Nehammer: Kein Sparpaket nötig, Wirtschaftswachstum wird´s richten
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sieht keine Notwendigkeit für ein Sparpaket nach der Nationalratswahl. Vielmehr könne man "durch mehr Wirtschaftswachstum" das Budget stabilisieren, gab sich Nehammer im APA-Interview überzeugt.
Bei der Wahl Ende September glaubt Nehammer trotz gegenteiliger Umfragen an Platz eins. Gerüchte, dass eine Koalition zwischen ÖVP, SPÖ und Neos bereits paktiert sein soll, bezeichnete der Kanzler als "Falschinformation" und "Desinformationskampagne".
Wettbewerbsfähigkeit ist ein großes Thema
Experten etwa vom IHS, Wifo und dem Fiskalrat plädierten nach Jahren der Milliardendefizite und angesichts des prognostizierten hohen Budgetdefizits bis 2028 jüngst für kurzfristige Sparpakete in Milliardenhöhe. "Ich habe da eine gegenteilige Auffassung dazu", entgegnete Nehammer. Es sei wichtig, darüber zu reden, wie man wieder mehr Wachstum in Österreich erreiche, also Unternehmen und Industrie zu entlasten und ihnen die Möglichkeit für Investitionen zu geben.
"Durch mehr Wirtschaftswachstum habe ich auch die Chance, tatsächlich das Budget zu stabilisieren." Maßnahmen will der Kanzler etwa bei der Besteuerung von Überstunden oder den Lohnnebenkosten setzen. "Die Wettbewerbsfähigkeit, das ist ein großes Thema, und über diese Wettbewerbsfähigkeit dann wieder mehr Wachstum zu generieren, das halte ich für sinnvoll."
Man nehme die Ermahnungen und Warnungen durchaus ernst, betonte Nehammer, verwies aber gleichzeitig darauf, dass man "ein stabiles Budget" erreicht habe und "dass die Ratingagenturen uns bisher alle auf diesem Weg bestätigt haben". Im Gegensatz zu anderen Ländern in der Europäischen Union habe man auch keinen Mahnbrief vonseiten der Kommission erhalten, dass der Haushalt nicht funktioniere. Dass er Einsparungen nur nicht angreifen wolle, weil man sich mitten im Superwahljahr befindet, wies Nehammer zurück: "Nein, das Thema ist tatsächlich, dass wir in vielen Bereichen schon wirklich herzeigbare Erfolge erzielt haben", etwa mit der Investitionsprämie.
Wahlziel für September: "Erster werden"
Sein Wahlziel für den 29. September sei es "natürlich, Erster zu werden", zeigte sich Nehammer zuversichtlich. Er wolle "ein möglichst gutes Ergebnis durch die Wählerinnen und Wähler" erhalten, "ich bewerbe mich auch wieder, den Auftrag zu erhalten, eine Regierung anzuführen". Auf eine Zahl wollte sich der Kanzler nicht festlegen. 2019 erreichte die ÖVP 37,5 Prozent. Es sei "nicht wirklich sinnvoll", Wahlergebnisse vergangener Jahre miteinander zu vergleichen, "weil es immer massiv auf die Umstände ankommt, wann und unter welchen Bedingungen die Wahlen stattgefunden haben", die vergangenen Jahre seien "mehr als fordernd" gewesen.
"Die Fleißigen in den Vordergrund stellen"
Mit der Frage, bei welchem Ergebnis er den Parteivorsitz zurücklegen würde, setze er sich nicht auseinander, er wolle schließlich den "größtmöglichen Auftrag der Wählerinnen und Wähler" erreichen. Im Wahlkampf könnten diese sehen, wer welches Programm habe. "Mir ist eben Leistung, Familie, Sicherheit besonders wichtig", unterstrich der ÖVP-Chef: "Die Fleißigen in den Vordergrund zu stellen", Familie "als Keimzelle des Staates" und im Bereich der Sicherheit der "Kampf gegen die illegale Migration" sowie Aufrüstung von Polizei und Bundesheer.
