Aslan: "Integration ist eine Aufgabe der Migranten"
Er ist ein scharfer Analytiker des Verhältnisses zwischen islamischer und westlicher Welt. Im Gespräch mit dem KURIER nimmt Ednan Aslan zu Anlassfällen Stellung.
KURIER: Zuletzt hat der Anschlag auf Salman Rushdie die Weltöffentlichkeit aufgerüttelt – auch weil sein Fall schon fast vergessen war, kaum jemand hat noch damit gerechnet. Waren Sie überrascht?
Ednan Aslan: Nein. Der Fall Rushdie ist bekannt geworden. Aber wegen Beleidigung des Propheten und ähnlichem sind unzählige unbekannte Menschen ins Gefängnis gekommen oder getötet worden. Es ist leicht, Khomeini und seine Fatwa zu kritisieren – aber das entspricht der islamischen Theologie. Der Anschlag war also nicht unbedingt ein Produkt Khomeinis, sondern Khomeini war ein Instrument der islamischen Theologie. Ähnlich verhält es sich mit der Ermordung von Homosexuellen durch den IS, die auch nicht dessen Erfindung ist, sondern Folge einer bestimmten Lehre, die wir immer noch an islamischen Universitäten unterrichten.
Es hätte also Khomeinis Fatwa gar nicht gebraucht?
Die Fatwa wurde durch Khomeini ausgesprochen, aber in den Grundquellen des Islam haben wir jede Menge Hinweise, dass die Beleidigung des Islam bzw. des Propheten mit dem Tod bestraft werden soll.
Was bedeutet das alles für die islamische Theologie?
Das bedeutet, dass wir Muslime uns nicht immer nur als Opfer sehen, sondern auch als Täter – das wäre gesund, dass wir unsere eigene Theologie grundlegend im neuen Kontext reflektieren.
Wenn wir nach Österreich schauen: Bei den Ermittlungen im Gefolge der Operation Luxor (Anti-Terror-Razzia im November 2020 gegen mutmaßliche Hamas-Mitglieder bzw. Muslimbrüder in Österreich; Anm.) musste die Grazer Staatsanwaltschaft zuletzt Rückschläge hinnehmen: das OLG Graz verlangte die Entlassung der beiden Gutachter, die Ermittlungen gegen die Stiftung Anas Schakfeh wurden eingestellt, ein Belastungszeuge der Anklagebehörde wurde erstinstanzlich wegen übler Nachrede verurteilt. Was ist da los?
Ich würde nicht von Rückschlägen sprechen, sondern von einem Erfolg der Rechtsstaatlichkeit in Österreich. Diesen Luxus haben Sie in Ländern wie Katar und der Türkei nicht, die die Rechtsstaatlichkeit in Österreich in Frage stellen und uns Muslimfeindlichkeit unterstellen.
Trotzdem besteht der Eindruck, dass die Ermittlungen nicht vom Fleck kommen …
Eine Terrororganisation wie die Muslimbruderschaft zu identifizieren, ist ein mühsames Unterfangen. Aber durch die Operation Luxor sind mittlerweile bestimmte Netzwerke erkennbar geworden, wir sehen besser, wie mobilisiert wird, es werden Verhältnisse zwischen Personen sowie zwischen Gruppen etwa in den USA einerseits und Österreich andererseits sichtbar, wir sehen beispielsweise, wie bestimmte internationale Netzwerke, die sehr eng mit der Muslimbruderschaft arbeiten, ihre organisatorischen Strukturen in Österreich haben. Das ist ein großer und wichtiger Erfolg dieser Operation. Wir werden im kommenden Jahr noch weitere Erfolge sehen. Und was die Gutachter betrifft: nicht die Qualität ihres Gutachtens wurde in Zweifel gezogen, sondern sie wurden wegen behaupteter Befangenheit einer der beiden enthoben.
Zurecht?
Das glaube ich nicht. Wenn Sie sich mit einer Materie wie im konkreten Fall der Muslimbruderschaft befassen und demnach als Experte gelten, dann haben Sie mit Sicherheit sich schon über einzelne Personen oder Gruppierungen geäußert. Damit sind Sie aber schon in der Logik des OLG befangen.
Und die Schakfeh-Stiftung?
Die Ermittlungen wurden zwar eingestellt, aber man hat durch die Untersuchungen einige wichtige Erkenntnisse gewonnen – und die werden der Staatsanwaltschaft im weiteren Verlauf helfen. Was man aber generell schon sagen muss: Unsere Behörden sind solchen Herausforderungen nicht ganz gewachsen, wir sind nicht Deutschland oder Frankreich, die sind dort viel besser aufgestellt. Da muss Österreich noch zulegen. Vielleicht kann Luxor ja auch hier die Dinge beschleunigen.
