Ein Gespräch mit dem zuständigen Stadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) über Wohnen am Brunnenmarkt, No-Go-Areas und ob Rot-Pink ein Erfolgsmodell ist.
KURIER: Sie haben Karl Mahrer zum Grätzel-Gespräch auf den Brunnenmarkt eingeladen. Ist er gekommen?
Christoph Wiederkehr: Nein, er ist nicht gekommen, dafür sehr viele Anrainerinnen und Anrainer und Marktstandler, die sich zurecht aufgeregt haben, dass sie von der ÖVP verunglimpft wurden.
Sie sind vor vier Jahren zum Brunnenmarkt gezogen. Ist es schick, dort zu wohnen?
Der Brunnenmarkt ist ein erfolgreicher, pulsierender Ort. Ich bin ein sehr urbaner Mensch, mir gefällt diese städtische Vielfalt.
Man hört oft: Beim Brunnenmarkt zu wohnen ist toll, aber wenn es um die Schulwahl geht, wollen viele lieber über den Gürtel in den 8. Bezirk. Sind Scheinmeldungen aktuell ein Thema?
Wir sehen in der Zeit der Schuleinschreibung tatsächlich eine erhöhte Anzahl von Kindern, die umgemeldet werden. Zum Beispiel zu den Großeltern, dorthin, wo es aus Sicht der Eltern bessere Schulen gibt. Wir arbeiten dagegen, indem wir die Schulen, die besondere Herausforderungen haben, besonders unterstützen. Prinzipiell gibt es in Wien eine freie Schulwahl in der Volksschule. Ich halte das für ein sinnvolles, liberales System.
Manche Experten schlagen vor, einen maximalen Prozentsatz an Kindern mit nicht-deutscher-Muttersprache für Klassen festzulegen.
Ich kenne das Konzept des Bussing, nämlich Kinder von einem Bezirk in den anderen zu bringen, um anscheinend eine bessere Gesamtverteilung zu haben, aber es funktioniert nicht. Dass in der Volksschule eine Mehrheit der Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache sitzt, bildet die gesellschaftliche Realität in Wien ab. Kinder quer durch Wien zu schicken, halte ich für nicht praktikabel und nicht kindgerecht. Kinder sollen einen kurzen Schulweg haben.
Aber das hält manche Eltern trotzdem nicht davon ab, ihre Kinder umzumelden.
Da ist es unsere Aufgabe, früh mit der Sprachförderung zu beginnen. Daher beginnen wir in Wien damit bereits im Kindergarten. Alleine in diesem Jahr wollen wir 100 neue Sprachförderkräfte anstellen. Die beste Integration ist gute Bildung, je durchmischter eine Volksschule, desto besser.
Aber zu echter Durchmischung kommt es selten. Um beim Brunnenmarkt zu bleiben: Die Leute kommen zum Einkaufen oder Essen und werden bedient von Menschen mit Migrationshintergrund.
In der Brunnenpassage, ein Kunst-, Kultur- und Integrationsprojekt, das die Stadt fördert, findet Begegnung bewusst statt. Es ist auch die Aufgabe von Stadtplanung, Räume zu schaffen, wo Begegnung stattfindet.
Die Wartezeit für ein Erstgespräch zur Einbürgerung bei der MA35 beträgt derzeit ein Jahr. Sie sagen, die neuen Maßnahmen wirken „bald“. Wann ist „bald“? Dieser Zustand ist eine Zumutung.
Die Wartezeit ist eine Zumutung und durch die massiv gestiegene Nachfrage nach der Staatsbürgerschaft entstanden. Mit April stellen wir 93 neue Personen ein, die aufgrund der komplexen Gesetzeslage ein Dreivierteljahr eingeschult werden müssen. Die Trendumkehr ist auch abhängig davon, wie stark die Anträge noch steigen – etwa durch den Krieg in der Ukraine. Wir haben aber das Ziel, bis Herbst die Kapazitäten der Behörde um 50% zu erhöhen.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie bewerten Sie die Integrationsmaßnahmen in Wien im Vergleich mit anderen Großstädten?
Bei den Maßnahmen sind wir bei 7 von 10 Punkten. Die Integration funktioniert im Ausmaß von 5 von 10 Punkten. Wir bieten viele Maßnahmen an, haben aber in vielen Bereichen keine Möglichkeit, diese verbindlich zu machen.
Und das würden Sie noch immer gerne?
