"Die Politisierung des Islam führt die Gesellschaft in den Abgrund"
KURIER: Sie haben kürzlich in einem Gastkommentar in der „Presse“ vor nicht in Europa ausgebildeten Imamen, die bei uns tätig sind, gewarnt. Was war der aktuelle Anlass?
Ednan Aslan: Es gibt jedes Jahr mehrmals aktuelle Anlässe. Weil wir immer wieder von Imamen hören, die demokratiefeindliche Äußerungen von sich geben. Diese Imame kommen fast ausnahmslos aus dem Ausland und haben entweder ihre Ausbildung im Ausland absolviert, oder sie haben gar keine universitäre Ausbildung genossen und predigen in ihrer Muttersprache. Demgegenüber hielte ich es für dringend notwendig, dass wir die Imame hier in Österreich ausbilden.
Wie viele Imame haben wir ungefähr, die bei uns ausgebildet wurden?
Wir kennen die Zahl der Imame, die in den Moscheegemeinden tätig sind, nicht. Die IGGÖ nennt weder die Zahl der Moscheen noch die der Imame. Aber was wir wissen, ist, dass es keinen einzigen Imam gibt, der seine Ausbildung in Österreich gemacht hat – keinen! Es gäbe zwar Absolventen, die man als Imam beschäftigen könnte. Aber das Problem besteht darin, dass nicht die IGGÖ, sondern die Moscheevereine die Imame einstellen – und bei der Einstellung spielt weniger die fachliche Qualifikation eine Rolle, sondern mehr die ideologische Nähe zur jeweiligen Moscheegemeinde. Dass die IGGÖ qualifizierte Lehrerinnen ohne Kopftuch nicht beschäftigen möchte, hat auch mit einer bestimmten theologischen Auffassung zu tun. Das sind dann oft theologische Vorstellungen, die nicht unbedingt mit unseren demokratischen Werten bzw. einer pluralen Gesellschaft kompatibel sind. Wenn Sie sich den theologischen Beirat der IGGÖ anschauen, dann sehen Sie auch, in welche Theologie die IGGÖ vordringen will. Es ist nämlich keine Theologie, die sehr weit von der Hamas-Theologie entfernt ist.
Der Politikwissenschafter Heiko Heinisch hat kürzlich gegenüber dem KURIER einen Imam zitiert, der die Jugend vor „falschen“ Freundschaften warnt, die „vom Wege Allahs“ wegführen würden. Sind solche Äußerungen Einzelfälle, oder ist das repräsentativ?
Dies sind Einzelfälle mit steigender Tendenz. Aber Einzelfälle sind auch gefährliche Fälle. Daher müssen wir sie ernst nehmen und darauf reagieren. Diese Einzelfälle sind jedenfalls importiert – ein Imam, der seine Ausbildung in Europa gemacht hat, würde sich nicht so äußern. Das ist eine Importgefahr in unserer Gesellschaft, die wir durch vernünftige Maßnahmen vermeiden können.
Die aktuelle Bundesregierung hat eine Dokumentationsstelle für den politischen Islam etabliert. Sie haben damals (August 2020; Anm.) in einem KURIER-Interview erklärt, es wäre wichtig, dass diese Einrichtung nicht nur Missstände aufzeigt, sondern auch „zukunftsorientierte Verbesserungskonzepte“ präsentiert. Ist die Dokumentationsstelle dem gerecht geworden?
Sie hat sicherlich etliche Probleme aufgezeigt und analysiert – dafür ist sie zu loben. Von den genannten Konzepten ist noch nicht viel zu sehen – daran wird gearbeitet, aber das ist noch ein weiter Weg.
Ednan Aslan
geb. 1959 in Bayburt (NO-Türkei); Professor für Islamische Religionspädagogik am Institut für Islamisch-Theologische Studien der Uni Wien; Studium der Pädagogik und Politikwissenschaft in Tübingen und Stuttgart, Promotion an der Uni Klagenfurt.
