Innenminister Karner: "In Wien brennen keine Straßenzüge"
Ein Gespräch über die "3 D-Strategie" bei Demonstrationen, Arbeitsanreize für Asylberechtigte, Schwarz-Blau in Niederösterreich und sein (Nicht-)Gesprächsverhältnis zu Herbert Kickl.
Gerhard Karner: Die Polizei steht im Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Demonstrationsfreiheit und dem Recht der Bürger auf Sicherheit und Leben in dieser Stadt. Die Exekutive agiert mit der 3 D-Strategie: Dialog im Vorfeld, Deeskalation vor Ort und dann, wenn nötig, auch Durchgreifen. Die Polizei hat gegen den geplanten Demonstranten-Sturm auf das Hotel Marriott einen Ring gebildet und auch Pfefferspray eingesetzt. Aber im Vergleich zu anderen Millionenstädten brennen in Wien keine Straßenzüge.
Wird nicht dennoch manchmal übertrieben mit großräumigen Sperren?
Ziel ist, möglichst gelinde vorzugehen. Denken Sie daran, wie wir die Klimaktivisten auf dem Überkopfwegweiser kleben haben lassen. Die waren enttäuscht, dass wir die Autobahn nicht gesperrt und sie nicht abgeseilt haben. Konsequent eingeschritten wird aber, wenn es gefährlich wird.
Ist es insgesamt gefährlicher geworden für die Polizei?
Es ist herausfordernder. Auch, weil mittlerweile jeder Einsatz von Demonstranten und Medien gefilmt wird. Manches wird dann aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt. Leider steigt auch die Zahl der Polizisten, die im Dienst verletzt werden.
Ist es schwer, neue Polizisten zu finden?
Durchaus. Deshalb haben wir das Gehalt erhöht. Bei den Aufnahmekriterien wird gerade nachjustiert. Die psychologischen Tests werden wir aber keinesfalls nach unten schrauben. Ein großes Anliegen ist mir übrigens auch, die Bürger für Cybercrime zu sensibilisieren. Viele sind da noch zu unvorsichtig.
Amnesty International hat diese Woche die Situation der Menschenrechte in Österreich scharf kritisiert.
Ich habe das Gefühl, dass Amnesty das Land verwechselt hat. Das hat mit Österreich nichts zu tun. Die Bevölkerung hat gerade im vergangenen Jahr unglaublich viel geleistet. Über 90.000 Ukrainer sind gekommen, dazu gab es 108.000 Asylanträge.
Viele Asylwerber ziehen weiter.
Richtig, aber in der Grundversorgung befinden sich derzeit 88.000 Menschen, davon 52.000 Ukrainer. Ein Asylberechtigter bekommt in der Grundversorgung 40 Euro Taschengeld monatlich, wenn er in einem organisierten Quartier ist – und 400 bis 420 für Wohnung und Verpflegung, wenn er privat untergebracht ist. Derzeit sind das viele afghanische Männer. Nach vier Monaten endet die Grundversorgung und es gibt sofort einen Sprung auf circa 1040 Euro – die volle Sozialhilfe, früher Mindestsicherung. Das setzt das falsche Signal. Wir müssen Alternativen erarbeiten, sind deshalb in Europa unterwegs, um einheitlich vorgehen zu können und um Anreize zu verringern.
Erhöht weniger Sozialgeld nicht die Kriminalität?
Asylberechtigte dürfen arbeiten, dennoch gibt es hier eine fast 50-prozentige Arbeitslosigkeit – ohne dem Einzelnen einen Vorwurf zu machen. Aber mit über 1000 Euro haben viele von ihnen, die einen ganz anderen Lebensstandard gewohnt sind, wenig Arbeitsmotivation. Das ist eine Falle und eine Gefahr, auf die falsche Bahn zu geraten. Mit einer Halbierung des Betrags wäre der Druck größer, einen Job anzunehmen.
Amnesty kritisiert auch die Rhetorik der Politik.
Vielleicht ist manches nicht mit Bedacht artikuliert – gerade in Wahlkämpfen. Aber dieser Amnesty-Bericht erledigt das Geschäft der FPÖ.
Genau das wirft man der ÖVP vor.
Als Innenminister muss ich mich mit den Asyl-Fakten auseinandersetzen. Ich bin nicht bereit, das Thema den Rechten und Rechtsradikalen zu überlassen.
