Anschober: "Müssen Zeit gewinnen, bis es einen Impfstoff gibt"
KURIER: Herr Minister, seit Montag gibt es die Pflicht zum Mund- und Nasenschutz in Supermärkten, die auf andere Bereiche ausgeweitet wird. Haben Sie jetzt auch immer eine Maske dabei?
Rudolf Anschober: Ja, natürlich. Einerseits nehme ich die Schutzmaske im Supermarkt. Ich habe auch eine, die von den Justizanstalten produziert wurde, die ist ganz einfach und weiß. Die hat den großen Vorteil: man muss den Schutz nicht wegwerfen. Man wäscht ihn bei 60 bis 90 Grad, dann kann man ihn jedes Mal wiederverwenden.
Und haben Sie auch die "Stopp Corona"-App auf Ihrem Handy installiert?
Ja, die habe ich auch. Ich bin zuversichtlich, dass es bald die nächsten Optimierungen geben wird, und dass dann auch die entsprechenden unabhängigen Überprüfungen passieren. Es ist eine freiwillige App - ich halte das für viel, viel besser. Sie wird uns gut unterstützen, wenn sie breit getragen wird.
Stichwort "breit getragen" - es gibt einige Kritiker. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker etwa hat gesagt, er wird sich diese App "sicher nicht installieren".
Ich glaube, wir haben eine ziemliche Verwirrung bei den Begrifflichkeiten. Man kann nicht Big Data von Großkonzernen mit der Rot-Kreuz-App vergleichen. Da ist datenschutzrechtlich wirklich alles in Ordnung, es gibt keine personenbezogene Speicherung von Daten, es wird anonymisiert. Deshalb glaube ich, ist das ein sehr, sehr gutes Produkt, das dann funktioniert, wenn es eine breite gesellschaftliche Allianz gibt.
Liegt Stadtrat Hacker einfach falsch mit seiner Kritik?
Ich rede oft mit Peter, bin ihm durchaus freundschaftlich verbunden, schätze auch seine gerade Art sehr, die manchmal etwas aneckt. Wir werden auch das ausdiskutieren. Es ist mir wichtig, dass die App jetzt optimiert wird, dass es dann eine unabhängige Prüfung durch den Datenschutz und andere gibt. Und dann sollten wir uns gemeinsam das Endprodukt gut anschauen.
Wozu braucht man diese App?
Das "contact tracing" machen wir ja jetzt schon in Gesprächen. Wenn eine Person erkrankt ist, müssen wir möglichst schnell schauen, dass die Umgebung nicht angesteckt und geklärt wird, mit wem die Person zuletzt näheren Kontakt hatte. Wenn das zusätzlich durch die App automatisiert und digital realisiert wird, dann ist das eine gute Unterstützung.
Das Land wird langsam wieder hochgefahren. Was manche irritiert: Vor etwa einer Woche hat der Bundeskanzler noch gesagt: "Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist." Jetzt sperren in einer Woche die Baumärkte wieder auf.
Ich sitze heute nicht hier, damit ich den Bundeskanzler kommentiere. Ich kann nur sagen, ich habe eine sehr klare und kontinuierliche Kommunikationslinie, so auch die Bundesregierung insgesamt. Und die hat immer gelautet: Wir versuchen jetzt die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt zu setzen.
Die Mischung aus den Maßnahmen und der sensationellen Beteiligung der Bevölkerung hat dazu geführt, dass wir es geschafft haben, die dramatischen Steigerungsraten von 40 Prozent von Mitte März zu stoppen. Jetzt sind wir bei Raten von 2,2 bis 2,5 Prozent.
Deshalb die Wende?
Ja, wir haben den ersten großen Kraftakt gut geschafft, das ist ein riesiger Erfolg. Ich war mir nicht sicher, ob das gelingen wird, aber es ist gelungen. Jetzt beginnen wir das schwierigste Kapitel überhaupt: die schrittweise Öffnung, verbunden mit der weiteren Eindämmung der Pandemie.
Wenn die Kurve jetzt wieder nach oben gehen würde, wäre es das Schlimmste, das uns passieren kann. Wir überprüfen das tagtäglich und haben paktiert, dass wir jederzeit die Notbremse ziehen können.
Es wäre also durchaus möglich, dass die Maßnahmen wieder verschärft werden?
Ich gehe davon aus, dass das funktioniert. Ende April werden wir uns wieder intensiv zusammensetzen. Die nächsten Schritte, die wir ab 15. Mai in Aussicht gestellt haben, hängen vom Erfolg ab und wie sich die Pandemie entwickelt. Da können wir jederzeit eingreifen.
Wir schauen in Richtung Ostern. Wie groß ist Ihr Vertrauen in die Österreicher, dass sie sich wirklich an die Beschränkungen halten und auf Feiern verzichten?
Mein Vertrauen ist groß, weil ich gemerkt habe, dass die Solidarität und das Verantwortungsbewusstsein groß sind. Es geht darum, die Pandemie de facto zu besiegen und zu verhindern, dass Zehntausende sterben. Das weiß jeder in Österreich, bis auf ganz wenige Ausnahmen.
Ostern wird aus meiner Sicht heuer ein Fest der Solidarität, des Zusammenhalts, wo wir diese Solidarität durch räumliche Distanz leben müssen. Ich persönlich freue mich auf Ostern 2021, das hoffentlich wieder völlig normal sein wird. Aber jetzt geht es darum, das Richtige und Wichtige zu tun.
Wozu dann am vergangenen Wochenende der sogenannte Oster-Erlass?
Der Hintergrund ist, dass die Polizei um eine klare Rechtsgrundlage für das Einschreiten gegen diese völlig durchgeknallten Corona-Partys ersucht hat. Der Staat hat die Pflicht, zum Schutz der Mitbürger auch konsequent einzuschreiten. Es gab eine Formulierung, die auch funktioniert hätte.
