Grasser-Urteil: Showdown nach elf Jahren
Drei Jahre ist es her, da begann am 12. Dezember 2017 der größte Korruptionsprozess in der Geschichte der Zweiten Republik am Wiener Straflandesgericht: Mit vier Haupt- und 11 Nebenangeklagten. Unglaubliche 168 Prozesstage später wird für Freitag ein Urteil des Schöffensenats erwartet. Dem Hauptangeklagten, Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, drohen bis zu zehn Jahre Haft, sollte er für schuldig befunden werden.
Doch schuldig woran eigentlich?
Laut Anklageschrift soll Grasser während seiner Zeit als Finanzminister (2000–2007) über die Mitangeklagten Walter Meischberger und Peter Hochegger geheime Informationen weitergegeben und dafür Geld kassiert haben. So habe er bei der Privatisierung der Bundeswohnungen (Buwog) das Gebot der CA-Immo weitergegeben, um dem Österreich-Konsortium einen billigeren Zuschlag zu ermöglichen, so die Staatsanwaltschaft. Auch bei der Einmietung der Finanzbehörden in den Linzer Terminal Tower seien Provisionen an Grasser und seine Mitangeklagten geflossen, heißt es.
Die Verteidigung bestreitet die Vorwürfe. Ihr Hauptargument: Es hätten auch andere den Gebotspreis der CA-Immo kennen und weitergeben können.
September 2002
Die Investmentbank Lehman Brothers wird zur Abwicklung der Buwog-Privatisierung ausgewählt
Juli 2003
Nationalrat genehmigt Verkauf der Bundeswohnungen, Ausschreibung
11. Juni 2004
Angebotsfrist endet
15. Juni 2004
Verkauf an das Österreich Konsortium für 961 Mio. € Gegengebot der CA-Immo: 960 Mio €
November 2008
Hausdurchsuchung bei der Constantia Privatbank
September 2009
Prüfer stoßen auf Provisionszahlung an Hochegger und Meischberger. Beide erstatten Selbstanzeige. Erste Ermittlungen
10. Juli 2010
Staatsanwaltschaft Wien bestätigt Einleitung eines Strafverfahrens
Februar 2012
CA-Immo klagt Buwog Beschuldigte
April 2012
Parlamentarischer U-Ausschuss zu Causa Buwog startet
21. Juli 2016
Staatsanwaltschaft erhebt Anklage
5. Mail 2017
Republik steigt als Privatbeteiligte in das Verfahren ein
Juli 2017
Die Verteidigung akzeptiert Richterin Marion Hohenecker nicht, im Dezember entscheidet Oberster Gerichtshof für Hohenecker
12. Dezember 2017
Buwog-Prozess mit 15 Haupt- und Nebenangeklagten startet
4. Dezember 2020
Urteilsverkündung
Anwalt Norbert Wess im Checkpoint bei Ida Metzger
Der Anwalt
Es galt einen zähen Monsterprozess zu schlagen – das wusste Karl-Heinz Grasser schon vor Prozessstart. Für den Kampf rüstete sich der Ex-Finanzminister. Gleich mit zwei Spitzenanwälten marschierte er am 12. Dezember 2017 auf: Anwalt-Urgestein Manfred Ainedter war für die Pointen und die Medienarbeit zuständig. Als Tüftler hinter der Verteidigungsstrategie agierte Norbert Wess (unter den Anwälten wird das Duo „Asterix und Obelix“ genannt). Medial ist Wess weit weniger präsent als Ainedter, aber unter den Richtern ist der 45-Jährige gleichermaßen gefürchtet wie geachtet.
Bei Wess wissen die Richter, Fehler darf keiner passieren, denn er spürt sie auf und schlachtet jeden beinhart aus. Bestes Beispiel: Wess deckte den „Lauschangriff“ im Gerichtssaal während des Buwog-Prozesses auf. Durch einen Zufall registrierte Wess, dass auch während der Verhandlungspausen die Gespräche zwischen Anwalt und Angeklagten mit Bild und Ton aufgenommen wurden – laut Strafprozessordnung ein schweres Vergehen .
Am Ende könnte dieser Formalfehler beim Obersten Gerichtshof zu einer Aufhebung des Urteils führen.
Aktenstudium ist für Wess kein lästiges Muss, sondern eine Leidenschaft. Schwächen in der Anklage filtert der Grasser-Anwalt punktgenau heraus. So errang Wess schon vor dem Prozessstart einen ersten Erfolg gegenüber der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: Zwei von vier Buwog-Anklagepunkten wurden von Wess durch einen juristisch wasserdichten Einspruch vom Oberlandesgericht gekippt.
Buwog-Richterin Marion Hohenecker und Wess führten schon so manches Match im Gerichtssaal. Der Ex-Fußballer (sein Trainer bei der Admira war Hans Krankl – er riet Wess, sich einen anderen Job zu suchen) verließ meist als Gewinner den Gerichtssaal. So gab es etwa beim Yline-Prozess nach 14 Jahren 14 Freisprüche. Hohenecker leitete den Prozess. Staatsanwalt war Alexander Marchart – also die idente Konstellation wie bei der Buwog jetzt. Mit Erfolgen wie diesen katapultierte sich der Grasser-Anwalt in die erste Liga der Wirtschaftsstrafverteidiger. Bei allen großen Causen ist er mit dabei: So vertritt er Commerzialbank-Pleitier Martin Pucher oder im Casinos Austria-Verfahren den Ex-Novomatic-Vorstand Harald Neumann.