Kindergärten
2015 ff. sorgte seine Studie über muslimische Kindergärten für Aufregung. Diese sei vom Außenministerium (unter Sebastian Kurz) als Auftraggeber manipuliert, hieß es. Das Ministerium wie Aslan selbst wiesen die Vorwürfe zurück.
Das heißt, da hätten Sie sich mehr erwartet?
Ich erwarte mir noch mehr. Aber man muss auch sagen, dass es das, was sie bisher geleistet haben, vorher auch nicht gab.
Von den Ermittlungen im Gefolge der viel diskutierten „Operation Luxor“ (Anti-Terror-Razzia im November 2020 gegen mutmaßliche Hamas-Mitglieder bzw. Muslimbrüder in Österreich; Anm.) ist wenig übriggeblieben. Sie haben in einem KURIER-Interview im August 2022 gemeint, wir würden noch weitere Erfolge sehen. Hat das gestimmt?
Es hat sehr viele Erkenntnisse daraus gegeben. Auch wenn Teile der Ermittlungen eingestellt wurden, heißt das nicht, dass die Gefahr, die von der Muslimbruderschaft ausgeht, nicht besteht. Die Operation Luxor war die erste, welche diese Gefahr deutlich gemacht hat. Man hat gesehen, dass Österreich diese Gefahr sehr lange ignoriert hat. Aber ein Rechtsstaat braucht natürlich Belege – und bei Terrororganisationen ist es oft schwierig, solche Belege zu finden. Organisationsstrukturen dieser Gefahr sichtbar zu machen, ist also schwierig, aber die Demonstrationen zum Nahostkonflikt, die zunehmenden gesellschafts- und friedensfeindlichen Äußerungen von Imamen, die Warnungen der Verfassungsschutzämter vor der islamistischen Terrorgefahr zeigen, dass diese Gefahr existiert und wirkt. Luxor war also ein Anfang – und ich sehe diesen Anfang trotz allem als Erfolg. Aber wir müssen auch erkennen, was wir seit 50 Jahren vernachlässigt haben.
Woher kommt dann der sehr kritische, oft polemische Ton in der Berichterstattung, wenn es um Maßnahmen wie „Luxor“ geht?
Wir haben den politischen Islam bei uns beinahe institutionalisiert. Der politische Islam hat sich eine Infrastruktur geschaffen und agiert sehr professionell. Und wir haben – bewusst oder unbewusst – einen wichtigen Beitrag geleistet, dass der politische Islam sich hier wohl fühlt. Er agiert viel professioneller als viele politische Akteure. Der politische Islam konsumiert die Vorteile einer pluralen demokratischen Gesellschaft. Manche politischen Kräfte wollen sich auch die Stimmen aus diesem Milieu sichern. Aber sie denken nicht daran, dass der politische Islam viel politischer und viel klüger ist als sie selbst. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das zentrale Element des politischen Islam die Westenfeindlichkeit ist. Europa mit seinen pluralistischen und demokratischen Prinzipien ist der Erzfeind des politischen Islam. Aber um ihre Ziele zu erreichen, versuchen sie natürlich, in Europa Fuß zu fassen, wo die Rechtsstaatlichkeit es ermöglicht, sich gegen die Demokratie zu organisieren. Man sieht, was der politische Islam in islamischen Ländern bewirkt hat – und man kann sich vorstellen, was in Europa passieren könnte.
Wieso wird diese Gefahr nicht klarer gesehen?
Wir tun uns schwer, den politischen Islam zu begreifen. Unser säkulares Denken versteht nicht den politischen Anspruch dieser Religion. Die Politisierung des Islam führt die Gesellschaft in den Abgrund.
Aber liegt hierin nicht das Dilemma liberaler Demokratien: dass sie ihren Feinden gegenüber tendenziell zu schwach sind, weil sie fürchten, ihre eigenen Prinzipien zu verletzen?
Wir haben in Europa eine bestimmte Vorstellung von Religion – von ihren Aufgaben, von ihrem Platz. Wer diese Grenzen überschreitet, widerspricht unseren demokratischen Prinzipien. Wenn ein Staat nicht in der Lage ist, diese Prinzipien zu schützen, dann brauchen wir ihn nicht mehr. Eine plurale Gesellschaft kann nur existieren, wenn wir diese Grenzen beachten. Wenn wir an diesen Prinzipien – Sie können es auch „Leitkultur“ nennen oder „Leitpolitik“ – nicht festhalten, dann hat unsere Gesellschaft keine Zukunft mehr.
