Die (alte) Frage, um die es sich dreht: Wie soll sich die Wiener ÖVP gegenüber der SPÖ positionieren? Mahrer will „konstruktive Opposition“ sein, wie er nicht müde wird zu betonen. Er sucht die Nähe zur SPÖ – und setzt dabei nicht zuletzt auf Wiens Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck und Standortanwalt Alexander Biach, die gute Beziehungen zu Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) pflegen.
Im Wien-Wahlkampf 2020 wurden Ruck und Biach, die gerne mit der SPÖ koaliert hätten, von Blümel und seinen Vertrauten aufs Abstellgleis geschoben – jetzt feiern sie ihr Comeback. Biach wird am Freitag sogar zum stellvertretenden Parteichef gewählt.
Umbruch und neue Themen
Sechs Stellvertreter aus allen Bereichen der Partei hat Mahrer ernannt. Sie sollen eine aktive Rolle in der Kommunikation nach außen übernehmen – und die Breite der ÖVP abbilden. Breite statt Spitze? Genau davor fürchten sich viele Türkise.
Die ÖVP dürfe keine „Ergänzung zur Wiener SPÖ sein, sie muss der Gegenentwurf sein“, sagen parteiinterne Kritiker. Und: Wenn sich Mahrer an die Roten „anbiedert, reibt sich nur Ludwig die Hände.“Die Angst kommt nicht von Ungefähr. Bevor man – getragen von den guten Werten im Bund unter Kurz – 2020 auf 20 Prozent der Stimmen segelte, war man auf dem Tiefpunkt.
Bis heute werfen manche dem damaligen Parteichef Manfred Juraczka – der 2015 nur 9,24 Prozent holte – vor, dass er sich von Versprechungen der SPÖ, ihn (und nicht die Grünen) in die Stadtregierung zu holen, blenden ließ.
Wie man derzeit in der Wählergunst steht? Die letzten belastbaren Umfragen stammen aus dem Februar und weisen ein Minus von 7,4 Prozentpunkten aus.
Auch dass Mahrer zu weit von den türkisen Inhalten abrückt, befürchtet so mancher: „Das ist Irrsinn, immerhin hat uns jeder fünfte Wiener dafür gewählt“, ist aus der Partei zu hören. Jetzt, da die ÖVP im Umbruch ist, „werfen wir Positionen, die man mit uns assoziiert, über Bord. Und verunsichern die Wähler, weil wir zugleich keine neuen Konzepte präsentieren.“ Ein Beispiel: das Verkehrsthema. Dass die Landespartei „nicht mehr um jeden Parkplatz kämpfen“ wolle, ärgert manche Bezirksfunktionäre nachhaltig.
Kränkungen
Angefacht wird der Streit von persönlichen Kränkungen. Aus Blümels Mannschaft ist nur noch Klubchef Markus Wölbitsch übrig. Stadträtin und Geschäftsführerin Bernadette Arnoldner schmiss hin, kündigte den Wechsel in die Privatwirtschaft an – und sitzt seither im Gemeinderat. Peter L. Eppinger, der von Kurz als „Stimme der Bewegung“ geholt wurde, darf nach dem Bundes- auch den Landesparteitag nicht moderieren.
Auch mancher, der es nicht in den Kreis der Vize-Parteichefs schaffte, dürfte querschießen.
Wie gefährlich aber ist das, was Mahrer plant, wirklich? Gar nicht, ist man sich in der Landespartei sicher. Der Leitantrag für den Parteitag, an dem Mahrers Team noch feilt, soll „auf alle Themen fokussieren, für die uns die Menschen gewählt haben“, ist zu hören.
Ändern soll sich der Zugang: Mahrer will „nicht jedes Thema für sich alleine angehen“, sondern den „ganzheitlichen Ansatz“ pflegen. Heißt: Beim Thema Sicherheit etwa will er „nicht nach mehr Polizei rufen“, sondern die „Wurzel des Übels“ bekämpfen. „Für eine sichere Stadt müssen wir in Bildung, Integration und in Stadtplanung investieren“, sagt Mahrer im KURIER-Gespräch.
Weitere zentrale Punkte: das Gesundheitswesen – und der Verkehr, für den es bald das intern gefordert Konzept geben soll.
"Erfrischende Wege"
Inhaltlich wolle man freilich auch „erfrischende Wege gehen“, ist aus der Führungsriege zu hören: „Das ewige, kleingeistige Genörgle geht doch allen auf die Nerven.“ Es brauche „überraschende, moderne Positionen frei von Ideologie“. Und, ja: Das könne „bedeuten, sich an Projekten der Stadtregierung zu beteiligen und eine Koalition der Vernunft einzugehen“. (Womit sich die Befürchtungen der Türkisen bestätigt hätten.)
Dass das klappe, beweise die Geschichte, argumentieren Funktionäre, die Mahrer wohlgesonnen sind – und verweisen auf die Ära der „bunten Vögel“ in der Wiener ÖVP. In den 1970er- und 80er-Jahren überraschte man unter Erhard Busek mit progressiven Themen – und schaffte es so auf bis zu 35 Prozent der Stimmen.
Bedeutet das „neue Kapitel“ also eine Rückkehr in die 80er-Jahre? „Inhaltlich ist die damalige Zeit nicht mit heute zu vergleichen“, sagt Mahrer. Aber die Partei (wie damals) für Neues öffnen, das wolle er: „Wir müssen Augen und Ohren aufmachen und – überparteilich – die besten Köpfe hereinholen.“ Und: „Ich will näher zu den Menschen. Die Politik wird immer komplexer. Wir müssen besser übersetzen und erklären.“
Bleibt die Frage, wie viel Zustimmung er sich beim Parteitag erhofft. Auf Zahlen will er sich nicht festlegen. „Ich erwarte gute Stimmung und viele Besucher, die ich für unsere Ideen begeistern kann.“
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