Sigrid Maurer: "Diese Weinerlichkeit der ÖVP teilen wir nicht"
Wie geht’s der Koalition? Eine Frage, die verlässlich eine der ersten ist, wo auch immer die Grünen auftreten. So auch bei den Gesprächsabenden, die Klubchefin Sigrid Maurer mit ihren Abgeordneten in allen Bundesländern veranstaltet. Vergangene Woche war sie in Wien, kommende (12. Oktober) ist sie in Eisenstadt. „Setz’ ma uns z’samm“, so das Motto – und entsprechend locker geht die 38-jährige Tirolerin die Abende auch an.
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„Unsere Parteien liegen schon sehr weit auseinander“, antwortet sie beim Gesprächsabend in Wien einleitend, um dann launig anzufügen: „Als Grüne glaubt man, wenn man etwas nur gut genug erklärt, dann versteht es sogar die ÖVP.
Aber so funktioniert es leider nicht, auch nicht mit anderen Parteien.“ Und sie schildert: Wenn es in der Koalition wieder einmal knirscht, dann greift „die Sigi“ zum Handy, ruft „den Gust“ (August Wöginger, Klubchef der ÖVP) an: „Du, Gust, so geht das nicht. Das muss so und so sein.“
Montag war wohl wieder so ein Tag: Die Neos machten ein eMail aus dem ÖVP-Klub publik, das irrtümlich bei einem ihrer Abgeordneten gelandet war. Im Anhang: 14 Seiten Koalitions-Sprengstoff. So beurteilen zumindest politische Kommentatoren den Entwurf für einen „Transparenz-U-Ausschuss“, der sich auch gegen amtierende grüne Regierungsmitglieder richtet. Im Interview erklärt die Klubchefin, warum die Koalition aus ihrer Sicht das letzte Jahr durchhält.
KURIER: Wie war Ihr Montag?
Sigrid Maurer: Der Montag war interessant. Ich habe einen Anruf bekommen von August Wöginger: „Da ist uns etwas passiert.“ (lacht). Es ist interessant, womit sich die ÖVP beschäftigt. Wir glauben ja, dass es Wichtigeres gäbe.
Das regt Sie gar nicht auf? Viele Kommentatoren sagen, das ist eine Kriegserklärung.
Wir teilen diese Weinerlichkeit nicht, die die ÖVP an den Tag gelegt hat, als es beim vergangenen U-Ausschuss um die Aufklärung echter Korruption gegangen ist. Dieses parteipolitischen Geplänkel, dieses mit Schmutz auf andere Werfen, das ist nicht unser Stil. Wir fokussieren auf die substanzielle Arbeit für die Menschen.
Diese Arbeit ist vorbei, wenn die ÖVP die Koalition sprengt.
Die Arbeit funktioniert tadellos, wir haben gerade erst eine Einigung beim Finanzausgleich und die Informationsfreiheit geschafft, und es gibt noch viele andere Themen.
Glauben Sie dem ÖVP-Klubchef, wenn er sagt, der U-Ausschuss-Entwurf ist nur etwas für die Schublade?
Ob das Papier nun für die Schublade ist oder für etwas anderes – ich verbuche es als weitere Skurrilität in der österreichischen Innenpolitik.
Wie ist aktuell Ihr Vertrauensverhältnis zu Wöginger?
Wir haben eine sehr gute, sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit. Es gab einige Krisen, die wir gemeinsam gemeistert haben, und mit genau diesem Gefühl gehe ich in die verbliebene Regierungszeit.
Verstimmung bei den Grünen
Man spürt schon jetzt eine Anspannung vor dem Superwahljahr. Wie beweisen Sie der Bevölkerung, dass die Koalition – wie versprochen – noch ein Jahr lang hält?
Das sieht man am besten an den Ergebnissen. Als Beispiel: Wir haben beschlossen, dass nach der Abschaffung der kalten Progression mit dem letzten Drittel vor allem armutsbetroffene Frauen und Kinder unterstützt werden.
Hat Karl Nehammer in seinem „Wut-Video“ also recht, wenn er sagt, dass in Österreich kein Kind hungern muss?
Es ist richtig, dass in Österreich keine Massenarmut droht. Aber selbstverständlich gibt es Gruppen, die unter sehr, sehr prekären Umständen leben. Das vom Tisch zu wischen und so verächtlich darüber zu sprechen, halte ich für grundfalsch. Dieses Video hat aber auch gezeigt, wie groß der grüne Erfolg ist: Trotz einer solchen Haltung hat die Regierung viele Maßnahmen gegen Armut umgesetzt.
