Die Hasstirade auf dem Anrufbeantworter der Zahnarzt-Ordination dauert zwar nur 20 Sekunden, beim Inhalt kann einem aber Angst und Bange werden. „Du unfreundliches Stück Scheiße, du *****krüppel“, und mehr in dieser Tonart.
Was Zahnarzt Christian Derdak und seinem Team beim Notdienst am Wochenende im Bezirk Wiener Neustadt widerfahren ist, scheint ein Spiegelbild dessen zu sein, was derzeit in Ordinationen und Spitälern alltäglich geworden ist. Derdak und Assistentin Corinna Kalusa behandelten einen achtjährigen Buben wegen akuter Zahnschmerzen. Ursache war ein entzündeter Milchzahn, den der Arzt entfernen wollte, was die Mutter aber nicht zuließ.
Weil das Team dem Kind auch noch nahelegte, häufiger die Zähne zu putzen, verlor der Vater später zu Hause anscheinend die Nerven. Via Tonband wurden der Arzt und die Assistentinnen wüst beschimpft und bedroht. „Wenn i dabei g’wesen wär’, hätt’ i di daschlogn“, tobte der Anrufer.
Staatsanwalt ermittelt
Die Polizei wurde eingeschalten, gegen den Mann Anzeige wegen Nötigung und gefährlicher Drohung erstattet. Die Staatsanwaltschaft muss entscheiden, ob es sich um eine viel zitierte „milieubedingte Unmutsäußerung“ handelt, oder ein Strafverfahren eingeleitet wird. Für Derdak (65) ist es bereits der dritte derartige Vorfall. „Es stimmt einen schon sehr nachdenklich. Das ist keine angenehme Situation“, erklärt der Zahnarzt, der seit dem Vorfall mitunter ein mulmiges Gefühl hat.
Vorfälle wie diese gehören für Naghme Kamaleyan-Schmied, Wiener Allgemeinmedizinerin und stellvertretende Obfrau der Kurie der niedergelassenen Ärzte mittlerweile zum Berufsalltag. „Wir spüren in den Ordinationen zuallererst gesellschaftliche Krisen und die Unzufriedenheit der Menschen. Besonders in Wien hat der Gesundheitsnotstand und extrem lange Wartezeiten auf Arzttermine die Lage verschärft“, erklärt sie.
Patienten würden nicht selten bereits „frustriert und extrem geladen“ in die Ordinationen kommen, wo es dann schnell zur Entladung und Eskalation komme. Wie Kamaleyan-Schmied schildert, wurde sie in der Covid-Pandemie als Koordinatorin einer Impfstraße selbst Opfer von Morddrohungen.
Aber auch jetzt sei es nicht viel besser. Kolleginnen und Kollegen berichten ihr als Ärztekammer-Vertreterin laufend von verbalen Drohungen und Übergriffen. In Spitälern würden Securitys, Portiere und die große Anzahl an Mitarbeitern auf den Abteilungen ein gewisses Sicherheitsgefühl bieten. In der Ordination sei man aber mit dem wütenden Patienten von Angesicht zu Angesicht alleine. „Es gibt keinerlei Schutz“, sagt Kamaleyan-Schmied, die sich für eine Meldestelle bei derartigen Fällen einsetzt.
Dass Drohungen, wie sie Zahnarzt Christian Derdak erhalten hat, oft gerichtlich gar nicht verfolgt und die Verfahren eingestellt werden, hält die Kurien-Obfrau für ein Systemversagen. Fälle wie diese müssen von der Justiz auch geahndet werden, fordert man bei der Ärztekammer. Von einem Kavaliersdelikt sei man weit entfernt, die nächste Stufe nach verbalen Drohungen sei bereits körperliche Gewalt.
Das Thema ist seit Jahren auch in den Krankenhäusern präsent, heißt es auf Anfrage des KURIER bei der NÖ Landesgesundheitsagentur (LGA), die 27 Spitäler im Bundesland betreibt. „Vor allem kommt es auf psychiatrischen Stationen öfters zu gewalttätigen Übergriffen“, erklärt LGA-Sprecherin Sabine Mlcoch. Gerade auf diesen Stationen nehmen Mitarbeiter häufiger an Deeskalationsschulungen teil, um beruhigend einzuwirken.
Deutlich erkennbar sei in den Krankenhäusern laut LGA auch ein weiteres Phänomen. Aufgrund der demografischen Entwicklung nehme auch das Krankheitsbild der Demenz zu, welches bei den Patienten ebenfalls erhöhtes Aggressionspotenzial aufweisen könne, heißt es in den NÖ Landeskliniken.
Schulungen
Die Zahl der Übergriffe auf das Spitalpersonal sei in den vergangenen Jahren nur deshalb „relativ konstant“ geblieben, weil man entsprechende Schwerpunkte gesetzt habe. „Es ist sicher auf ein stetig weiterentwickeltes Schulungsprogramm für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Deeskalation und Selbstschutz zurückzuführen“, sagt Mlcoch.
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