Eigentlich gibt es ja das Islamgesetz, mit dem das gewährleistet sein sollte …
Fast alle muslimischen Organisationen bei uns stehen unter ausländischem Einfluss. Keine leitet ihre Werte aus unserer Gesellschaft ab. Daher wird jeder Versuch, den Islam hier zu beheimaten, als Verrat gesehen. Das ist zwar nicht die offizielle, aber die faktische Position der IGGÖ. Das Problem ist die Abhängigkeit islamischer Einrichtungen und Akteure vom Ausland – politisch, theologisch und finanziell.
Welche Länder sind das? Die Türkei …?
Türkei, Ägypten, Golfstaaten wie Katar, auch Bosnien – das im Moment sehr eng mit der Türkei zusammenarbeitet. Die Bestellung des Präsidenten der IGGÖ ohne Zustimmung aus der Türkei und aus Bosnien wäre fast unmöglich.
In dem Interview von 2022 haben Sie auch kritisiert, die Regierung habe das Interesse am Problem des politischen Islam verloren und auch von einem möglichen Kniefall vor Erdogan gesprochen – etwa durch eine mögliche Lockerung des Islamgesetzes …
Dass unsere Regierung den Kampf gegen den politischen Islam aus den Augen verloren hat, würde ich auf jeden Fall noch so sagen. Das hat auch mit der Teilniederlage bei „Luxor“ zu tun – und jetzt will man sich das nicht mehr antun. Die Regierung bekämpft zwar punktuell die Auswirkungen des politischen Islam – aber die Wurzeln wurden zum Teil noch nicht einmal wahrgenommen. Woher kommen die Imame, wie werden sie ausgebildet, wie ist eine Moschee definiert, wie kontrolliert die IGGÖ die Predigten in den Moscheen, religiös motivierte Konflikte in zahlreichen Ballungszentren der Großstädte, Schulen in Österreich? In der Beantwortung dieser Fragen gibt es viele Schwachstellen.
Die ganze Thematik ist ja jetzt zusätzlich unterzündet worden durch den Gazakrieg. Sehen Sie da eine Perspektive? Kann die Hamas entmachtet werden?
An die Entmachtung der Hamas glaube ich nicht. Die sind institutionell zu stark. Das gilt auch für die Muslimbruderschaft in Österreich. Auch wenn solche Organisationen unter verschiedenen Namen agieren - der Verein, in dem ein Imam zur Ermordung aller Juden aufrief, nannte sich auch Integrationsverein - bleiben sie ihrer menschenverachtenden Theologie treu. Man kann Hamas und Muslimbruderschaft letztlich nicht trennen – das ist dieselbe Ideologie. Was den Gazastreifen betrifft, so glaube ich auch nicht, dass sich die Hamas militärisch besiegen lässt. Die haben Krankenhäuser, Hilfsorganisationen, Auslandsvertretungen etc. Der Krieg kann die Hamas schwächen – aber langfristig hat die Hamas dadurch auch mehr finanzielle Unterstützung, mehr Sympathisanten in den islamischen Ländern. Daher braucht es soziale, wirtschaftliche und intellektuelle Maßnahmen, um den Strukturen der Hamas entgegenzutreten und diese überflüssig zu machen.
Wer könnte das tun?
Israel alleine sicher nicht. Es ist auch nicht nur das Problem von Israel. Die Hamas ist eine Terrororganisation mit weltweit operierenden Strukturen. Vor dem Krieg hatte ich immer auf einen Frieden Israels mit Saudi-Arabien gehofft. Das hätte vielleicht den Terror in Israel und im Westjordanland beenden können. Aber die Hamas und ähnliche Organisationen wollen keinen Frieden: weil sie nur ohne Frieden existieren können, der Krieg sichert ihre Zukunft.
Kommentare