In den Umfragen liegt allerdings die FPÖ seit Monaten an der Spitze. Nehammer gibt sich dennoch optimistisch und erinnerte an die EU-Wahl im Juni, "die tatsächlich dann den Echtbeweis gebracht hat, wie viel Umfragen wert sind". Die Wahl wurde freilich von den Freiheitlichen gewonnen. "Ja, aber der Abstand zwischen der Volkspartei und den Freiheitlichen war nur 0,8 Prozent, vorausgesagt wurde uns ein Abstand von zehn Prozent in manchen Umfragen", entgegnete Nehammer. "Und die Dynamik eines Wahlkampfes, die Möglichkeit, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, die beginnt ja jetzt erst richtig für die Menschen. Daher halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es uns gelingen kann, dass die Menschen uns den Auftrag geben und wir dadurch als Erste durchs Ziel gehen."
Links und Rechts radikalisiert sich immer mehr
Gefragt, ob es aus seiner Sicht demokratiepolitisch legitim wäre, auch als Zweiter den Kanzler-Anspruch zu stellen, erklärte der ÖVP-Chef, "es hat in Österreich schon alles gegeben", denn es komme ja immer darauf an, wie man eine parlamentarische Mehrheit zustande bringe. Mit welcher Partei er am liebsten koalieren würde, verriet Nehammer nicht. Entscheidend sei, "wo gibt es konstruktive Kräfte innerhalb der politischen Parteien und wo die destruktiven", meinte er.
"Mit destruktiven Kräften kann man keine Regierung und vor allem keine stabile Parlamentsmehrheit bilden." Links und Rechts "radikalisiert" sich "immer mehr" weg von der Mitte, befand der Kanzler. "Mein Angebot ist, die Politik der Vernunft, der Stabilität, der Mitte zu leben" und nach der Wahl diejenigen einzuladen, mitzuarbeiten, die daran interessiert seien. "Es gibt Kräfte, die nur vom Problem leben, aber es nicht lösen wollen, mit denen wird es dann schwer sein, eine konstruktive Zusammenarbeit zu finden."
Keine Regierung mit Kickl
Nehammer will zwar keine Regierung mit FPÖ-Chef Herbert Kickl, die FPÖ an sich schließt er aber weiterhin nicht als Koalitionspartner aus. Er kenne bei den Blauen "viele vernünftige Kräfte", mit denen er auch "guten Gesprächskontakt" pflege. Diese hätten derzeit wenig Möglichkeiten, "ihre Vorstellung der Politik zu leben", weil Kickl und sein Umfeld "sehr dominant auftreten - aber das heißt ja nicht, dass es auch nach der Wahl so bleiben muss".
Als "Fake-Papier" disqualifizierte Nehammer jenen angeblichen "Geheimplan" einer ausgemachten ÖVP-SPÖ-Neos-Koalition, der vom Blauen Peter Westenthaler verbreitet wird. "Man sieht jetzt, dass das eintritt, was wir befürchtet haben, wenn der Wahlkampf einmal beginnt: Es beginnt jetzt offensichtlich auch die gezielte Desinformation der Öffentlichkeit." Es werde versucht, "mit so einer gezielten Falschinformation Unruhe hineinzubringen in die politische Diskussion", und auch die eigene Wahlkampferzählung zu befeuern. "Falschinformation in einer Demokratie muss man sehr ernst nehmen", es sei ein "gemeinsames Zusammenwirken der vernünftigen Kräfte" in Politik und Medien notwendig, um dem entgegenzuwirken.
Grundsätzlich ist eine Zusammenarbeit mit SPÖ und Neos für Nehammer aber eine Option. Einige Landeshauptleute haben sich auch bereits für eine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ ausgesprochen. Es gebe Bundesländer, da regierten ÖVP und SPÖ zusammen, und genauso viele, wo es eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ gebe, "also daraus lässt sich gar nichts ableiten", ließ er sich nicht in die Karten schauen.
Auch, was eine künftige Zusammenarbeit mit den Grünen betrifft, sei sein Maßstab, ob Konstruktivität herrsche oder "die destruktiven Kräfte in den jeweiligen Verhandlungsteams so stark" seien, dass es keinen Sinn habe.
