Ich möchte es positiv formulieren: Die Justiz hat seit Jahrzehnten in Studien immer den höchsten Vertrauenswert unter den Staatsgewalten. Um diesen Wert erhalten zu können, ist es notwendig, dass man allfälligen Missständen nachgeht.
Sie haben ein halbes Jahr Zeit, um den Zeitraum von 2010 bis 2023 zu prüfen. Das ist schon sehr sportlich.
Man darf sich nicht vorstellen, dass wir uns alle Akten anschauen, die würden ganze Gebäude füllen. Wir versuchen, allfällige illegitime Interventionen nachzuvollziehen und Empfehlungen abzuleiten, damit sie in Zukunft nicht mehr passieren können.
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Ihre Auftraggeberin führt das Ressort seit vier Jahren. Was, wenn Sie bei Zadić persönliche Verfehlungen finden?
Wenn Sie sich meinen und die Lebensläufe der Kommissionsmitglieder anschauen, dann sehen Sie, dass wir völlig frei von politischem Einfluss arbeiten. Wir werden die Ergebnisse so darstellen, wie sie sind.
Wäre es ein Kritikpunkt, dass Zadić mit ihren Weisungsberichten im Verzug ist? Der von 2021 kam erst kürzlich, der von 2022 steht noch aus.
Ich möchte nichts vorwegnehmen. Es wird Überlegungen geben, wann und wie Dinge zu veröffentlichen sind, und es kann Fragen dazu geben.
Wie gehen Sie vor?
Zunächst ist es eine Lesearbeit, es gibt auch viel Material aus den U-Ausschüssen. Dann führen wir Gespräche mit Auskunftspersonen, die aber auf Freiwilligkeit basieren. Wir können niemanden zwingen, mit uns zu reden.
Wird Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der im Tape erwähnt wird, mit Ihnen reden?
Das müssen Sie ihn fragen. Wir wissen es noch nicht, aber wir haben ja noch vier Monate Zeit.
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Sie können niemanden vorladen und es steht niemand unter Wahrheitspflicht. Ist das nicht ein Hemmnis?
Ich sehe es als Vorteil: Wir begegnen den Auskunftspersonen auf Augenhöhe, das eröffnet Möglichkeiten, offen zu sprechen. Wenn jemand nicht will, ist das okay.
Ich kann mir vorstellen, dass die Stimmung nach dem Tod Pilnaceks emotional noch sehr aufgeladen ist.
Natürlich gibt es bei vielen Themen eine Polarisierung. Damit wird man umgehen müssen. Aber noch einmal: Wir verstehen uns nicht als Pilnacek-Kommission.
Muss sich eine Beamtin, die Ihnen beispielsweise erzählt, sie habe auf Anweisung eines Sektionschefs einen Akt verschwinden lassen, vor Strafverfolgung fürchten? Bei ihr wäre es Amtsmissbrauch, bei ihrem Chef „nur“ Anstiftung.
Wir haben die Pflicht, allfällige strafrechtliche Verfehlungen weiterzuleiten. Auch gibt es generell keinen „Anstiftungsbonus“. Wie immer gilt aber: Es muss sich niemand selbst belasten.
Das hieße, Sie erfahren gar nicht erst davon.
Dafür gibt es ein anonymes Hinweisgebersystem.
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Sie waren früher Polizeijurist. Haben Sie eine spezielle Verhörmethode?
Natürlich gibt es eine Methodik. Aber letztlich geht es darum, dass man glaubwürdig auftritt. Gerade in der jetzigen Rolle, wo wir keine Zwangsmittel haben und darauf angewiesen sind, dass jemand mit uns reden will. Das wird in Ihrem Job nicht anders sein.
Deshalb braucht man ja erst recht einen Schmäh, oder?
Den wird’s auch geben, aber den verrate ich nicht.
Dann sag’ ich Ihnen meinen auch nicht. Themenwechsel: Der Endbericht Ihrer Kommission wird im Juni präsentiert. Viel Zeit bleibt der Regierung dann nicht mehr für nötige Reformen.
Der Bericht bietet allen Parteien die Möglichkeit, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen – hoffentlich auch in Hinblick auf künftige Koalitionsverhandlungen.
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Offen ist auch noch die Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die Regierung das noch umsetzt?
Wenn nicht diese, dann die nächste Regierung. Seit Jahren wird in Berichten europäischer Institutionen moniert, dass Österreich Schlusslicht ist bei der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften. Dem wird man nicht entkommen.
Umgesetzt werden sollte noch der Ausbau der Beschuldigtenrechte. Wie stehen Sie als Ex-Polizist dazu, dass die Handysicherstellung eingeschränkt werden soll?
Als Anti-Korruptionsexperte und jemand, dem die Grundrechte ein Anliegen sind, sehe auch ich Handlungsbedarf. Aber wenn, dann bitte konsequent: Auch im Bundesarchivgesetz braucht es Präzisierungen. Es kann nicht sein, dass Regierungsmitglieder Handys austauschen oder Festplatten schreddern lassen, ohne klare rechtliche Grundlage.
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