Wir müssen Angebote aufstellen, um zu fördern. Aber wir müssen auch Integration einfordern. Und das geht nur, wenn es verpflichtend ist. Zum Beispiel: Sommerdeutschkurse für Schüler*innen, die eine Deutschförderklasse besuchen, und so zusätzlich beim Deutschlernen unterstützt werden. Manche Kinder machen davon aber nicht Gebrauch, obwohl sie es nötig hätten. Hier wäre eine Verpflichtung sinnvoll, um den Umstieg ins Regelschulsystem schneller zu schaffen.
Woran scheitert es?
Den Rechtsrahmen dafür kann die Stadt nicht erlassen. Für verpflichtende Deutschkurse für Schülerinnen und Schüler im Sommer bräuchte es mit dem Bildungsministerium ein gemeinsames Projekt. Hier gab es bisher leider nur Ablehnung.
Gibt es Orte in Wien, an die sich Christoph Wiederkehr abends nicht traut?
Nein. Ich bin auch nicht ängstlich wie andere Politiker. Mir kommt vor, dass rechte oder konservative Politiker im öffentlichen Raum oft wie Angsthasen sind. Wien ist im internationalen Vergleich eine sichere Stadt. Ich verstehe aber auch Frauen, die sich nicht immer sicher fühlen. Da braucht es mehr Ressourcen von der Polizei, aber die ist in der Hand der ÖVP.
Zur Bildung: Sexueller Missbrauch, Missbrauchsverdacht, Fördermissbrauch. Können Eltern ihre Kinder ruhigen Gewissens in Kindergarten und Schule bringen?
Auf jeden Fall. Die Wiener Kindergärten und Schulen leisten Großartiges. Es gab tragische Anlassfälle, aber wir haben hier das strengste Kinderschutzgesetz Österreichs.
Was ist die Rolle der 200 neuen Kinderschutzbeauftragten: Missbrauch verhindern oder besser reagieren?
Sowohl Prävention zu leisten als auch Risikoanalyse zu machen, um mögliche Risikofaktoren festzumachen.
In Ihren Ressorts kommen viele Missstände an die Öffentlichkeit. Schauen Sie so genau hin oder waren Ihre SPÖ-Vorgänger schlampig?
Ich bin dafür verantwortlich, dass das, was ich übernommen habe, besser wird. Mein Bereich ist besonders getroffen von Krisen, seitdem ich verantwortlich bin. Auch die öffentliche Haltung hat sich geändert. Kindesmissbrauch hat nicht zugenommen, aber das öffentliche Bewusstsein dafür. Diese Kultur der Offenheit ist die beste Prävention gegen Kindesmissbrauch.
Heuer wird es kein Pride Village geben, weil die Förderungen laut Homosexuellen-Initiative zu gering sind. Das macht keinen schlanken Fuß für einen liberalen Stadtrat.
Es wird ein Pride Village geben. Es gibt noch Gespräche mit der Homosexuellen-Initiative, um zu einer Lösung beizutragen. Die Kommunikation ist nicht gut gelaufen.
Zur U-Kommission in Sachen Wien-Energie: Zuletzt gab es wieder Ungereimtheiten darüber, wer wann über die Verhängung der Notkompetenz informiert wurde. Wann wurden Sie von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) über die Verhängung der Notkompetenz informiert?
Ich wurde im Nachhinein des Ziehens der Notkompetenz des Bürgermeisters am 15. Juli darüber informiert, dass er mit der Notkompetenz einen Rahmen von 700 Millionen Euro für Wien Energie für mögliche Liquiditätsengpässe zur Verfügung stellt.
Es heißt, der Bürgermeister hat sich für Rot-Pink entschieden, weil ihm die Grünen zu aufmüpfig waren. Von Ihnen hört man keine Kritik. Ist Ihre Handschrift pink oder nur blassrosa?
Sehr pink. Wir haben über 800 Projekte verhandelt und einen Regierungsmonitor, wo man nachschauen kann, wie weit diese sind. Ich habe keine Zeit, jeden Tag nur zu streiten mit dem Koalitionspartner. Wir machen uns die Sachen intern aus. Ständig gegeneinander zu arbeiten, nützt niemandem etwas. Man sieht es bei der Bundesregierung: Niemand vertraut ihr.
Also Rot-Pink ein Erfolgsrezept mit Wiederholungsbedarf für 2025?
Es funktioniert sehr gut. Die großen Veränderungen im Bildungsbereich, die wir vorhaben, brauchen länger als eine Periode. Darum ist unser Ziel: Regieren bis 2030.
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