Sebastian Kurz konnte das besser als Karl Nehammer.
Aufgrund des Einsatzes von Karl Nehammer in Serbien wurden die Visa-Bedingungen geändert. Daher kommen praktisch keine Asylanträge von indischen und tunesischen Staatsbürgern mehr.
Ich habe das Gefühl, dass Amnesty das Land verwechselt hat.
von Karner über den kritischen Menschenrechtsbericht
Die ÖVP ist für die Schengen-Blockade kritisiert worden – auch vom Koalitionspartner.
Ich halte den Zeitpunkt der Öffnung jetzt für falsch. Selbst zwischen Deutschland und Österreich gibt es Grenzkontrollen. Wir müssen den Außengrenzschutz stärken, erst dann können wir über die Verringerung der Binnengrenzkontrollen reden.
Muss man den vielen perfekt Integrierten nicht auch positive Signale senden, damit sie sich in der aktuellen Debatte nicht vor den Kopf gestoßen fühlen?
Ja absolut. Die Bereiche müssen aber klar auseinandergehalten werden. Ministerin Susanne Raab ist für Integration zuständig, Wirtschaftsminister Martin Kocher für die legale Zuwanderung: Die Bedingungen für die Rot-Weiß-Rot-Karte wurden schon erleichtert. Mein Teil ist es, Asylmissbrauch zu bekämpfen. Natürlich geht es auch um Stadtpolitik, das sieht man in Dänemark.
Dänemark versucht Ghettoisierung mit Umsiedelungen zu verhindern.
In manchen Zuwandererfamilien spricht die zweite Generation schlechter Deutsch als die erste, weil sie sich oftmals in einer Parallelgesellschaft bewegen. Das zeigt sich im ausschließlichen Konsum von Sendungen aus ihren Herkunftsstaaten, bin hin zu eigenen Einkaufsmärkten.
Reden Sie darüber auch mit dem Wiener Bürgermeister?
Ich gehe davon aus, dass das auch der Stadtpolitik ein großes Anliegen ist.
Ex-Landesrat Waldhäusl hat Entsetzen ausgelöst, als er im TV Schüler mit Migrationshintergrund beleidigte. Mit dessen Partei koaliert „Ihre“ niederösterreichische ÖVP. Wie sehr verdreht es einem den Magen dabei?
Niederösterreich hat keine Koalitions- sondern eine Proporzregierung, in der aufgrund des Wählervotums auf jeden Fall drei FPÖ-Mitglieder sitzen. Es hat auch davor ein Arbeitsübereinkommen mit SPÖ und FPÖ gegeben.
Robert Menasse meint, Johanna Mikl-Leitner werde sich davon nie mehr erholen.
Menasse ist – auch als neues Mitglied – mit dem SP-internen Wahlkampf beschäftigt.
Niederösterreichs ÖVP war maßgeblich beteiligt am türkis-blauen Koalitionsbruch. Strache war bereits zurückgetreten, da forderte man noch den Rücktritt des an Ibiza unbeteiligten Herbert Kickl. Rächt er sich nun?
Es gibt eine einzige Partei, die sich damals aus der Regierung geschossen hat, und das war die FPÖ.
Das Innenministerium feierte gerade 175-jähriges Bestehen. Sechs Ex-Minister kamen, Kickl war entschuldigt. Treffen Sie ihn manchmal?
Im Parlament sehe ich ihn.
Gerhard Karner ist seit Dezember 2021 Innenminister und quasi niederösterreichisches Urgestein. Der 55-Jährige war Landtagsabgeordneter und Zweiter Landtagspräsident, Sprecher von Innenminister Ernst Strasser und von 2002 bis 2015 Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich, außerdem Bürgermeister in Texingtal. In der EU aufgefallen ist der Innenminister voriges Jahr (gemeinsam mit dem Bundeskanzler) wegen der Blockade Österreichs bei der Schengenerweiterung auf Rumänien, Kroatien und Bulgarien. Österreich fordert zuerst einen besseren Außengrenzschutz wegen der starken illegalen Migration.
Könnte Niederösterreich dennoch Vorbote von Schwarz-Blau im Bund sein?
Wir sind eineinhalb Jahre vor der Wahl, und es gibt noch viel abzuarbeiten.
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