Olga Voglauer, Generalsekretärin der Grünen und Agrar-Sprecherin, über den Streit um das EU-Renaturierungsgesetz, die weitere Zusammenarbeit mit der ÖVP, die Nationalratswahl und die Lehren, die die Grünen aus dem Wirbel um EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling gezogen haben.
KURIER: Haben am Montag bei Ihnen in der Parteizentrale die Korken geknallt?
Olga Voglauer: Wir haben das wichtigste Naturschutzgesetz der Europäischen Union beschlossen, es sichert die Lebensgrundlage für unsere Kinder und Kindeskinder. Das ist ein Grund zum Feiern.
Sie haben dafür die Koalition riskiert. War es das wert?
Unsere Ministerin hat rechtlich abgewogen und konnte rechtskonform so entscheiden, wie es für künftige Generationen das Richtige ist.
Abgesehen von der rechtlichen und inhaltlichen Debatte: Dass sich eine Ministerin über das klare Nein des großen Koalitionspartners hinwegsetzt, ist nicht üblich.
Es ist gelernte und gelebte Praxis, dass die zuständigen Minister im EU-Rat abstimmen, wie sie und ihre Ressorts es für richtig halten. Der Beschluss passt manchen nicht, aber es gab auch schon Entscheidungen von ÖVP-Ministern, die uns nicht gepasst haben – wie jene zu Schengen oder zur Agrarpolitik.
Weil die anderen Kinder gemein waren, dürfen Sie jetzt auch zuhauen?
Nein, es ist einfach Fakt und gelebte Praxis, dass die zuständige Ministerin die Entscheidung trifft.
Wenn das so ein normaler Vorgang gewesen sein soll – warum regt sich die ÖVP dann so auf?
Ich kann es inhaltlich nicht nachvollziehen. Das Renaturierungsgesetz ist lange verhandelt worden, es gab mehr als 160 Abänderungsanträge und eine Mehrheit im EU-Parlament – mit Stimmen der EVP. Aber ich nehme zur Kenntnis, dass die ÖVP das Gesetz nicht gutheißt. Österreich könnte bei der Renaturierung eine Vorbild-Rolle einnehmen, unser Agrar-Umweltprogramm ist ein Best-Practice-Beispiel. Darauf sollten wir stolz sein, anstatt vor Dingen Angst zu machen, die gar nicht im Gesetz stehen.
Gäbe es einen Punkt, an dem auch die Grünen die Contenance verlieren würden? Etwa, wenn die ÖVP dem Misstrauensantrag gegen Ministerin Gewessler zustimmt, den die FPÖ einbringen will?
Die FPÖ hat schon oft Misstrauensanträge versucht. Das beunruhigt mich nicht.
Denken wir an die Zeit nach der Wahl: Wer soll noch mit den Grünen koalieren wollen, wenn man sieht, wie sie sich über den großen Koalitionspartner hinwegsetzen?
Ziehen wir doch Bilanz über die vergangenen fünf Jahre. Es ist vieles weitergegangen, nicht nur im Klimabereich, sondern auch im Bereich der Umverteilung und sozialen Gerechtigkeit. Uns Grüne zeichnet aus, dass wir uns für Dinge, die das Leben der Menschen verbessern, beharrlich einsetzen, bis sie umgesetzt sind.
Das Ja zum Renaturierungsgesetz war ein starkes, mutiges Zeichen an Ihre Klientel. Wie viel Wahlkampf-Kalkül steckte dahinter?
Gar keines. Die Ministerin hat aus Verantwortung für die nächsten Generationen entschieden. Ich finde es überraschend, wie man alles darauf zuspitzt. Das Klimaticket ist auch nicht vom Himmel gefallen.
Das war auch so ein Alleingang von Ministerin Gewessler.
Am Ende ist es eines der erfolgreichsten Projekte für Österreich geworden.
Kanzler Nehammer hat angekündigt, dass bis zur Wahl nur noch das Nötigste erledigt wird. Welche Vorhaben wären das aus Ihrer Sicht?
Das frühere Beenden der Vollspaltenböden in der Schweinehaltung wäre wichtig, der VfGH hat uns einen Auftrag erteilt. Es gäbe einige Energiegesetze, die dazu beitragen könnten, unsere Abhängigkeit vom russischen Gas zu reduzieren. Das Luftabwehr-System Skyshield ist ein Projekt, das ja auch der ÖVP wichtig sein dürfte. Bei uns sind die Schranken nicht zu, wir arbeiten weiter. Wenn die ÖVP das auch will, kann noch viel gelingen.