Es gab aber viel Kritik. Ich habe mir eine Nacht lang diese Kritik genau angehört. Ich glaube, dass es gut ist, wenn man in der Politik so weit ist zu sagen: Ok, da ist ein Fehler passiert, das war überschießend, vor allem aber missverständlich. Und dann am nächsten Tag sagt: wir nehmen das zurück. Es ist jetzt geklärt, dass die bestehenden Ausgangsbeschränkungen ausreichen.
Wollte die Polizei wirklich in die Wohnzimmer schauen, ob da mehr Leute sitzen als erlaubt?
Nein, das ist eine Fehlinterpretation. Mir ist die Sicherung der Privatsphäre ein hohes Gut. Die Polizei hatte nie vor, in die Wohnungen zu gehen und zu kontrollieren, und das wird es auch in Zukunft nicht geben.
Kommen wir zu den Testungen: Es gibt eine Studie zur Dunkelziffer an Erkrankungen. Vorab ist bekannt, dass die Durchseuchung im Promillebereich liegt. Ist das gut oder schlecht?
Die Medaille hat zwei Seiten: Grundsätzlich bin ich froh, wenn möglichst wenige Menschen erkrankt sind. Was als Gegenproblem auftaucht: Bei jeder großen Epidemie oder großen Infektion brauchen wir langfristig eine Grundimmunisierung der Bevölkerung. Der Herdenschutz beginnt bei 60 Prozent, sagen uns die Experten. Das ist eine Frage der Zeit.
Mein Vorgehen ist es, nicht mit der Herdenimmunisierung zu arbeiten. Großbritannien und die Niederlande haben das versucht, diese Experimente sind gescheitert. Deswegen setzen wir darauf, die Erkrankungsquote so gering wie möglich zu halten und dann Zeit zu gewinnen, bis wir ein Medikament und den Impfschutz haben. Die Wissenschaftler arbeiten großartig und mit allem Einsatz daran, uns diesen erlösenden Impfstoff zu bringen.
Welche Testungen gibt es?
Wir haben Zielgruppentestung mit jeweils 300 bis 500 Mitarbeitern gemacht. Im Bereich der Supermarkt-Kassiere hatten wir kein einziges positives Ergebnis, das ist großartig. Bei der Pflege waren es auch sehr wenige. Es war meine große Sorge, dass wird da mehr Fälle haben und die Hochrisikogruppe der Älteren betroffen sein könnte. In den Krankenhäusern hatten wir drei positive von 474 Testungen.
Wir machen auch Sentinel-Testungen: Wenn Personen wegen Atemwegserkrankungen zum niedergelassenen Arzt gehen, führen wir in manchen Fällen eine Testung durch. Bisher waren es 900 Personen, da hatten wir in drei Prozent positive Ergebnisse. Wir schauen in die Bevölkerung sehr genau hinein, weil wir auch wissen müssen, wie sich das Virus verbreitet.
Der nächste Schritt sind die Antikörpertests - was bringen die?
Das ist ein ganz wichtiger zweiter Schritt nach den PCR-Tests, mit denen ich erkenne, ob ein Mensch krank ist oder nicht. Die haben eine ganz hohe Aussagekraft.
Dazwischen gibt es Schnelltests - da sage ich: Vorsicht: Es gibt Präparate, die extrem ungenau sind. Wir haben mit Ärztekammer und Apothekerkammer akkordiert, dass wir die nicht bewerben. Es wird sonst auch mit disziplinarrechtlichen Schritten gedroht. Ein schlechter Test führt zu falschen Schlüssen: Wir glauben, dass wir gesund sind, oder dass wir die Krankheit schon hinter uns haben und wir immunisiert sind. Das hätte verheerende Folgen für den Einzelnen und sein Umfeld.
Die Antikörpertests sagen uns, dass die Person krank war und mittlerweile Antikörper in seinem Blut hat. Wir schauen uns an, wie groß die Immunisierung in Hotspot-Regionen ist, und in bestimmten beruflichen Bereichen. Wenn ich eine gewisse Immunisierung in einem Spital erreiche, habe ich eine stabilere Situation. Dieses Wissen ist für uns wichtig für die Zukuntsplanung.
Was weiß man eigentlich über die Toten? Es ist ja nicht fix, dass sie wirklich an Covid-19 gestorben sind.
Wir halten uns an die internationalen Standards: Jeder, der verstirbt und vorher einen positiven Test hatte, wird als Corona-Verstorbener gewertet. Das mag als statistische Spitzfindigkeit gelten, ich würde es aber für richtig erachten, dass wir öfter Obduktionen durchführen. Damit könnten wir diese Aussagen mit mehr Sicherheit treffen.
An der Todesstatistik sehen wir, dass es sich sehr, sehr oft um Menschen mit schweren Vorerkrankungen handelt, um Menschen, die relativ betagt sind. Und da ist es nicht zu 100 Prozent sicher, dass die Corona-Erkrankung letztendlich das Auslösende war. Eine gewisse Unsicherheit wird immer bleiben.
Weiß man, wie viele Tage im Schnitt zwischen Diagnose und Tod vergehen?
Ich habe keine statistischen Daten am Tisch, aber wir wissen, dass die Verweildauer so oder so - bei Gesundung oder Versterben - auf der Intensivstation deutlich höher ist als bei der herkömmlichen Lungenentzündung. Wir gehen von rund drei Wochen aus. Das ist wichtig für die Planung der Kapazitäten. Wir haben derzeit 1.000 Betten und 50 Prozent der Beatmungsgeräte in Reserve.
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