft wird. Vorfälle wie dieser haben zuletzt die Grünen veranlasst, Schutzzonen vor Einrichtungen zu fordern, die Schwangerschaftsabbrüchen durchführen.
Polizei ständig im Spital
„Mittlerweile ist mindestens zwei Mal pro Woche die Polizei bei uns vor Ort“, lautet der ernüchternde Befund eines Wiener Spitalsarztes gegenüber dem KURIER, der von immer fordernden, aggressiveren Patienten und Angehörigen spricht.
Was ebenfalls immer wieder aus Spitalskreisen geschildert wird, sind Konflikte, die sich mit Patienten aus dem Migranten-Milieu ergeben. Probleme treten unter anderem dann zwischen Arzt und Patient auf, wenn beispielsweise muslimische Frauen sich nicht von einem männlichen Arzt untersuchen lassen wollen oder aber umgekehrt, muslimische Männer sich ausbedingen, nicht von einer Ärztin behandelt zu werden.
Personalmangel führt zu Aggressionen
Die Hotspots für Aggressivität und Gewalt in den Krankenhäusern seien die Ambulanzen auf den Unfall- und Gynäkologie-Abteilungen, sagt Natalja Haninger-Vacariu, die für die Spitalsärzte zuständige Vizepräsidentin der Wiener Ärztekammer, zum KURIER. Sie macht vor allem die angespannte Personalsituation für die gereizte Stimmung verantwortlich: „Seit der Pandemie sind die Übergriffe häufiger geworden, weil es zu einer starken Abwanderung bei Ärzten und Pflegekräften gekommen ist. Dadurch verlängern sich die Wartezeiten in den Ambulanzen.“ Die Folge ist eine aufgeheizte Stimmung, die immer öfter überkocht und sich auf das Personal entlädt.
Darüber hinaus habe sich in den vergangenen Jahren eine negative Grundstimmung gegen Mediziner entwickelt. Begonnen habe dies mit der Pandemie, in der Mediziner massiven Angriffen ausgesetzt waren. „Als ob sie für Corona verantwortlich gewesen seien“, sagt Haninger-Vacariu. Dabei seien es sie gewesen, die sich um die Covid-Patienten gekümmert hätten. Viele Ärzte seien zudem selbst krank ausgefallen, was das System nur noch weiter belastet habe.
Nicht verbessert habe sich die Gesamtstimmung auch durch das auch in der politischen Debatte mitunter betriebene Ärztebashing. „Wir Ärzte müssen manchmal für Dinge herhalten, für die das System verantwortlich ist“, betont die Ärztevertreterin, die von der Politik einen Schulterschluss einfordert. „Denn es ist sicher nicht zielführend, dass man die helfende Hand beißt.“
Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter betroffen
Eine Zunahme der Übergriffe will man beim Wiener Gesundheitsverbund (Wigev), mit rund 30.000 Mitarbeitern Österreichs größter Spitalsträger, zuletzt nicht registriert haben. Vielmehr sei die Zahl der Fälle laut internen Umfragen sogar leicht zurückgegangen. Sie ist jedoch nach wie vor beachtlich hoch.
- 59,8 Prozent der Mitarbeiter in den Wigev-Pflegewohnhäusern gaben 2022 an, in den vergangenen zwölf Monaten Aggressions- und Gewalterfahrungen gemacht zu haben. Zum Vergleich: 2019 waren es 61,8 Prozent.
- 62,7 Prozent der Klinik-Mitarbeiter haben 2022 solche Erfahrungen gemacht (2019: 63,7 Prozent)
Erhoben wurde bei der Befragung auch die Form der Aggression:
- 56,7 der befragten Wigev-Mitarbeiter erlebten demnach 2022 verbale Aggression (2019: 57,8 Prozent)
- 26,4 Prozent waren mit Bedrohungen (Warnungen, Einschüchterungen) konfrontiert (2019: 28,5 Prozent)
- Einen leichten Anstieg gab es bei Fällen von körperlicher Aggression (z.B. schlagen, stoßen) – von 24,8 auf 25,4 Prozent
Häufigste Orte von Aggressionsereignissen seien weiterhin die zentralen Notaufnahmen, die Psychiatrien sowie die ortho-traumatologischen Abteilungen, schildert ein Wigev-Sprecher.
Was Spitäler gegen Gewalt unternehmen
Um das Problem so gut als möglich unter Kontrolle zu halten, setze man im Wigev auf ein Bündel von Maßnahmen. Begonnen mit speziellen Schulungen für die Mitarbeiter (etwa Sicherheits- und Deeskalationstrainings) über die kontinuierliche Erfassung und Evaluierung von Aggressionsereignissen bis hin zu organisatorischen und technischen Vorkehrungen.
Dazu gehören unter anderem Notrufsysteme, bauliche Anpassungen, aber auch Gruppenunfallversicherungen für die Folgen von Gewaltereignissen.
Des weiteren sind an diversen Standorten auch Sicherheitskräfte von externen Firmen im Einsatz.
Mitarbeit: Leonie Tupy
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