Erleben wir im Vorwahlkampf einen neuen ÖVP-U-Ausschuss?
Als Montagnachmittag die Öffentlichkeit durch ein verirrtes eMail erfuhr, dass die ÖVP einen Antrag für einen „Transparenz-Untersuchungsausschuss“ hortet, der auch die Ministerinnen des Koalitionspartners ins Visier nehmen würde, konnte ÖVP-Klubchef August Wöginger daran nichts Besonderes erkennen. Derartige Arbeiten lägen im „Wesen der Politik“, es handle sich um „nichts Neues“.
Das sehen die Wenigsten im Parlament so. „Es ist natürlich alles andere als normal, auf 14 Seiten die Einsetzung eines U-Ausschusses vorzubereiten“, sagt Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak. Auch bei den Grünen sieht man das geleakte ÖVP-Papier nicht als Teil der „üblichen parlamentarischen Arbeit“ (© Wöginger), sondern eher als Provokation.
1. Quartal 2024?
Das ändert aber nichts daran, dass Wöginger in einem Punkt offensichtlich Recht hat. Denn auf die Frage, warum man derartige Ausschuss-Anträge in der Schublade habe, antwortete der ÖVP-Politiker, man habe „prophylaktische Überlegungen“ unternommen, falls die Oppositionsparteien wieder einen U-Ausschuss planen – quasi eine Gegenmaßnahme.
Und wie dem KURIER am Dienstag nun bestätigt worden ist, gibt es tatsächlich konkrete Bestrebungen für einen „ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss 2.0“. So lautet der Arbeitstitel für einen neuen U-Ausschuss, den die Freiheitlichen bereits mit der SPÖ verhandeln, sagt der blaue Fraktionschef und Generalsekretär Christian Hafenecker im KURIER-Gespräch.
Der Untersuchungsgegenstand soll die Vergabe von Coronahilfen über die Cofag – unter anderem an Kika/Leiner – sowie „Steuergeschenke“ an millionenschwere Unternehmer und Postenschacher umfassen. Kurzum: „Wir wollen aufklären, wie die ÖVP freihändig Geld und Posten an ihre Freunde verteilt hat.“
Die Neos sind in die Gespräche nicht eingebunden, SPÖ und FPÖ verhandeln alleine. „Und wenn es so weitergeht, sind wir bald soweit, dass wir unser Verlangen einbringen können.“ Als möglichen Start für die Befragungen nennt Hafenecker das erste Quartal 2024. Damit würde der zweite ÖVP-U-Ausschuss in den EU-Wahlkampf fallen.
Abgesehen von einer Neuauflage des ÖVP-U-Ausschusses liegt unter anderem das Russland-Thema in der Luft. Die Neos halten es, wie Vizeklubchef Scherak erklärt, für „extrem wichtig, die politischen und wirtschaftlichen Verantwortlich- und Abhängigkeiten zu Russland zu untersuchen“. Und zwar insbesondere, „wie sehr Österreichs Politik und Verwaltung Russland selbst nach der Annexion der Krim den roten Teppich ausgerollt hat“.
Wird Justiz untersucht?
Noch einmal zurück zur ÖVP: Die 14 Seiten über den „Transparenz-U-Ausschuss“ dürften erst der Anfang sein. Seit Längerem kursieren Gerüchte, die ÖVP plane einen „Justiz-U-Ausschuss“, sei aber noch vorsichtig, weil das als Angriff auf die grüne Justizministerin gesehen werden könnte – und wohl das Ende der Koalition bedeuten würde.
Andreas Hanger, ehemals ÖVP-Fraktionschef im U-Ausschuss, bestätigt im KURIER-Gespräch, dass in Hinblick auf künftige U-Ausschüsse auch über die Justiz diskutiert wurde, konkrete Pläne gebe es aber nicht. „Es gehört zur Demokratie, dass Institutionen kontrolliert werden. Und wenn wir im Parlament einen Anlass sehen, ist es unsere Pflicht, die Kontrollfunktion wahrzunehmen.“
Welcher „Anlass“? Die ÖVP hat die Ermittlungstätigkeit der WKStA in den vergangenen Jahren weidlich kritisiert. Infrage kämen auch Causen, die außerhalb der ÖVP für Kritik gesorgt haben: etwa die Ermittlungen gegen Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache oder gegen den Ex-Grünen Christoph Chorherr, die alle mit Freisprüchen endeten.
Im Rahmen eines U-Ausschusses müsste das Justizministerium Dokumente vorlegen, die nicht in den Strafakt gelegt werden – zum Beispiel Vorhabensberichte, die Staatsanwaltschaften an ihre Fachaufsicht und das Ministerium schicken, wenn eine Anklage oder Einstellung geplant ist. Dokumente über interne Abläufe, für die sich auch einige Strafverteidiger brennend interessieren.
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