Naghme Kamaleyan-Schmied ist gegen mehr Studienplätze an den MedUnis und verteidigt den unter Beschuss geratenen Kammer-Präsidenten.
KURIER: In den vergangenen Tagen wurde leidenschaftlich darüber gestritten, ob es überhaupt einen Ärztemangel gibt. Orten Sie einen?
Naghme Kamaleyan-Schmied: Es gibt insgesamt genug Ärzte, aber nicht im solidarischen Gesundheitssystem. Es gibt einen Anstieg der Wahlärzte und einen Rückgang bei den Kassenärzten. Die Rahmenbedingungen in der Kassenmedizin sind so schlecht, dass die jungen Kollegen fünf Mal überlegen, ob sie sich das antun. Das beginnt mit der schlechten Honorierung und reicht bis zur Bürokratie.
Also braucht es keine Aufstockung der Studienplätze?
Nein. Wir würden damit nur eine künstliche Ärzteschwemme produzieren. Mit der Folge, dass dann die neu ausgebildeten Mediziner Tätigkeiten in der Pflege übernehmen müssen, weil auch dort zu wenig Personal ist. Gleichzeitig würden sich die Länder um uns herum freuen, wenn sie gratis ausgebildete Jungmediziner von uns bekommen.
Was muss sich dann im Kassensystem ändern, damit es attraktiver wird?
Das Honorar ist tatsächlich ein großer Punkt. Ich kann es als Kassenarzt ja nicht wie andere Selbstständige selbst anpassen, sondern bin an die Kassen gebunden. Meine Ausgaben für Personal und Materialien steigen inflationsbedingt aber sehr wohl an. Das heißt, ich biete viele Leistungen defizitär an, damit meinen Patienten keine zusätzlichen Wege entstehen.
Aber müsste nicht auch die Tätigkeit der Wahlärzte beschränkt werden, damit das System wieder ins Gleichgewicht kommt?
Anstelle die großen Probleme zu lösen, macht die Politik Druck auf eine relativ kleine Gruppe, die auch keine große Kosten verursacht. Das Honorar, das die Wahlärzte verlangen, ist nicht zu hoch, sondern entsprechend. Der Bevölkerung ist sehr wohl bewusst, dass ein Arztbesuch mindestens 150 Euro wert ist. Der Blickwinkel der Politik und der Kassen ist hingegen, dass eine Arzt-Konsultation 6,70 Euro wert ist. Normal und angemessen ist aber das Wahlarzt-Honorar. Deshalb kann man nicht bei ihnen Einschnitte vornehmen. Vielmehr müssen bei den Kassenärzten die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die Wahlärzte freiwillig ins Kassensystem wechseln.
Mit Primärversorgungseinheiten (PVE), also Kassen-Ärztezentren und -Netzwerken, soll die niedergelassene Versorgung gestärkt werden. Warum geht der Ausbau so schleppend voran?
Bereits die Immobiliensuche ist sehr herausfordernd. Es ist auch nicht leicht, Kollegen zu finden, die zusammenarbeiten können und wollen. Wenn das gelingt, müssen diese gesetzlich vorgegebene Vereinbarungen treffen, die komplizierter sind als jeder Ehevertrag.
Warum wehrt sich dann die Kammer gegen strukturelle Erleichterungen – etwa, dass Nicht-Ärzte Gesellschafter in PVE werden dürfen?
Wir fordern seit Jahren Flexibilisierung im gesamten Kassensystem, auch bei den PVE. Bei den nicht-ärztlichen Gesellschaftern geht es um die Haftung. Denn letztlich ist der Arzt für alle erbrachten Leistungen – und wenn eventuell etwas passiert – verantwortlich. Bei der PVE-Diskussion geht es nicht um das große Ganze. Wenn die Politik ihr Ziel erreicht, werden in den nächsten Jahren vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung in PVE versorgt werden. Was ist aber mit den 90 Prozent, die weiter beim Hausarzt sind? Deshalb trete ich für ein neues Hausarzt-Modell ein.
Wie soll dieses aussehen?
In Baden-Württemberg hat man sehr gute Erfahrungen mit dem Hausarzt-zentrierten Modell gemacht: Je nach Bedarf in der Region übernimmt der Hausarzt bestimmte Versorgungsmodule. Das kann ein Psychotherapeut, ein Diätologe oder ein Wundmanager sein. Auf diese Weise könnten wir in kürzester Zeit flächendeckend lauter Mini-PVE schaffen, die für eine umfassende wohnortnahe Versorgung der Patienten sorgen.
