Debatte setzt sich fort: Lebt es sich leichter mit Sozialhilfe?

4.600 Euro Mindestsicherung bezieht eine syrische Familie mit sieben Kindern in Wien. Ein Aufreger der vergangenen Woche, der weiterhin Fragen aufwirft. Der KURIER versucht, die wichtigsten zu beantworten.
Wieso ist die Sozialhilfe in Wien so hoch?
Türkis-Blau hat versucht, die Mindestsicherung bundeseinheitlich zu gestalten – der Verfassungsgerichtshof hob aber Teile davon auf. Deshalb gilt: Einer Einzelperson stehen rund 1.156 Euro zu, Paaren 1.618 Euro. Durch Zuschüsse kann die Unterstützung höher ausfallen.
Wien schießt für jedes Kind 312 Euro zu, während man in Oberösterreich und Niederösterreich pro Kind weniger bekommt, je mehr Kinder man hat. Ein Beispiel: Bei einem Kind gibt es 289 Euro, bei zwei Kindern jeweils nur noch 231 Euro.
Zudem legt Wien die Mietbeihilfe obendrauf, in Oberösterreich und Niederösterreich ist sie Teil der Sozialhilfe.
Wer sind die Bezieher?
Österreichweit gab es laut Statistik Austria 2022 im Monatsschnitt rund 190.000 Bezieher. Laut aktuellen Zahlen der Stadt Wien leben alleine da 142.149 Bezieher.
Davon sind 58.155 Asyl- und 12.158 subsidiär Schutzberechtigte. 46.909 Bezieher sind Österreicher. Nur rund die Hälfte der Bezieher ist arbeitsfähig, der Rest sind laut Stadt Wien Kinder, Pensionisten und Behinderte.
Und: Rund drei Viertel (106.207) der Bezieher sind „Aufstocker“: Diese sind erwerbstätig, verdienen aber zu wenig. Deshalb wird bis zu dem Betrag, der ihnen mit der Mindestsicherung zustehen würde, aus dem Sozialtopf der Stadt Wien aufgestockt. Rund 25.000 Personen sind „Vollbezieher“, 14.450 sind Pensionisten.
Warum sind darunter so viele Asyl- bzw. subsidiär Schutzberechtigte?
Viele, die einen positiven Aufenthaltsbescheid bekommen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, sind noch nicht entsprechend sattelfest in der deutschen Sprache und/oder bringen nicht die entsprechenden Qualifikationen mit.
Deshalb ist die Mindestsicherung für sie das erste Sicherheitsnetz, während Personen, die schon erwerbstätig waren, mit Arbeitslosengeld unterstützt werden.
Lohnt sich Sozialhilfe für manche mehr als Arbeit?
Für Menschen mit vielen Kindern und keinem gut dotierten Job offenbar schon, wie eine Studie des Grazer Johanneums zeigt, in dem 3.500 Haushaltskonstellationen untersucht wurden.
Ein Beispiel: Eltern mit vier Kindern in Wien müssten 5.000 Euro brutto verdienen, um mehr zum Leben zu haben als mit Mindestsicherung.
Hinzu kommt, dass Mehrarbeit gerade bei Einkommen zwischen 2.000 und 3.000 Euro dazu führt, dass man den Anspruch auf gewisse Hilfen verliert, während die Mehrarbeit den Wegfall aber nicht kompensiert.
Die Studienautoren Franz Prettenthaler und Judith Köberl sprechen von einem „negativen Arbeitsanreiz“. Als Lösung schlagen sie steuerliche Vorteile für niedrige Einkommen vor.
Kann man sich in der Mindestsicherung „ausruhen“?
In Wien wird betont, dass Bezieher zur Arbeitssuche verpflichtet seien. Bei Verstößen – z. B. wenn jemand zu einem Termin nicht erscheint – können die Bezüge gekürzt und beim dritten Verstoß sogar ganz ausgesetzt werden. Im ersten Halbjahr 2024 gab es laut Stadt Wien rund 6.800 Sanktionen, im Jahr 2023 in Summe 14.000.
Was sagen Sozial-NGOs?
Die Volkshilfe erinnert daran, dass die Mindestsicherung von 1.150 Euro pro Person deutlich unter der Armutsschwelle von 1.600 liege. Die syrische Großfamilie würde eigentlich 6.600 Euro pro Monat benötigen.
Was sagt die Regierung?
Die ÖVP fordert schon seit Längerem eine „Wartefrist“. Erst nach fünf Jahren regulärem Aufenthalt in Österreich sollen Fremde die volle Sozialhilfe erhalten.
Der grüne Sozialminister Johannes Rauch plädiert indes für eine „bundesweite Mindestsicherung neu“. Diese müsse gut mit anderen Sozialleistungen abgestimmt sein und auch finanzielle Anreize setzen, rasch arbeiten zu gehen – was derzeit nicht immer der Fall sei, gesteht Rauch ein.
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