Anwälte haben mitunter das Image, trockene und langweilige Paragrafen-Reiter zu sein. Nicht so Wess. Sein Oberkörper ist fast komplett tätowiert. Darunter das Lebensmotto seines Onkels, der Priester war: „Er hat mir beigebracht, dass man im Leben nach Vernunft, Humor und Liebe streben soll“, sagt Wess.
Die Staatsanwälte
Die Blicke auf die Laptops gerichtet, konzentriert, schweigend, mit stoischen Mienen – so folgten die Oberstaatsanwälte Gerald Denk und Alexander Marchart an den meisten Prozesstagen den Ausführungen von Angeklagten, Zeugen und Verteidigung. Nur hin und wieder registrierten Beobachter ein triumphierendes Lächeln.
Denk und Marchart hatten die Anklage zwar seit Prozessstart vertreten – während der vorangegangenen Ermittlungen hatten die zuständigen Staatsanwälte aber mehrfach gewechselt. Auch, weil die Causa erst bei der Staatswaltschaft Wien lag, ehe sie im September 2011 an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) übertragen wurde. Die Ermittlungen zur Causa Buwog gestalteten sich für Ermittler wie Staatsanwälte von Beginn an schwierig.
Das lag nicht nur am Umfang des Beweismaterials und dessen inhaltlicher Komplexität. Immer wieder musste auch um Rechtshilfe aus anderen EU-Ländern bzw. aus der Schweiz und Liechtenstein angesucht werden. Dabei wurden die österreichischen Behörden mitunter über Monate warten gelassen. Das Staatsgericht in Vaduz hatte beispielsweise die Ausfolgung von beschlagnahmten Akten von September bis Dezember 2012 blockiert. Hinzu kam, dass sich mit der Strafrechtsreform 2016 ausgerechnet der für die Causa ausschlaggebende „Untreue-Paragraf“ geändert hatte, die Staatsanwaltschaft ihre Vorhaben also an die neue Rechtslage anpassen musste.
Antworten auf ihre Fragen haben Denk und Marchart von Grasser und Meischberger kaum bekommen, da diese sich weigerten, mit den Staatsanwälten zu sprechen. Auch oder gerade deshalb steht für die Vertreter der Anklage zu Prozessende fest: „Wir haben Verbrechen von unglaublicher Tragweite aufgedeckt“. Grasser habe in die eigene Tasche gewirtschaftet – „zu unser aller Nachteil, zum Nachteil der Steuerzahler“.
Die Richterin
Spätestens am Freitag wird Marion Hohenecker die bekannteste Richterin Österreichs sein. Über ihr Urteil im Grasser-Prozess wird ganz Österreich diskutierten.
Glaubt man Ex-BZÖ-Politiker Peter Westenthaler (Hohenecker verurteilte ihn) dann besitzt die Richterin zwei Gesichter. Während der Verhandlung überzeugt die 39-Jährige durch Sachlichkeit, akribische Aktenkenntnis. Dazwischen blitzt sogar öfters ein Hauch von Humor auf. Auch im Buwog-Prozess waren Angeklagte wie Anwälte von ihrer „fantastischen Aktenübersicht“ beeindruckt. In den 168 Verhandlungstagen verlor Hohenecker kein einziges Mal den Überblick im Monsterprozess. Allein das ist eine Meisterleistung.
Doch bei der Urteilsverkündung kenne sie keine Gnade, schildert Westenthaler. „So, Herr Westenthaler! Zur Halbzeit haben Sie 2:0 gewonnen, dann haben wir die Schiedsrichter ausgetauscht und jetzt haben wir 3:2 gewonnen“, kommentierte Hohenecker das Urteil. Was steckt hinter diesem Satz: Hohenecker verwandelte einen Freispruch aus dem ersten Verfahren in einen Schuldspruch .
Ähnlich verlief auch der Grasser-Prozess. Mit einer unglaublichen Genauigkeit arbeitete Hohenecker alle Anklagepunkte ab. So ließ sie tagelang Protokolle, die im Zuge der Ermittlungen geschrieben wurden, per Beamer auf die Wand projizieren, ehe sie mit den Beschuldigten abschnittsweise Wort für Wort durchging.
Aber sie nahm auch Handlungsstränge unter die Lupe, denen die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren wenig Bedeutung beigemessen hatte und sorgte damit für einen neuen Blick auf die Causa. Etwa welche Rolle Kärntens verstorbener Landeshauptmann Jörg Haider bei der Privatisierung spielte. Für diese Beharrlichkeit und Sorgfalt bedankte sich selbst Karl-Heinz Grasser bei der Richterin am Ende des Beweisverfahrens. Nach 168 Prozesstagen herrschte im Schwurgerichtssaal schon eine fast amikale Stimmung.
Trotz ihrer Genauigkeit, ist ihre Bilanz als Richterin nicht lupenrein So verurteilte sie Ronny Leitgeb 2016 wegen „Beihilfe zur Untreue“. Er ging in Berufung, woraufhin der OGH deren Urteil aufhob.
Auch ihr Ehemann, er ist selbst Richter, macht der 39-Jährigen immer wieder Probleme. Er postete Grasser-kritische Tweets. Die Verteidigung ortete deswegen bei der Richterin eine Befangenheit. Diese lehnte sie ab. Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht hat den Strafrichter schuldig gesprochen. Er musste eine Strafe in Höhe eines Monatsgehalts zahlen. Und auch beim Westenthaler Prozess saß Hoheneckers Gatte im Gerichtssaal und streckte seiner Ehefrau einen „Daumen hoch“ beim Schuldspruch entgegen.
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