Nach Video-Kritik von Wiens ÖVP-Chef: Ein Besuch am Brunnenmarkt

Nach Video-Kritik von Wiens ÖVP-Chef: Ein Besuch am Brunnenmarkt
In einem Video kritisiert Karl Mahrer die „Übernahme“ des Brunnenmarktes durch Syrer, Afghanen und Araber. Dennoch ist es der meistbesuchte Markt Wiens.

Für Falafel stehen die Leute Schlange. Und das nicht nur bei Abo Alnoor, der seit sechs Jahren am Brunnenmarkt arbeitet, sondern nahezu bei jedem Stand hier.

Davon handelt das Video der Wiener ÖVP aber nicht. Ganz im Gegenteil. Der auf Facebook veröffentlichte Clip zeigt Karl Mahrer, Landesparteiobmann der Wiener ÖVP am Brunnenmarkt, der davon spricht, dass dieses einstige „Wiener Wahrzeichen“ in den vergangenen Jahren verkommen sei. „Syrer, Afghanen, Araber haben die Macht über den Brunnenmarkt übernommen“, sagt Mahrer in dem Video.

Von dem Video gehört hat auch Abo Alnoor, der selbst aus der syrischen Stadt Damaskus stammt. Gesehen hat er es bisher aber nicht. „Ich habe keine Zeit, ich muss arbeiten“, sagt er.

Gepostet vor vier Tagen, nimmt die Diskussion rund um die im Video getätigten Aussagen nun an Fahrt auf. Es ist schließlich nicht zum ersten Mal, dass die Wiener ÖVP radikale Töne anschlägt: Erst im Jänner hat Karl Mahrer gegen „die Ausländer“ und alles, was „nicht normal“ sei, gewettert. Ein Jahr davor sprach er von Ghettos und Parallelgesellschaften in Favoriten.

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Abo Alnoor und Stammkunde Fares Jelda

"Feindliche Übernahme"

„Es handelt sich hierbei ganz klar um eine Imitation der FPÖ-Linie“, sagt Politikberater Thomas Hofer. Diese Rahmenerzählung der „feindlichen Übernahme“ habe für die ÖVP einen strategischen Hintergrund, sagt Hofer. „Man will das Ergebnis der letzten Wien-Wahl, bei der 20 Prozent erreicht wurden, händeringend halten.“ Auf ungeteilte Meinung werde Mahrer mit diesem Auftreten aber wohl nicht stoßen – weder innerhalb der Partei noch bei den Wählern. „Das könnte auch einmal nach hinten losgehen“, sagt Hofer.

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Am Brunnenmarkt geht das Leben indes weiter wie zuvor. Um die Mittagszeit zwängen sich Hunderte Leute durch die enge Gasse mit den bunten Ständen. Laut Stadt Wien ist er immerhin der meistbesuchte Markt Wiens. 79.873 Menschen kommen wöchentlich hierher. „Es ist ein erfolgreicher Markt, einer, den die Menschen annehmen“, sagt Cornelia Dlabaja. Die Stadtforscherin hat 2022 ein Forschungsprojekt zum Brunnenmarkt publiziert.

Sie hält das ÖVP-Video für „verrückt. Es ist bar jeder Evidenz und hat ein rassistisches Framing.“ 86 Prozent der Markstandler am Brunnenmarkt hätten Migrationshintergrund. Und genau ihnen sei es zu verdanken, „dass überhaupt noch auf dem Markt eingekauft werden kann“, so Dlabaja. Denn als einst die Kinder der österreichischen Marktstandler die Stände nicht mehr übernehmen wollten – Stichwort Höherqualifizierung – waren es die türkischen Gastarbeiter, die Stände eröffneten. Jene Familien, die Österreich in den 1960er- und 70er-Jahren bewusst ins Land holte. Trotzdem blieben zahlreiche Stände leer, sagt  Dlabaja. Diese wiederum wurden nach und nach von Syrern, die 2015 nach Österreich geflüchtet waren, übernommen.

Trendwende

Thomas Blaser, der Besitzer des „16er Altwiener Würstelstandl“ am Brunnenmarkt sieht es als „natürliche Verdrängungsgeschichte“. Verändert hätten sich nämlich nicht nur die Standbetreiber, sondern auch die Kundschaft. „Vielleicht ist es ein Trend. Es geht jetzt alles Richtung vegetarisch“, sagt Blaser. Er sei mittlerweile fast der einzige, der Schweinefleisch verkaufe. Vor 56 Jahren, bei der Eröffnung des Standls durch seinen Vater, sei das anders gewesen. Eine dritte Generation wird es hier deswegen wohl nicht geben – dafür fehle die Kundschaft.

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Thomas Blaser hat das Standl von seinem Vater übernommen. Das 16er Altwiener Würstelstandl gibt es seit mehr als 50 Jahren.

Bei Stefan Popescu sieht das anders aus. Der gebürtige Rumäne kommt im Mittagsgeschäft kaum zum Verschnaufen. In seinem Lokal „Garbanzo“ (deutsch: Kichererbsen) ist alles vegan.

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Stefan Popescu wird von seiner Mutter unterstützt

Vor allem junge Menschen kommen zum Essen, alles muss schnell gehen. „Die Arbeit am Stand ist hart. Das wollen die Österreicher gar nicht machen“, sagt Popescu. Sich nur zu beschweren sei deutlich einfacher. Das zeige auch das Video.

Ganz ähnlich sehen das auch Abo Alnoor und sein Stammkunde Fares Jelda: „Karl Mahrer soll sich einen Tag hier herstellen und sich anschauen, wie hier gearbeitet wird. Und zu welchem Lohn.“

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