Im Video war beim Kanzler auch ein gewisser Frust spürbar, dass diese Dinge von der Bevölkerung nicht gewürdigt werden. Können Sie ihm das nachfühlen?
Dankbarkeit und Frustration sind keine politischen Kategorien. Ich finde nur, die Debatte ist zu schrill. Aus jeder Auswertung geht hervor, dass es uns sehr gut gelungen ist, die niedrigen Einkommen zu unterstützen und die Kaufkraft zu stärken. Das geht in dem Geplärre unter.
Wer plärrt denn?
Die Sozialdemokratie, wenn sie uns in den Plenardebatten zum 27. Mal Dinge vorwirft, die sie selbst in der Hand hätte und in Wien nicht umsetzt, sei es die Energiepreise oder die Mietreduktionen. Es gab auch schon sozialdemokratische Kanzler – warum haben die nie die Sozialleistungen valorisiert? Wir haben das in einer Koalition mit den Konservativen geschafft.
Beim Grünen-Gesprächsabend hat eine Frau gesagt, die Grünen sollten mehr zeigen, was sie geschafft haben. Es gab aber eine gewisse Ratlosigkeit, wie man das transportieren soll, damit sich die Menschen abgeholt fühlen. Was glauben Sie?
Das ist eine der sehr großen Herausforderungen unserer Zeit – nicht nur für die Politik, auch für Medien und NGOs. Bei der bloßen Anzahl an Nachrichten, die ständig auf uns hereinprasseln, kommt man gar nicht zum Luftholen. Ich glaube, es gelingt uns Grünen ganz gut, zu zeigen, dass wir Persönlichkeiten im Team haben, die Tag für Tag kämpfen.
Sind die Veranstaltungen für Sie persönlich eine Gelegenheit, sich einmal von einer anderen Seite zu zeigen? Menschlicher, nahbarer und weniger Manager-like?
Manager-like? (lacht). Nein, diese Abende werden von allen Abgeordneten bespielt. Es ist keine Promotiontour, sondern es geht darum, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und vor allem: zuzuhören.
Sie lachen – aber wie sehen Sie denn Ihr Image?
Ich würde sagen, ich habe ein hohes Rollenbewusstsein. Als ÖH-Vorsitzende während der Studierendenproteste musste ich mich mit dem Ministerium anlegen, jetzt finde ich die gestalterische Rolle in der Regierung großartig. Es ist brutal anstrengend, aber jeder Beistrich im Gesetz, der die Realität für die Menschen verändert, ist es wert.
Die Regierungszeit hat Ihrer Partei aber eher geschadet – die Grünen liegen in Umfragen weit unter dem Wahlergebnis von 2019. Gibt es Stimmen, die jetzt lieber in die Opposition wollen?
Es wäre Verrat an unseren Wählern gewesen, diese Chance nicht zu nutzen. Opposition ist deutlich bequemer, als in einer Koalition um Kompromisse zu ringen. Aber jeder, der ernsthaft Politik macht, will etwas verändern.
Ausgehen könnte sich nach der Wahl eine Ampel-Koalition. Was halten Sie von Andreas Babler?
Ich schätze einiges von dem, was er als Bürgermeister gemacht hat. Aber zum SPÖ-Parteivorsitzenden ist es noch ein Weg.
Wollen Sie grüne Spitzenkandidatin werden?
Nein.
Warum nicht?
Werner Kogler ist das beste Schlachtross und der stabilste Politiker, den diese Republik hat, mit Erfahrung, Intellekt und Verantwortungsbewusstsein. Und er weiß, wann er Klartext sprechen muss; zum Beispiel, was Sebastian Kurz betrifft.
Dass die Koalition nur ohne Kurz weitergehen kann, haben damals aber Sie gesagt – an Koglers Seite.
Er hat einen Satz gesagt, ich den zweiten. Natürlich war es aber die Entscheidung des Parteichefs.
Was ist dann Ihre Rolle?
Ich bin Klubobfrau, das entspricht auch meinen Fähigkeiten.
Wer wird Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl? Leonore Gewessler ist im Gespräch, wie man hört?
Das werden wir im Dezember beim Bundeskongress entscheiden. Leonore Gewessler hat als Ministerin bewiesen, wie gut ihre Arbeit ist in diesem Bereich.
Zum Abschluss: Haben Sie einen der drei Filme über Sebastian Kurz gesehen?
Nein. Ich war live dabei, was soll ich mir da einen Film anschauen?
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