Ärztestreik in Wien: Ein Warnschuss, der 60 Minuten dauerte

Ärztestreik in Wien: Ein Warnschuss, der 60 Minuten dauerte
Die frustrierten Mediziner der Notaufnahme der Wiener Klinik Ottakring hielten am Freitag einen einstündigen Warnstreik ab. Kampfmaßnahmen in weiteren Spitälern könnten bis Herbst folgen

So viele Interviews an einem Tag durfte Peter Gläser, der ärztliche Direktor der Wiener Klinik Ottakring, in seiner Laufbahn wohl noch nie gegeben haben. Er musste Freitagfrüh erklären, warum die Ärzte an seiner Zentralen Notaufnahme an diesem Vormittag eine Stunde lang einen Warnstreik abhielten.

Wie berichtet, wollten sie damit gegen den seit Monaten herrschenden massiven Personalmangel an ihrer Abteilung protestieren, der wiederholt zur Gefährdung der Patienten geführt hatte.

Mehr dazu: Ärztestreik in der Klinik Ottakring: Was auf die Patienten zukommt

Gläser kann den Streik seiner Ärzte allerdings nicht mittragen: „Ich habe Verständnis dafür, dass die Mitarbeiter Probleme artikulieren. In so einem sensiblen Bereich wie der Notaufnahme die Arbeit niederzulegen, ist aber heikel. Das macht der Bevölkerung Angst, dass sie nicht mehr versorgt wird.“

Ein Appell, der die frustrierten Ärzte unbeeindruckt lassen sollte: Punkt zehn Uhr traten rund 20 Mitarbeiter der Notaufnahme vor die Eingangstür ihrer Abteilung.

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Peter Gläser

Bestückt mit Schildern und Trillerpfeifen, begleitet von rockigen Klängen und dem Jubel von etwa 50 schon wartenden Kollegen aus anderen Abteilungen. Drinnen halfen inzwischen Ärzte aus anderen Abteilungen aus, um den Betrieb sicherzustellen.

„In unserer jetzigen Besetzung schaffen wir die Patientenversorgung im Herbst und Winter nicht mehr“, zeichnete Aglaia Kotal, eine der Sprecherinnen des Streikkomitees, ein dramatisches Bild der Lage.

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Aglaia Kotal

Unterstrichen mit Fallbeispielen aus der jüngeren Vergangenheit, als es auf der Notfallaufnahme mehrfach zu heiklen Situationen gekommen war.

Mehr Geld, mehr Leute

Deshalb fordern die Ärzte nun mehr Mediziner und Pflegekräfte für ihre Abteilung, höhere Zulagen und eine bessere Aufteilung der Wien-weiten Rettungszufahrten zwischen den einzelnen Spitälern.

Unterstützung gab es von der Pflege, die aber nicht in den Streik gefolgt ist: „Verantwortungslos sind nicht die Ärzte, die streiken, sondern die Gesundheitspolitik“, sagte Personalvertreter Martin Gutlederer.
Nicht unterstützt wurde der Arbeitskampf hingegen von der Führung der Gewerkschaft. „Dennoch ist er zu 100 Prozent rechtskonform“, versicherte Stefan Ferenci, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer, die die Stadtregierung als Drahtzieher hinter den Protesten ausmacht.

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Stefan Ferenci

Er geht scharf mit der Gewerkschaft ins Gericht: „Sie biedert sich dem Dienstgeber an und redet im Chor mit der Stadt die Missstände in den Spitälern schön.“ Ihre Nichtbeteiligung begründet die Gewerkschaft damit, dass es Lösungen für alle Berufsgruppen in den Spitälern brauche.

„Wir sind kein wütendes Wespennest, das einfach mehr Geld will“, sagt Severin Ehrengruber vom Streikkomitee, ehe er den bunten Zug der Streikenden vor den Spitalseingang führt, um im öffentlichen Raum eine zweite Kundgebung abzuhalten.

Weitere Unruheherde

Tatsächlich brodelt es in etlichen anderen Wiener Gemeindespitälern. Dem Vernehmen nach hätten im Juli im Wochenrhythmus fünf weitere Abteilungen (etwa an der Klinik Favoriten) in den Warnstreik gehen wollen. Dies sei im letzten Moment mit Versprechungen und der Ankündigung von Zugeständnissen seitens des Gesundheitsverbunds noch aufgeschoben worden.

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Spätestens im September ist aber mit weiteren Kampfmaßnahmen zu rechnen, ist aus Ärztekreisen zu hören. In Vorbereitung sind offenbar auch schon größere Protestmaßnahmen, die über einzelne Spitäler hinausgehen.

Erinnerungen an 2016

Denkbar ist letztlich sogar ein Wien-weiter Streik wie zuletzt 2016, als die Spitalsärzte wegen der neuen Arbeitszeitregeln protestierend durch die Innenstadt zogen. Erst danach konnte man sich mit der Politik auf ein tragbares Modell einigen.

Davon ist man in Ottakring noch meilenweit entfernt. Direktor Gläser verspricht zwar mehr Dienstposten, die Ärzte sind allerdings noch skeptisch. Auch die Verteilung der Rettungsfahrten soll transparenter werden. Immerhin: Die seit Jahren geforderten zwei Ultraschall-Geräte wurden nun über Nacht geliefert.

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