Offen ist noch der EU-Kommissar. Wird es einen Abtausch geben? Die ÖVP bekommt den Posten, dafür die Grünen etwas anderes?
Wir sind hier nicht am Tarviser Markt. Es gibt ein gesetzliches Prozedere für die Nominierung des EU-Kommissars, und damit hat es sich.
Gibt es einen Grünen Vorschlag für den Posten? Leonore Gewessler zum Beispiel?
Wir beteiligen uns nicht an Namedropping.
Am Samstag findet der Grüne Bundeskongress statt. Ist es fix, dass Werner Kogler Spitzenkandidat wird?
Ich gehe von keiner Gegenkandidatur aus. Werner Kogler hat breite Zustimmung.
Und die Plätze hinter Kogler?
Die Spitze soll das Team bilden, das sich in den vergangenen Jahren in der Koalition bewährt hat: Leonore Gewessler bewirbt sich um den zweiten, Alma Zadić um den dritten, Sigi Maurer um den vierten und ich mich um den fünften Platz. Kandidatinnen und Kandidaten haben bei uns aber die Möglichkeit sich bis kurz vor den Wahlgängen zu entscheiden, auf welchem Platz sie kandidieren.
Der Bundeskongress ist ein Treffen grüner Delegierter aus ganz Österreich, das diesen Samstag in Wien stattfindet.
Auf der Tagesordnung steht die Erstellung der Bundesliste für die Nationalratswahl. Das läuft so ab: Die jeweiligen Kandidaten geben bekannt, um welchen Listenplatz sie sich bewerben und versuchen dann, die Delegierten mit Reden von sich überzeugen. Dann wird abgestimmt. Gibt es für einen Platz mehr als einen Kandidaten, dann kann sich der unterlegene Kandidat für einen Platz weiter unten noch einmal bewerben. Und so weiter.
Auf Platz 1 kandidiert diesen Samstag erneut Parteichef Werner Kogler. 2019 wurde er mit 98,58 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt, 2022 wurde er mit 96,41 Prozent als Bundessprecher bestätigt.
Wie sieht es mit Quereinsteigern auf der Liste aus: Würden Sie sagen, dass sich dieses Prinzip bewährt hat?
Natürlich! Leonore Gewessler, Alma Zadić, Sibylle Hamann – wir haben viele gute Politikerinnen, die bei uns eingestiegen und das Land positiv verändert haben.
Ich habe eigentlich auf Lena Schilling angespielt.
Ja, natürlich auch sie. Eine Aktivistin, die diesen Wahlkampf durchgestanden hat und jetzt im EU-Parlament die Stimme der Zukunft ist – das ist schon ein Erfolg. Auch für uns Grüne als Partei, weil wir gezeigt haben, dass wir unter den widrigsten Verhältnissen zusammenstehen.
Es gab im Wahlkampf viel Kritik an der Krisenkommunikation der Parteispitze. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht, aber gezeigt, dass wir zusammenhalten. Es war eine Ausnahmesituation mit Angriffen, die wir in dieser Form nicht gekannt haben. Wer künftig in die Politik geht, wird sich fragen: Was habe ich in den letzten Jahren von mir gegeben, was habe ich geschrieben, was hört man über mich, wenn man meine Bekannten fragt? Das Privatleben wird in Vorgesprächen wohl stärker Thema sein.
Werden Kandidaten künftig gründlicher durchleuchtet?
Es geht mehr darum, als Organisation auf solche Angriffe besser vorbereitet zu sein.
Olga Voglauer, geboren 1980 in Kärnten, ist seit 2019 Abgeordnete zum Nationalrat und besetzt im Grünen Klub die Rolle der Agrarsprecherin.
2023 war sie Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl in Kärnten, verpasste mit einem Ergebnis von 3,85 Prozent aber den Einzug. Kurz darauf wurde sie Generalsekretärin der Bundespartei und ist als solche unter anderem für die Wahlkämpfe zuständig.
Bei der EU-Wahl stand sie also auch an vorderster Front, als es galt, Spitzenkandidatin Lena Schilling gegen die Vorwürfe aus ihrem privaten Umfeld zu verteidigen. Für ihre Aussage, die SPÖ habe etwas mit der Causa zu tun und den Vorwurf der "Silberstein-Methoden" entschuldigte sie sich später.
Voglauer lebt in Kärnten und bewirtschaftet den elterlichen Milchviehbetrieb. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder - einen Sohn (18) und eine Tochter (16).
Kommentare