Zeigt sich an der Operation Luxor nicht exemplarisch, wie hoch aufgeladen das Thema „Islam“ nach wie vor ist?
Es fällt den Muslimen in Österreich nach wie vor schwer, sich mit dem Staat Österreich zu identifizieren. Sie haben sich immer noch von ihren Herkunftsländern nicht ganz abgelöst. Eine Unterstützung des Staates, der Behörden gilt vielen noch immer als Verrat.
Kritiker würden jetzt einwenden, das liegt daran, dass die Muslime von der Mehrheitsgesellschaft nicht entsprechend aufgenommen werden …
Integration ist zunächst eine Aufgabe der Migranten, die kommen. Sie kommen ja, weil sie die Werte, die Strukturen, die Demokratie in Österreich, in Europa schätzen. Wenn sie aber mit ihren religiös-kulturellen Einstellungen Österreich verändern wollen, dann kommen sie mit der falschen Einstellung. Sicherlich braucht Österreich auch Integrationsmaßnahmen – aber ich betone immer wieder: Es muss im Interesse der Migranten sein, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Sonst bleiben sie in jenen Verhältnissen, aus denen sie geflüchtet sind. Deswegen wären die Muslime gut beraten, auch im Rahmen von Luxor mehr zu sagen – sie wissen ja viel mehr. Auch der Täter vom 2. November war vielen Muslimen bekannt – sie können nicht sagen: wir wussten davon nichts.
Da gibt es ja die Kritik, dass die Operation Luxor die Aufmerksamkeit und die Ressourcen so sehr gebündelt hat, dass man sich nicht mit dem späteren Attentäter befasst hat …
Das sehe ich nicht so. Bestimmte Anschläge sind nicht zu verhindern – nicht einmal in England, wo es die besten Geheimdienststrukturen gibt. Geschweige denn in Österreich. Man darf auch nicht vergessen, dass Organisationen wie die Muslimbruderschaft – die ja unter verschiedenen Namen auftritt – hoch professionell agieren. Das sind keine Leute aus Hinterhofmoscheen. Die agieren zum Teil viel professioneller als unsere Sicherheitsbehörden.
Die österreichische Regierung – namentlich die Kanzlerpartei – hat ja den Kampf gegen den politischen Islam als eine ihrer zentralen Aufgaben definiert, durchaus auch gegen den Widerstand von außen bzw. Skepsis des Koalitionspartners. Ist da inzwischen ein bisschen die Luft draußen?
Nicht ein bisschen, sondern fast ganz. Die Regierung hat zum einen andere Sorgen. Dazu kommt aber noch etwas anderes: Herr Nehammer oder Herr Sobotka beispielsweise sind sehr stolz, dass sie mit Recep Tayyip Erdogan gesprochen haben. Aber ein Gespräch mit Erdogan kostet etwas. Das heißt, früher oder später werden sie ihre Rechnung bekommen.
Was könnte das bedeuten?
Dass etwa das Islamgesetz dahingehend geändert wird, dass der Import von Imamen durch Atib erleichtert wird. Das befürchte ich sehr. Weil man Erdogan generell heute anders einschätzt: als internationalen Friedensvermittler, den Europa braucht. Das hat natürlich Konsequenzen für die türkischen Muslime hier in Österreich. Die Türkei ist sehr daran interessiert, die nationalistische Identität in der Isolation zu schützen. Daher habe ich den Eindruck, dass die Regierung das Interesse am politischen Islam verloren hat.
Hat das auch mit dem Kanzlerwechsel zu tun?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber was ich sehe, ist, dass die Regierungsmitglieder ihre Sprache geändert haben. Das ist kein gutes Zeichen.
Aber muss ein Land wie Österreich oder Deutschland nicht einen modus vivendi mit der Türkei finden?
Man kann auch eine Politik mit Prinzipien machen. Die Türkei arbeitet etwa mit Russland zusammen – das sind nicht die besten Freunde, die haben vielfach sehr große Differenzen. Aber beide haben ihre Prinzipien bzw. Interessen nicht aufgegeben. Man kann also an seinen Prinzipien festhalten und trotzdem wirtschaftliche oder kulturelle Beziehungen pflegen. Darüber darf man aber Menschenrechtsverletzungen oder die Gewaltförderung durch die Türkei nicht aus den Augen verlieren.
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