Ärztin von Corona-Leugnern bedroht: Ein Nachruf, der hier nicht stehen sollte
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz in der österreichischen Medienlandschaft: Über Suizide wird nicht berichtet. Das hat einen guten Grund. Man will Nachahmer verhindern. Nur in absoluten Ausnahmefällen wird dieses ungeschriebene Gesetz gebrochen. Lisa-Maria Kellermayr ist so eine Ausnahme. Ihre Geschichte sollte gelesen werden.
Es ist eine Geschichte von Angst, Hass und dem Gefühl, mit alldem allein gelassen zu werden. Am Freitag wurde die 36-Jährige tot aufgefunden. „Es gibt keinen Hinweis auf Fremdverschulden“, gaben die Behörden bekannt. Zudem habe die Frau Abschiedsbriefe hinterlassen.
Albtraum
Lisa-Maria Kellermayr führte eine Hausarzt-Praxis in Seewalchen am Attersee. Ein absolutes Urlaubsparadies, speziell im Sommer.
Für Kellermayr wurde es zum Albtraum. Im Podcast „Inside Austria“ schilderte die Hausärztin: „Seit sieben Monaten gehe ich nur zum Arbeiten vor die Türe. Alle zwei bis drei Wochen gehe ich in den Supermarkt. An unterschiedlichen Tagen, Zeiten und in verschiedenen Supermärkten.“
Kellermayr hatte Angst. Sie lebte zuletzt im Bereitschaftsraum ihrer geschlossenen Praxis. In ihrer Wohnung fühlte sie sich nicht mehr sicher.
Zielscheibe
Dabei hatte die Ärztin nur eines getan: ihre Arbeit. Als Corona kam, meldete sie sich freiwillig zu Hausbesuchen bei Erkrankten. Sie berichtete über die Folgen des Virus – in Interviews und in den sozialen Medien. Und wurde damit schnell zur Zielscheibe der Coronaleugner und Maßnahmengegner. „Es kam so viel – so schnell konnte ich gar nicht die Screenshots machen“, schilderte sie.
Auch sehr explizite Morddrohungen gingen bei Kellermayr ein. Die Verfasser schilderten ihr, was sie der Ärztin alles antun würden. Einer fantasierte über Folter in einem Keller.
„Keiner tat etwas“ Kellermayr tat das einzig Richtige: Sie erstattete im November 2021 erstmals Anzeige. Sie suchte Hilfe bei der Ärztekammer, wandte sich an lokale Politiker und Parlamentsparteien. „Alle fanden das furchtbar, aber getan hat niemand etwas“, beschrieb Kellermayr im Podcast. Hinter vorgehaltener Hand wurde gleichzeitig getuschelt, dass die Ärztin psychisch labil sei.
Widerspruch
Speziell von der Polizei fühlte sie sich im Stich gelassen. „Wir können hin und wieder einen Streifenwagen vorbeischicken“, sei ihr angeboten worden. Was die Polizei allerdings anders darstellt: Man habe die Ärztin seit November „intensiv betreut“. Die Ermittlungen nach dem Verfasser der Morddrohungen durch den Verfassungsschutz liefen jedenfalls ins Leere. In der Öffentlichkeit wurde zugleich die Kritik an der Polizei immer lauter.
Stattdessen bekam Kellermayr den Rat, sie solle sich nicht so ausgiebig zum Corona-Thema zu Wort melden. Ihre Auftritte in den Medien seien kontraproduktiv.
Die Ärztin engagierte selbst einen bewaffneten Sicherheitsdienst für ihre Praxis, baute sie sogar um. Vier Butterfly-Messer, schilderte sie, habe man Besuchern damals abgenommen.
Ende Juni kapitulierte die Medizinerin schließlich. „Das war nicht mehr zumutbar“, erklärte sie.
Belächelt
Ihre Geschichte ging durch die Medien – und erreichte eine Hackerin aus Deutschland, die Kellermayr ihre Hilfe anbot. Sechs Stunden, sagte Hackerin Nella, habe sie gebraucht, um eine konkrete Spur zum Verfasser zu finden. Gegen den Mann wird in Deutschland ermittelt. Er soll aus der rechtsextremen Szene stammen.
„Hätte man sie eher ernst genommen, wäre man für sie da gewesen, hätte man ihr Polizeischutz eher gewährt, ihr mit der Praxis geholfen, ihre Sicherheit finanziert und ihr Leben, hätte das mit Sicherheit nicht so geendet!!! Stattdessen habt ihr sie belächelt und sie gedemütigt“, schrieb Nella wenig später auf ihrem Twitter-Account.
Die Geschichte von Lisa-Maria Kellermayr zeigt, was Hass in sozialen Medien
bewirken kann. Welche Kraft er hat. Wie schwer es ist, sich zu wehren und Hilfe zu bekommen.
In den Telegram-Kanälen der Impfgegner ist Kellermayrs Tod nur Stunden
später Basis für eine neue Verschwörungstheorie: „Bill Gates hat in Auftrag gegeben, alle Ärzte zu töten.“
Am Freitagnachmittag haben sich Trauernde vor dem Gesundheitsministerium in Wien versammelt, um der verstorbenen Ärztin zu gedenken.
Am Montag ist eine Gedenkveranstaltung für Kellermayr in Wien geplant. Daniel Landau, Organisator und Initiator von #YesWeCare, gab auf Twitter bekannt, eine Veranstaltung für 20 Uhr am Stephansplatz angemeldet zu haben.
Wer Suizid-Gedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken dabei, sie zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken. Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge in Österreich kostenlos unter der Rufnummer 142.
Das neue österreichische Suizidpräventionsportal www.suizid-praevention.gv.at bietet Informationen zu Hilfsangeboten für drei Zielgruppen: Personen mit Suizidgedanken, Personen, die sich diesbezüglich Sorgen um andere machen, und Personen, die nahestehende Menschen durch Suizid verloren haben. Das Portal ist Teil des österreichischen Suizidpräventionsprogramms SUPRA des Gesundheitsministeriums.
Kommentare