Die Geschichte(n) vom Brunnenmarkt
Die Geschichte des Brunnenmarktes ist eine der Arbeit. Sie ist auch eine der Migration, des Protests und der Stadtentwicklung. Und sie ist eine Geschichte, die noch nicht (richtig) erzählt wurde.
Bis jetzt. Denn Cornelia Dlabaja, Soziologin und Stadtforscherin an der Universität Wien, hat sich auf Recherche begeben. Mehr als zehn Jahre forschte sie zum Brunnenmarkt in Ottakring, schrieb eine Monografie und zog sogar ins Grätzel. Jetzt gestaltete sie in Kooperation mit Vincent Weisl vom Wien Museum eine Wanderausstellung, die am Freitag, den 1. Juli, eröffnet wird.
Auf vom Studio Solo ohne gestalteten Tafeln, die bis 1. August am Yppenplatz aufgestellt sind (und danach in die Garage Grande auf dem Richard-Wagner-Platz übersiedelt werden), erzählt Cornelia Dlabaja so die Geschichte(n) vom längsten erhaltenen Straßenmarkt Mitteleuropas.
Unsichtbare Arbeit
Zum Beispiel jene der Arbeit.
Denn die Arbeit am Markt, das ist nicht nur die sichtbare, die vom Verkauf, vom Verhandeln, vom Stapeln von Obst und Gemüse. Es ist auch die von Familien, die nicht 40 Stunden pro Woche arbeiten, sondern 70 oder 80 Stunden. Die um 2 Uhr Früh auf den Großgrünmarkt fahren und viele Jahre ihre Stände jeden Tag auf- und auch wieder abbauen mussten.
So lange, bis die Stadt neue, fixe Stände aufstellen ließ, die am Abend nur noch zugesperrt werden mussten. „Vieles der Arbeit auf dem Markt ist nicht sichtbar“, sagt Dlabaja.
Die Migration spielt vor allem in der jüngeren Geschichte des Brunnenmarkts eine große Rolle. Es ist aber nicht die tradierte Erzählung von den Migranten, die dort im Laufe der Jahre österreichische Marktstandler verdrängt haben.
Vielmehr war es so, dass die Kinder österreichischer Marktstandler-Familien die Stände ihre Eltern oft nicht übernehmen wollten. „Die migrantischen Unternehmer haben dafür gesorgt, dass der Markt überlebt hat“, sagt Dlabaja. 86,7 Prozent der Marktstandler heute haben Migrationshintergrund. Für sie ist ein Stand oft der schnellste und einfachste Weg, zu einem eigenen Unternehmen zu kommen.
Lauter Protest
Einst und jetzt
Der Brunnenmarkt gestern, Donnerstag, und 1989. Seinen Namen hat er von den Brunnen, die Ende des 18. Jahrhunderts für die Wasserversorgung der Vorstadt gegraben wurden
Auch die Geschichte des Protest hat sich laut der Stadtforscherin nicht so zugetragen, wie gerne erzählt wird. Erzählt wird, dass die Stadt 1993 wegen der Umgestaltung des Yppenplatz das erste Moderationsverfahren, also eine Bürgerbeteiligung, eingeleitet hat.
Ausgespart werde oft, dass dieses Verfahren nur eingeleitet wurde, weil sich Anrainerinnen und Anrainer zum „Forum Yppenplatz“ zusammengeschlossen und gegen die Pläne der Stadt, auf dem Yppenplatz ein Hochhaus mit Tiefgarage zu errichten, erfolgreich protestiert haben.
Mit der Umgestaltung des Yppenplatzes hat auch die Gentrifizierung in dem Grätzel leise eingesetzt. Die Cafés wurden nicht mehr nur vornehmlich von ansässigen Arbeiten besucht, sondern auch von Gästen, für die der Besuch auf dem Yppenplatz fast so etwas wie Urlaubsstimmung aufkommen ließ.
Heute wird rund um Markt und Platz viel gebaut, weniger geförderte Wohnungen, mehr frei finanzierte. Eines hat sich laut Stadtforscherin Dlabaja in all den Jahren nicht geändert: Der nachbarschaftliche Zusammenhalt.
"Gestern, heute, morgen. Der Brunnenmarkt im Wandel"
1.Juli bis 1. August: Yppenplatz
2. August bis 15. September: Richard-Wagner-Platz
16. September bis 31. Oktober: Garage Grande
Mit dem Projekt verknüpft ist die Online-Ausstellung www.migrationsgeschichte.com, die im Wintersemester 2020 als Lehrforschungsprojekt an der Uni Wien gestartet und im aktuellen Sommersemester weitergeführt wurde
Das Eröffnungskonzert findet am Freitag, 1. Juli, um 18.30 Uhr auf dem Yppenplatz statt. Auftreten wird unter anderem die Band Esrap
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