Besteht also kein Handlungsbedarf?
Will man die Menschen schnell aus der Sozialhilfe herausbekommen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Etwa durch leistbare Kinderbetreuungsplätze. Außerhalb von Wien sind sie dünn gesät, was es alleinerziehenden Müttern oft unmöglich macht, einen Job anzunehmen. Und ich bin sofort dafür, die Sozialhilfe bundesweit wieder zu vereinheitlichen.
Wie genau sollte diese Reform aussehen?
Das müssen Bundesländer und Bund miteinander vereinbaren. Etwa, wie man die Systeme von Arbeitslosengeld, für das der Bund zuständig ist, und Mindestsicherung verknüpfen kann. Oder ob man wie in Vorarlberg den Betrag ab einer bestimmten Anzahl von Kindern reduziert. Das würde eine Debatte, wie die aktuelle verhindern, die auf beiden Seiten das Klima vergiftet.
Wie SPÖ-Chef Andreas Babler wollen auch Sie eine eigene Kindergrundsicherung. Ist sein Vorschlag für Sie ein sinnvolles Modell?
Auch hier müssen Bundesländer und Sozialpartner eingebunden sein. Wir müssen das bisherige System vereinfachen und transparent machen sowie Leistungen zusammenführen. Am Ende steht eine Kindergrundsicherung mit zwei Säulen: Eine Geldleistung, die jedes Kind in gleicher Höhe bekommt, mit einem einkommensabhängigen Teil, der besonders armutsgefährdeten Kindern zugutekommt. Ergänzt durch eine zweite Säule in Form von Sachleistungen, wie Mittagessen oder Nachhilfe.
Thema Corona: Mit Veröffentlichung der deutschen RKI-Files ist die Debatte losgebrochen, ob die Politik entgegen den Empfehlungen von Experten gehandelt hat. Gilt das für Österreich auch?
Unbestritten würden wir heute ein paar Dinge anders machen. Etwa die Schulschließungen und die Abschottung der Pflegeheime nicht mehr in dem Umfang, wenn überhaupt. Die großflächigen Massentests haben viel gekostet, aber in der Nachbetrachtung keinen zusätzlichen Nutzen gehabt. Auch die Impfpflicht würden wir wahrscheinlich nicht mehr beschließen.
Experten haben angesichts der frühen Corona-Welle zu baldigen Auffrischungsimpfungen geraten. Von der Regierung gab es keine Aufrufe dazu. Ist das dem Wahlkampf geschuldet?
Ich sehe keine Coronawelle. Beim Abwassermonitoring ist seit zwei Wochen die Tendenz schon wieder sinkend. Dass es wieder Wellen geben wird, ist unbestritten. Ich halte aber das krampfhafte Hinstarren auf Corona für einen Fehler. Meine Haltung zu Impfungen ist klar. Die kommuniziere ich auch im Wahlkampf.
Kommen wir zur Gesundheitsreform. Ein Teil davon sind die im Vorjahr angekündigten 100 zusätzlichen Kassenstellen. Warum gibt es erst zwölf davon?
Für die 100 Stellen gibt es über 200 Bewerber. Zugegeben, die Besetzung könnte schneller gehen. Da muss die ÖGK endlich in die Gänge kommen. Wirklich rasch geht dafür der Ausbau der Primärversorgungseinheiten voran. Wir werden 2025 die 100er-Grenze überschreiten.
Aktuell streiten Sie mit der ÖVP über ein Messertrageverbot. Sie wollen, dass Betrunkene keines mehr mitführen dürfen. Wer soll das angesichts knapper Polizei-Ressourcen kontrollieren?
Messer gehören in die Küche und nicht auf die Straße. Punkt. Wenn wir die Regelung gesetzlich verankern, gehe ich davon aus, dass sich dann ein Gutteil der Bevölkerung daran hält.
Im Streit um das Renaturierungsgesetz hat ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker Umweltministerin Leonore Gewessler als „Kickl der Grünen“ bezeichnet. Wie viel Spaß macht es Ihnen noch, mit der ÖVP zu regieren?
Die Regierung hat fünf Jahre gut gearbeitet. Dass der Wahlkampf Nebengeräusche verursacht, ist klar. Doch bei allem Verständnis dafür: Wie Stocker und manche Landeshauptleute Gewessler tituliert haben, ist unzumutbar. Sie mit Kickl gleichzusetzen, ist eine Infamie.
Wie soll es nach dem Wahltag weitergehen?
Mit einer Koalition aus ÖVP, SPÖ und Grünen.
Warum sollen denn ÖVP und SPÖ die Grünen den Neos vorziehen?
Wir haben fünf Jahre bewiesen, dass wir Sachpolitik machen. Die Neos hingegen regieren in Wien und sind dort mit einer Nullbilanz ausgestattet, dass ich mich frage, mit welchem Recht sie im Bund eine Regierungsbeteiligung beanspruchen.
Sie wollten nach der Wahl abtreten, können sich nun aber doch vorstellen, in der Politik zu bleiben. Warum?
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frauenrechte stehen zur Disposition. Da will ich nicht vom Balkon tatenlos zusehen. Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sei es in Regierungsverhandlungen, sei es in einem Amt.
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