Koalition arbeitet weiter
Die aktuelle Regierung arbeite nach wie vor, versicherte der Kanzler und erinnerte etwa an die Einigung zur Pensionserhöhung diese Woche. Zuletzt hat die Koalition sich auf einen neuen EU-Kommissar geeinigt, nämlich Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Warum er Brunner und nicht die ebenfalls an dem Job interessierte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ausgewählt habe, begründete der Kanzler so: "Es ist nun mal Fakt, dass Magnus Brunner aus seiner bisherigen Tätigkeit das breiteste Angebot für diese spezielle Position und im Sinne der Agenda der EU darstellt. Vor allem, wenn es darum geht, dass Europa wieder wettbewerbsfähiger wird."
Finanzministern komme in der EU zudem "immer eine sehr wichtige Rolle zu, daher sind sie in der Kommission gern gesehen". Welches konkrete Ressort er sich für Brunner wünscht, ließ Nehammer offen, betonte aber einmal mehr, dass die Kommission "dringenden Aufholbedarf in der Stärkung Europas als Wirtschaftsstandort" habe.
"Schwierig" seien die türkis-grünen Verhandlungen im Justizbereich zu einem Generalstaatsanwalt: "Der Koalitionspartner war da bisher nicht bereit, sich weiter in unsere Richtung zu bewegen", bedauerte Nehammer. Zur aktuellen Sicherheitsdebatte verwies Nehammer auf Investitionen bei der Polizei, etwa die Ausrüstung von Streifenbeamten mit Tasern in Wien. Zudem liefen intensive Bemühungen zu Rückführungen von Straftätern auch in Gegenden wie Syrien oder Afghanistan.
"Schmäh-Tandler"
Die Opposition reagierte am Sonntag mit scharfer Kritik auf die Aussagen des Kanzlers: Nehammer sei ein "Schmähtandler und Rosstäuscher", befand FPÖ-Chef Herbert Kickl. Dass Nehammer "darüber fabuliert", dass er nun die Wirtschaft stärken wolle, sei "angesichts der bereits angerichteten Kaskade an Desastern" der vergangenen Jahre "geradezu grotesk". "Mit den leeren Phrasen Nehammers wird man höchstens an den Baron von Münchhausen erinnert und nicht an einen staatstragenden Kanzler, der Österreichs Wirtschaft retten möchte oder kann", meinte Kickl.
"Mit jeder neuen giftigen Tirade beweist Herbert Kickl, dass er ein Sicherheitsrisiko für unser Land ist", konterte wiederum ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. "Mit ständigen Attacken unter der Gürtellinie, absurden Verschwörungsmythen und erschreckenden, radikalen Ideen findet man keine Partner und steht am Ende alleine da."
SPÖ "fassungslos"
"Fassungslos" auf des Kanzlers Aussagen reagierte jedenfalls auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim: "Nehammer ist verantwortlich für das Milliardenbudgetloch Österreichs und belügt die Österreicher*innen. Es ist offenkundig, dass die ÖVP nicht vor Kürzungen zurückschrecken wird, die vor allem jene hart treffen werden, die sich nicht superreich nennen können."
Seltenheim erinnerte etwa an das "unsägliche Burger-Video", Nehammer sei "das Paradebeispiel eines abgehobenen Kanzlers". Nehammers Distanzierung von Kickl ist für Seltenheim ebenso unglaubwürdig.
Neos für "harte, aber notwendige Reformen" bereit
Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos warf Nehammer eine "komplette Realitätsverweigerung und versuchte Wählertäuschung" vor. "Sämtliche Wirtschaftsforscher bis hin zur EU-Kommission und zur OECD sind sich einig, dass es kein 'Weiter wie bisher' geben kann. Und auch die Wählerinnen und Wähler wissen, dass Österreich nicht länger 'Koste es, was es wolle' ertragen und Schulden über Schulden auf Kosten der Jungen machen kann, während sie selbst immer mehr Steuern zahlen und immer weniger Leistungen des Staates dafür bekommen."
Die nächste Regierung müsse also "selbstverständlich den Willen für harte, aber notwendige Reformen haben - wir Neos sind dazu bereit."
Kurz zusammengefasst
- Bundeskanzler Karl Nehammer meint, nach der Nationalratswahl sei kein Sparpaket nötig.
- Man könne man "durch mehr Wirtschaftswachstum" das Budget stabilisieren.
- Die Opposition sieht das anders - und kritisiert den Kanzler hart
- Für die Wahl schließt Nehammer eine Koalition mit einer FPÖ unter Herbert Kickl weiter aus.
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