FPÖ-Chef Kickl gegen Kanzler Nehammer: "Sie haben sich radikalisiert"

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Im Ton versöhnlich, schenkten die beiden Parteichefs im ORF-Duell einander wenig. Die Differenzen bei der Sicherheitspolitik bleiben erheblich.

Wer soll das Land führen? Das war eine, wenn nicht überhaupt die Frage, um die es Montagabend ging, als Karl Nehammer im ORF gegen Herbert Kickl antrat. 

Immerhin sind ÖVP und FPÖ jene beiden Kräfte, denen derzeit in Umfragen die größten Chancen auf Platz 1 bei der Nationalratswahl eingeräumt wird.

Tags zuvor hatte sich der Freiheitliche noch kurzfristig verweigert. Eine "Elefantenrunde" im Privat-Fernsehen musste ohne Herbert Kickl auskommen; über die genauen Gründe konnten selbst die Moderatoren nur vage spekulieren. Doch das Duell im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wollte sich der Freiheitliche Spitzenkandidat dann doch nicht entgehen lassen.

Gut eine Stunde kreuzten die Parteichefs verbal die Klingen. Und die Auseinandersetzung  begann ruhig im Ton, aber hart bei den Inhalten. 

Wie er denn sein Verhältnis zum früheren Koalitionspartner beschreibe, wurde Kickl eingangs gefragt.

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„Es war einmal sehr gut, heute ist es schwierig“, antwortete der Freiheitliche - und drehte den Spieß um. Denn die „Radikalisierung“, die ihm von Nehammer vielfach attestiert wird, ortet Kickl vielmehr beim ÖVP-Chef. „Sie haben sich radikalisiert. Sie haben versucht, das Land in einen totalitären Ausnahmezustand zu führen.“ Bis hin zum „Exzess“, der im Lockdown für Ungeimpfte gegipfelt habe. „Je mehr die Evidenz gegen Sie gesprochen hat, desto radikaler wurden Sie“, warf Kickl Nehammer vor. 

Wie reagierte der ÖVP-Chef?

Er nutzte die Attacke, um sich und seine generelle Haltung bzw. Diskussionsstrategie zu umreißen, und die lautete offensichtlich: Ich habe Verantwortung übernommen, während Herbert Kickl am Spielfeldrand stand und Hass und bis heute Angst schürt.

Auf das erste konkrete Thema, die Pandemie, gemünzt, klang das dann so: „Ja, wir haben Fehler gemacht, aber: Wir haben entschieden.“ Grundlage aller  Entscheidungen sei das aufrichtige Ansinnen gewesen, Menschenleben zu retten. „Mit dem heutigen Wissen kann man vieles infrage stellen“, so der Kanzler. „Die FPÖ hat die Angst der Menschen genutzt, um sie politisch für sich zu nutzen.“

An diesem Punkt dreht Kickl den Spieß um, und versucht Nehammer mit seinem eigenen Argument, der Verantwortung, zu schlagen: „Ein verantwortungsvoller Regierungschef wäre nicht Hals über Kopf durch diese Pandemie gegangen!“ Er, Nehammer, habe neues Wissen ignoriert und nicht ins Ausland geschaut. „Denn wenn ich merke, dass die Lockdowns das Gegenteil bewirken, was sie sollten, und dass die Impfung nicht der Gamechanger ist, dann erwarte ich mir von einer Regierung, dass man das der Bevölkerung kommuniziert.“ Der ÖVP-Chef habe aus Sturheit die „Zwangsimpfung“ durchgesetzt.

Koalition

Das war dann auch der Punkt, an dem die zwingende Frage gestellt wurde: Wie soll das funktionieren? Wie sollen ÖVP und FPÖ bei derart großen Gräben miteinander Gespräche über eine Koalition führen?

Kickl beantwortete das so: Man bewerbe sich um das Vertrauen der Bevölkerung. Und wenn die FPÖ dann stärkste Kraft werde, würden viele in der ÖVP ihre Positionen hinterfragen. 

Bei einem anderen Sachthema, dem Hochwasserschutz und dem Bodenverbrauch, waren sich die beiden Parteichefs vielfach einig. 

Der Kanzler wünscht sich eine Widmungspolitik mit Augenmaß, sodass, junge Familien auch günstige Bauplätze bekommen; Kickl wiederum wies darauf hin, dass er keine „zentralistischen“ Vorgaben aus Brüssel wolle. Wenn es eine Unterscheidung gab, dann allenfalls die, dass der FPÖ-Chef auch Windräder als Probleme bei der Bodenversiegelung betrachtet, weil diese ja mit viel Beton im Boden verankert werden müssten.

Sektiererin Gewessler

Nicht wirklich ins Streiten kamen die beiden auch bei der Wirtschaftspolitik. Wie berichtet, ähneln die Wahlprogramme hier ja auffallend. Das Schärfste, was der blaue Spitzenkandidat seinem Gegenüber vorwerfen wollte, war, dass dieser eine „Sektiererin“ wie Leonore Gewessler mit dem zentralen Thema der Energie-Versorgung beauftragt habe. 

Die vermutlich eindringlichste Passage des Duells war jene um das europäische Verteidigungssystem Skyshield. Für die ÖVP ist dieses de facto unverzichtbar - immerhin sind nicht nur die EU, sondern auch die neutrale Schweiz dafür. „Skyshield ist eine Investion in die Sicherheit Österreichs“, sagte der Kanzler. Er könne nicht nachvollziehen, wie man sich dem verweigere.

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Und Herbert Kickl?

Für den Blauen bleibt‘s dabei: Skyshield ist ein „Bruch der Neutralität“. Und dann warf Kickl Nehammer vor, Österreichs Sicherheit sogar zu schwächen: „Sie machen uns zu einem Angriffsziel!“ 

Angstmacherei

Für Karl Nehammer ist das der Punkt, an dem er wieder auf den Beginn zurückkommt: „Angstmacherei ist immer ein Teil der Politik von Herbert Kickl“. Und dann vergleicht er die EU mit den Fingern seiner Hand: Jeder Finger für sich allein sei wertlos. „Aber alle zusammen können eine Faust bilden.“

Überraschend ruhig verläuft der Konflikt beim Streit-Thema Russland: Kickl beharrt darauf, dass man die Sanktionen als „Wirtschaftskrieg“ nicht unterstütze; Nehammer kontert, dass man die Ukraine nicht im Stich lassen dürfe und es nicht akzeptiere, wenn mit Panzern und Gewalt wieder Grenzen verschoben werden würden. 

Das vielleicht emotionalste Thema überhaupt, die Frage von Migration und Asyl, streifen die beiden nur zum Schluss. Die Zeit ist knapp, die Rhetorik bleibt die selbe. Hier Kickl, der sagt, die Regierung hat eine Mega-Entwicklung verschlafen; da Nehammer, der einmal mehr daran erinnert, dass die FPÖ nur mit einem Politik mache, nämlich: mit Angst. 

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