ÖVP Wien: Radikale Töne mit freundlichem Antlitz
Als Paradebeispiel gelungener Integration wird Leo Wassiq gerne porträtiert. Als Kind afghanischer Eltern in einem indischen Flüchtlingslager geboren, hat er in seiner neuen Heimat Wien eine erfolgreiche Karriere im Digital-Bereich gestartet. Auch mit der politisches Laufbahn des 34-Jährigen geht es stetig bergauf: Unlängst wurde er zum Bezirksobmann der ÖVP Floridsdorf gewählt.
Der schöne Schein trügt. Sorgte doch die Wahl intern für grobe Misstöne. Wassiq habe sich nur deshalb gegen den vom Vorstand ursprünglich nominierten Kandidaten durchsetzen können, weil es kurz vor der Wahl zu einem merkwürdigen Zustrom an neuen Parteimitgliedern gekommen war – mutmaßlich von „Familienclans und fremdländischen Freunden“ von Wassiq, wie wenig wohlmeinende Parteifreunde sagen. Von einem „Multikulti-Aufstand“ ist laut Krone intern die Rede.
Die Episode ist sinnbildlich dafür, wie zwiespältig die Einstellung der Wiener Türkisen zum Thema Migration ist: Mit seiner Neujahrsrede hat Parteichef Karl Mahrer die Funktionäre in der Vorwoche auf den neuen (alten) Schwerpunkt der Stadtpartei eingeschworen – und das in für ihn ungewohnter Tonalität. Mahrer wetterte gegen „die Ausländer“ und alles, was „nicht normal“ sei.
Eine späte Reaktion auf den Sinkflug in der Wählergunst, den die Wiener ÖVP seit dem Traumergebnis bei der Wahl 2020 und dem Abgang von Gernot Blümel hinnehmen muss – aber kein ungewöhnlicher Schritt: Die ÖVP kann in Wien vor allem von der FPÖ Stimmen holen – und versucht das wieder einmal.
Mahrer unternimmt damit zugleich den Versuch, die innerparteiliche Flanke hin zu den Anhängern der Linie von Ex-Kanzler Sebastian Kurz – zu schließen, die in Wien immer noch zahlreich vertreten sind. Ihnen war Mahrers Kurs schon lange zu weichgespült. Seine Ansage, der Wiener SPÖ 2025 als kleiner Koalitionspartner dienen zu wollen, sorgte früh für nachhaltige Irritation.
Vor allem innerhalb des Führungstrios – bestehend aus Mahrer, Parteimanager Markus Keschmann und Klubchef Markus Wölbitsch – war die Stimmung zuletzt nicht immer rosig. Rund um die Causa Wien Energie sah Wölbitsch, einstiger Vertrauter von Blümel, seine Chance, sich als prononcierter Kritiker der SPÖ zu positionieren. Als Mitglied im U-Ausschuss sicherte er sich öffentliche Aufmerksamkeit. Mahrer bremste zuerst – und verschärfte erst später seinen Ton.
Auch rund um den Rücktritt von Gemeinderätin Laura Sachslehner als Generalsekretärin der ÖVP-Bundespartei, der in lautstarken internen Auseinandersetzungen mündete, wurden die Gräben offensichtlich: Wölbitsch lobte in einem Posting seine Parteikollegin dafür, „weiterhin jene Mitte-Rechts-Politik“ zu vertreten, für die man gewählt worden sei. „Daran sollten sich auch andere vielleicht wieder erinnern.“ Das saß.
Zwiespältige Bilanz
Aus dem türkisen Lager erntete Mahrer bei seiner Rede nun lauten Applaus. Sachslehner – deren Buch „An den Pranger“ am Donnerstag in den Handel kommt und schon für Bauchweh bei so manchem Funktionär sorgt – war ebenso dabei wie Landtagspräsident Manfred Juraczka und Nachwuchshoffnung Harald Zierfuß, der Mahrer zuletzt auffällig selten von der Seite weicht.
Nicht gekommen sind die Wirtschaftskammer-Granden Walter Ruck und Alexander Biach, Letzterer ist immerhin Mahrers Stellvertreter in der Partei. Bei Amtsantritt hat sich Mahrer noch publikumswirksam mit dem Wirtschaftsflügel versöhnt, nachdem unter Blümel Eiszeit herrschte.
Im Mahrer-Umfeld winkt man ab: Das Verhältnis sei „nicht einfach, aber viel besser als früher“. Ruck habe „Blümel und Kurz gehasst“, weil sie seine Kür zum Präsidenten der Österreichischen Wirtschaftskammer verhinderten. Mahrer hingegen sei „um ein gutes Verhältnis bemüht“.
So mancher Anwesender zieht nach der Rede jedenfalls eine zwiespältige Bilanz: „Ich habe mich gewundert: Die Rede war deutlich härter und populistischer als erwartet“, sagt ein langjähriger Funktionär. Parteichef Gernot Blümel sei auch einen Mitte-Rechts-Kurs gefahren, „aber solche flapsigen Reden hat man von ihm nie gehört“. Und: Es sei
„ja noch verständlich“, dass Mahrer die Auswüchse der „Wokeness-Kultur“ kritisiere. „Ob man unbedingt auch gegen die Regenbogen-Zebrastreifen wettern muss, ist eine andere Frage. Die tun niemanden weh.“
Eigene Themen fehlten
Bleibt die Frage: Ist der sich stets verbindlich und freundlich gebende Mahrer der richtige Mann, um mit rabiaten Parolen auf Stimmenfang zu gehen? „Natürlich ist fraglich,
ob das mit seiner Persönlichkeit zusammenpasst“, sagt der Funktionär. „Aber eine 08/15-Rede hätte niemanden interessiert und eine betont liberale Ausrichtung würde uns auch niemand abkaufen“, sinniert der Türkise.
Manche vermissten in der Rede die eigenen Ideen und Konzepte der ÖVP für die Stadt, die neben den Attacken auf die SPÖ keinen Platz fanden. „Dabei haben wir sie ja – von Verkehr über Bildung bis hin zu unserem Demokratie-Paket.“
Altes Leiden
Hier ist sie wieder, die Debatte, die die Wiener ÖVP seit Jahrzehnten begleitet: Wie soll sich eine konservativ-bürgerliche Partei im für sie schwierigen Großstadt-Milieu ideologisch ausrichten?
Vielleicht sind solche Debatten aber bloß Makulatur. Zu sehr ist das Schicksal der Wiener ÖVP an jenes der Bundespartei geknüpft. Geht es mit ihr bergauf (wie unter Sebastian Kurz), profitieren auch die Stadt-Türkisen. Aktuell werden sie wieder einmal vom Sinkflug der Bundespartei mitgerissen.
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