Kochers Reform-Marathon: Viele Baustellen im neuen Superministerium
Der neue „Superminister“ der ÖVP möchte weder Superminister genannt werden noch der Volkspartei beitreten. Formal ist Martin Kocher, der im Jänner 2021 als parteiloser Wirtschaftsexperte das Arbeitsministerium übernahm, aber mittlerweile der Minister mit den weitestreichenden Kompetenzen im ÖVP-Regierungsteam – bei aller verständlichen Bescheidenheit.
Standort des neuen Ressorts dürfte das bisherige Wirtschaftsministerium am Wiener Stubenring werden. Nicht nur die örtliche Fusion birgt Schwierigkeiten: Es gilt, Personal, Agenden und vor allem Themen unter einen Hut zu bringen.
Durch die Übernahme des Wirtschaftsministeriums von Margarete Schramböck und der Tourismus-Agenden von Elisabeth Köstinger erweitern sich Kochers Aufgabenbereiche um sensible Querschnittsmaterien: Begonnen beim Tourismus, der wie viele Branchen unter einem Fachkräftemangel leidet, bis zu heiklen energiepolitischen Fragen in Zeiten des Ukraine-Krieges.
Ein Überblick, was nun auf Kocher zukommt:
Wirtschaft und Arbeit in einem Ressort: Ist das eine gute Idee?
Die SPÖ befürchtet, dass durch die Zusammenlegung der Ministerien die Interessen der Arbeitnehmer unter die Räder kommen. Man müsse nicht Karl Marx gelesen haben, um zu sehen, dass beide Gruppen „oft fundamental gegensätzliche Interessen haben“, sagt auch Oliver Picek, Chefökonom vom sozialliberalen Momentum Institut zum KURIER. „Bei Löhnen, Arbeitszeit, Arbeitnehmerschutz, teils bei der Zuwanderung gilt: Gewinnt der eine, verliert der andere“, so Picek.
Franz Schellhorn, Leiter der wirtschaftsliberalen Agenda Austria, hätte es zwar besser gefunden, wenn Wirtschaft und Tourismus in das Arbeitsministerium integriert worden wären. Er begrüßt aber auch die Zusammenlegung: „Arbeit und Wirtschaft gehören zusammen.“ Kocher betonte am Dienstag in der ZiB2, dass die Interessen der Arbeitnehmer eine „große Rolle“ spielen werden. Sogar unter SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer gab es mit Martin Bartenstein (ÖVP) einen Wirtschafts- und Arbeitsminister, was auch Schellhorn hervorhebt: „Und um kurz historisch abzuschweifen: Eine solch niedrige Arbeitslosenquote wie damals gab es nie wieder.“
Wo bleibt Kochers Arbeitsmarktreform?
Sie ist das Kernprojekt von Kochers Amtszeit als Arbeitsminister. Österreichs Arbeitsmarkt soll flexibler werden, die Langzeitarbeitslosigkeit langfristig sinken. Bis Ende Juni soll ein Paket vorliegen. Kocher würde das Arbeitslosengeld gerne degressiv gestalten: Arbeitslose bekommen anfangs mehr, später weniger. Zudem möchte Kocher den geringfügigen Zuverdienst, den Arbeitslose derzeit beziehen dürfen, restriktiver gestalten.
Reichen Migration und Rot-Weiß-Rot-Karte gegen den Fachkräftemangel?
Nein. Die jüngst reformierte Rot-Weiß-Rot-Karte, die den Zugang zum Arbeitsmarkt für Drittstaatsangehörige erleichtern soll, wird nicht ausreichen. Es gibt mehr offene Stellen als Arbeitssuchende. In Branchen wie Pflege, IT und Tourismus mangelt es an Fachkräften. Es fügt sich insofern gut, dass Kocher nun auch Köstingers Tourismus-Agenden übernimmt. Die Situation der Branche hat sich durch Corona nicht verbessert: Schlechte Arbeitsbedingungen und mäßige Bezahlung sorgen für ein negatives Image und viele offene Stellen. An Reformen kann Kocher nun mit der neuen Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler, Obfrau der Hotellerie-Fachgruppe in der Wirtschaftskammer (WKO), arbeiten.
Welche Wirtschaftsreformen sind überfällig?
Ein Beispiel: Bereits 2019 forderte der Rechnungshof eine anwenderfreundlichere Regelung der Gewerbeordnung. Wer in Österreich etwa Gärtner werden will, braucht Befähigungszeugnisse über tendenziell triviale Tätigkeiten wie das Jäten oder Mulchen. Bleibt abzuwarten, ob sich Kocher hier im Gegensatz zu Schramböck mit der WKO anlegen möchte.
Welche Rohstofffragen gehören geklärt?
Auch die Rohstoffagenden wandern zu Kocher – nicht zwingend sein Fachgebiet. Schramböck forderte vor einer Woche massives Gas-Fracking in Österreich und der EU, um von Russlands Gas unabhängig zu werden, Ex-Bergbauministerin Köstinger reagierte skeptisch. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) dürfte gespannt auf Kochers Positionierung sein.
Will auch Kocher Gewinne abschöpfen?
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) schlug vor, Gewinne von Firmen mit Staatsbeteiligung, die vom Ukraine-Krieg profitieren, abzuschöpfen. Kocher wollte sich dazu noch nicht positionieren, will mit dem Finanzminister einen Vorschlag vorbereiten.
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