Hass im Netz und fehlender Polizeischutz: Betroffene klagen an
Der Tod der oö. Ärztin Lisa-Maria Kellermayr feuert die Debatte um die Schwachstellen im harten Kampf gegen Hass im Netz an. Auch die Frage, ob die Medizinerin nach schweren Angriffen von Corona-Leugnern Polizeischutz benötigt hätte, wird heftig diskutiert.
Auch andere Betroffene erzählen von haarsträubenden Erfahrungen, beispielsweise nach Hasspostings auf Twitter. Julia Spacil beobachtet als Fotografin seit Jahren die extreme Rechte in Österreich. Sie veröffentlicht diese Bilder auf Twitter und berichtet dort von Demonstrationen. Wegen dieser Aktivitäten wurde sie in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich beschimpft und bedroht, wie sie dem KURIER erzählt. Es fielen Begriffe wie „Terroristin“ oder „verlogene Ratte“. Hinter den Beschimpfungen steckte ein Mensch, der auf Twitter ein Konto mit seinem Klarnamen angelegt hat. „Es handelt sich dabei vermutlich um einen Unterstützer der Identitären“, erzählt Spacil.
Doch um dies beweisen zu können, müsste man den Namen des Kontos mit einer Handynummer oder IP-Adresse verknüpfen, um eine klare Zuordnung vornehmen zu können. Spacil beantragte deshalb von Twitter beim Landesgericht Wien eine Auskunft über die Stammdaten des Nutzers – und bekam diese nicht. „Twitter hat die Auskunft verweigert“, so die Fotografin, obwohl der konkrete Verdacht wegen übler Nachrede und Beleidigung mit Screenshots, die Spacil gesammelt hatte, nachgewiesen werden konnte.
Gesetz verweigert
Twitter verweigerte jedoch nicht nur die Herausgabe der Daten an Behörden, sondern hält sich auch nicht an das am 1. April 2021 geschaffene „Hass im Netz“-Gesetz. Dieses sieht vor, dass Betreiber von Online-Plattformen strafrechtlich relevante Hasspostings, die gemeldet worden sind, innerhalb von 24 Stunden löschen müssen. Twitter ist gegen dieses Gesetz offiziell vor das Bundesverwaltungsgericht gegangen.
Spacil wurde auf Twitter nicht nur beschimpft, sondern sie bekam auch Botschaften wie „Ihr könnt euch freuen, ich habe immer mein Messer dabei“. „Ich traue mich dabei aber nicht von einer Drohung gegen meine Person zu sprechen, denn dazu ist diese Aussage möglicherweise zu unspezifisch“, so Spacil. Sie hat bereits einmal negative Erfahrungen bei der Aufklärung von Hass im Netz gegen sie gemacht. Anfang 2017 erstattete sie eine Anzeige bei der Polizei, weil sie von einer klar zuordenbaren Neonazi-Gruppe einen Drohbrief an ihrer Arbeitsadresse erhalten und Beschmierungen an ihrer Haustüre vorgefunden hatte. Damals war die Formulierung der Gruppierung bewusst so gewählt, dass die Polizei den Tatbestand der Drohung nicht erfüllt sah. „Obendrauf kam, dass ich als Opfer einvernommen worden war, aber die Polizei mich wie eine Beschuldigte behandelt und befragt hat.“
Kein Polizeischutz nach Messerangriff
Selbst eine Messerattacke war anscheinend nicht schlimm genug, seinen Mandanten unter Polizeischutz zu stellen. Der Wiener Rechtsanwalt Raoul Wagner ist ein gebranntes Kind, was die Geschichte der oö. Ärztin Lisa-Maria Kellermayr anbelangt. „Die Polizei hätte sie bewachen müssen. Es gibt im Paragraf 48 des Sicherheitspolizeigesetzes eine klare Regelung dafür“, sagt Raoul Wagner.
Die gängige Praxis sehe allerdings ganz anders aus, meint der Jurist, der einen besonders drastischen Fall aus seiner Kanzlei schildert. Ein Mandant wurde vor Jahren bei einem Messerangriff schwer verletzt. Während der psychisch schwer kranke Täter auf der Flucht war, lag das niedergestochene Opfer im Krankenhaus. Der Peiniger drohte via Telefon weiter. „Wir beantragten Polizeischutz für unseren Mandanten, er bekam aber keinen. Daher musste ein privater Sicherheitsdienst auf eigene Kosten engagiert werden“, schildert der Jurist.