Sie haben sich zuletzt öffentlich von Ihrem Vizepräsidenten Stefan Ferenci distanziert. Sie kritisieren seinen Stil im Streit mit der Stadt Wien rund um die Personalnot in den Spitälern. Kammerfunktionäre bedienen sich oft sehr markiger Sager in der politischen Auseinandersetzung. Warum stört Sie das bei Ferenci?
Es handelte sich hier um einen persönlichen Angriff auf Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, indem er ihn sinngemäß unter anderem als inkompetent bezeichnet hat. Das ist vielleicht in Ordnung, wenn das ein junger Funktionär macht. Aber Ferenci vertritt gerade den erkrankten Präsidenten Johannes Steinhart. Da muss man einfach aufpassen, wie man mit den Leuten redet, mit denen man irgendwann wieder am Verhandlungstisch sitzen muss.
Aber stärkt es die Verhandlungsposition der Kammer, wenn Sie den Vizepräsidenten öffentlich kritisieren?
Natürlich nicht. Aber es gibt Situationen, in denen man ein bisschen Zivilcourage beweisen muss. Ich distanziere mich auch nur vom Stil. Der Inhalt mag schon richtig sein.
War es richtig, dass Ferenci wegen der Personalnot Streiks wie zuletzt in der Klinik Ottakring mitinitiierte?
Das ist an sich nicht meine Baustelle. Ich verstehe aber, dass die Rahmenbedingungen in den Spitälern untragbar sind. Doch bevor ich mit dem Hammer draufhaue, versuche ich es mit Gesprächen. Das ist wie in der Medizin: Bevor ich das Skalpell zücke und schneide, versuche ich, das Problem konservativ zu lösen.
Hacker wirft Ferenci vor, Aktionismus zu betreiben, bloß um selbst Kammer-Präsident zu werden. Hat er recht?
Ich kenne Ferencis Ziele nicht. Es spricht nichts dagegen, wenn man in der Kammer mehr werden will. Sollte aber der Stadtrat mit seiner Vermutung recht haben, sollte Ferenci umso mehr darauf achten, als Gesprächspartner akzeptiert zu werden und nicht nur verbrannte Erde zu hinterlassen.
Tief zerstritten ist die Kammer wegen des Skandals rund um die kammereigene Firma Equip4Ordi. Sie haben einen Misstrauensantrag gegen Ihren Kurienobmann und Fraktionskollegen Erik Huber unterstützt. Sollte er dafür bestraft werden, dass er die Causa aufdeckte? Nein. Die Unzufriedenheit hat sich schon früher entwickelt, weil die Kassenverhandlungen überhaupt nicht funktioniert haben. Sie sind aber Kernaufgabe der Kurie. Ein Problem ist allerdings die intransparente Aufarbeitung der Causa Equip4Ordi. Sie landete zunächst bei der Staatsanwaltschaft, was auch gut ist. Aber dann entstand zur Aufarbeitung eine interne Parallelstruktur, für die gleich mehrere Anwälte beschäftigt sind. Es wird von Kosten über 700.000 Euro gemunkelt, wir bekommen aber keine Informationen dazu.
Kritik gab es aber auch am Verhalten von Steinhart. Hat er alles richtig gemacht?
Ich bin nicht in der Position das zu beurteilen, kenne ihn aber als 100 Prozent integre Persönlichkeit und Standesvertreter aus Leib und Seele. Ich bin sicher, dass unser Rechtssystem das auch bestätigen wird.
Sie selbst sind eine der wenigen weiblichen Spitzenfunktionäre in der Ärztekammer. Warum ist das so?
Für Frauen mit Familie ist die Kammer-Tätigkeit schwierig: Man hat kaum Freizeit und oft Sitzungen bis drei Uhr in der Früh. Aber ich bin optimistisch, dass in den nächsten Jahren der Frauenanteil in der Standespolitik steigen wird.
Es wird spekuliert, dass Sie Steinhart als Präsident folgen könnten. Würde Sie das reizen?
Wenn sich die Kollegen das wünschen und meine Familie das akzeptiert, kann ich mir das vorstellen. Aber sicher nicht schon während dieser Legislaturperiode.
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