Wiederholungstäter
Nach zehn Tagen konnte die Polizei den Angreifer mittels Handyortung fassen und festnehmen. Der Täter war einige Zeit lang in Haft, wurde entlassen und machte Jahre später weiter. „2019 kam er wieder mit einem Messer und es kam zu einem zweiten Mordversuch durch denselben Mann“, schildert Wagner. Dabei konnten Zivilisten einschreiten und helfen.
Man habe den Eindruck, dass die Polizei und der Staat die Bürger einfach nicht schützen wolle, so der Jurist. Auch in anderen Bereichen mache er diese Erfahrung. Beispielsweise wenn Bürger zu ihrer eigenen Sicherheit Waffenpässe erlangen wollen.
Zuletzt hatte ein Wiener Mandant nach einem tätlichen Angriff durch Nachbarn einen Kieferbruch und ein Blutgerinnsel im Hirn erlitten. Aus Angst hatte er einen Waffenpass bei der Wiener Polizei beantragt und eine Abfuhr erhalten. „Mit der Begründung, er sei keiner Gefahr ausgesetzt. Da fragt man sich, wie ernst der Schutz der Bürger genommen wird“, erklärt Wagner.
Auch Virologin Van Laer habe bereits Erfahrungen mit Hass gemacht. Bei der Virologin führten die Drohungen sogar zum Burn-Out. Besonders das erste Jahr der Corona-Pandemie sei heftig gewesen, sagt sie auf Ö1.
"Es hat mich auch sehr belastet, vor allem weil diese Hass-E-Mails zum Teil wirklich sehr verletzend waren. Ich habe dann gelernt, mich ein bisschen vorsichtiger auszudrücken, es immer nur als meine subjektive Meinung darzustellen. Dadurch war ich vielleicht nicht mehr so ein Angriffspunkt." Trotzdem waren die Auswirkungen der Hass- und Drohmails der Coronaleugner für die Tirolerin gravierend: "Im ersten Jahr hat es dazu geführt, dass ich im November dann ein Burn-out hatte und über ein komplettes Monat ausgefallen bin."
Zeitweise sei Van Laer wegen der massiven Angriffe nur mit Perücke auf die Straße gegangen. Die meisten Drohungen seien via Mails gekommen. "Im Internet fallen offensichtlich die Hemmungen und da ist es dann auch unter die Gürtellinie gegangen und war wirklich mit Ausdrücken, die man nicht wiederholen kann", schilderte sie.
Online-Nutzer müssen Hasspostings keinesfalls hinnehmen.
Beweise sichern
Machen Sie einen Screenshot oder fotografieren sie das Posting mit ihrem Handy ab. Es ist wichtig, dass auch das Datum ersichtlich ist sowie der Kontext des Schreibens. Damit können Sie später beweisen, dass Sie jemand beleidigt oder bedroht hat. Es gibt mit dem Dienst netzbeweis.com eine Möglichkeit, Screenshots so zu speichern, dass sie vor Gericht verwendet werden können.
Inhalte löschen lassen
Bei Sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder YouTube können Postings nach dem Hass-im-Netz-Gesetz gemeldet werden und müssen dann von den Plattformen entfernt werden. Die Plattformen informieren Sie, sobald ein Posting gelöscht wurde.
Anzeige bei der Polizei
Ist ein Opfer der Meinung, eine Straftat hat sich ereignet, sollte die Polizei eingeschaltet werden. Die Unterscheidung, ob ein Vorfall strafrechtlich relevant ist oder nicht, muss keinesfalls das Opfer selbst entscheiden, heißt es seitens der Polizei. Erste Anlaufstelle ist immer die Polizeiinspektion.
Unterlassungsauftrag
Falls eine Plattform sich weigert, ein Posting zu löschen, kann diese geklagt werden, ebenso wie der Verfasser des Postings. Dies führt allerdings nicht immer zum Erfolg.
Gegenrede
Auf schnellerkonter.at kann man sich Inspirationen holen, wie man sich verbal wehren und darauf aufmerksam machen kann, dass ein Kommentar nicht ok war.
Gleichzeitig judiziere der Verwaltungsgerichtshof ständig, dass sich die Polizei um die Verteidigung der Bürger zu kümmern hat. In einem der VwGH-Urteile heißt es wörtlich: Die Abwehr von gefährlichen Angriffen liegt grundsätzlich bei der Sicherheitsexekutive, weshalb es regelmäßig zuzumuten ist, gegebenenfalls die Sicherheitsbehörden zu verständigen, anstatt sich aus eigenen Stücken in Gefahrensituationen zu begeben. „Das passiert einfach nicht. Auch das wäre als Amtsmissbrauch zu prüfen“, sagt Wagner.
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