Schellhorn: "Achtung, staatliches Pyramidenspiel, Sie werden um Ihr Geld gebracht!"

Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn
"Es ist kein Sparpaket", sagt Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn. Im Podcast spricht er über seinen Bruder Sepp, warum die ÖVP erschöpft, die FPÖ ihm teils schizophren erscheint und August Wöginger ein Opfer seiner eigenen Theorie ist.

Österreich hat derzeit die höchsten Staatseinnahmenquoten Europas und zeitgleich das vierthöchste Defizit - für Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn kein Wunder, dass bei der Bevölkerung "die Alarmglocken schrillen". Warum er die Deregulierungsmaßnahmen für keinen große Wurf hält und was er Werner Faymann zu verdanken hat. 

KURIER: Ihr Bruder Sepp sagt in der Presse: "Es gibt natürlich die sogenannten Experten wie zum Beispiel die Agenda Austria, die besonders gescheit, aber in der Realpolitik noch nicht angekommen sind.“ Fühlen Sie sich angesprochen, in der Realität angekommen?

Franz Schellhorn: Wir schlagen Reformen für Österreich vor, die aus unserer Sicht gut und richtig sind. Wir sind glücklicherweise in keiner Dreierkoaltion und wie man sieht, machen wir unsere Arbeit unabhängig von der Politik. 

Ärgert Sie die Kritik?

Nein. 

Als was würden Sie sich bezeichnen: Experte, Ökonom oder Influencer, nachdem Sie mittlerweile auch sehr viel posten?

Wir von der Agenda Austria sind Ideenlieferant, wir schauen uns an, wie vergleichbare Länder ähnlich gelagerte Probleme gelöst haben. Wir zeigen, was sich Österreichs Regierungen von anderen Ländern lernen können und bringen das einer breiten Öffentlichkeit näher. 

Die Agenda Austria ist "unabhängig, aber nicht neutral“. Was heißt das – und wo verorten Sie sich politisch?

Im parteipolitischen Spektrum verortet sich die Agenda Austria gar nicht. Wir sind unabhängig von Staat, Parteien, Kammern und freien Interessenvertretungen. Wir sind auch unabhängig, weil wir keine Studien verkaufen – insbesondere nicht an Ministerien. Wir sind nicht neutral, weil wir die marktwirtschaftliche Lösung suchen. Die staatsorientierte Position ist in Österreich ja auch ausreichend gut vertreten. Wir werden deshalb häufig als wirtschaftsliberal bezeichnet.

Franz Schellhorn

Wie definieren Sie liberal und wirtschaftsliberal?

Dass wir die Lösung nicht immer beim Staat suchen. Die Regierung ist dazu da, jene Probleme zu lösen, die wir Bürger alleine nicht lösen können. Aber wir Bürger halten uns keine Regierung, die uns sagt, welches Auto wir fahren sollen oder welche Heizung wir einzubauen haben. Und schon gar nicht dafür, dass wir im Supermarkt an die Hand genommen werden und gesagt bekommen müssen, dass die Verpackungsgrößen geschrumpft sind.

Sie meinen Shrinkflation?

Ja, die Regierung sollte sich nicht darum kümmern, ob die Schokoladetafel 80 oder 100 Gramm wiegt. Es ist nicht ohne Ironie, dass der Staat jetzt den großen Konsumentenschützer spielt. Er selbst ist ja der Großmeister der Shrinkflation: Wir haben die zweithöchsten Bildungsausgaben pro Schüler in Europa, jeder vierte 15-Jährige kann nicht sinnerfassend lesen und beherrscht die Grundrechnungsarten nicht. Auf keiner Schule findet sich der Hinweis: "Viel Geld, wenig Bildung!“ In Wien wartet man 1,5 Jahre auf eine Mandeloperation. Auf keinem Spital ist zu lesen: "Mehr zahlen, länger warten!“. Die Jungen zahlen voll in das Pensionssystem ein, im Wissen, dass sie niemals die versprochene Leistung erhalten werden. Am Lohnzettel steht aber nirgendwo: "Achtung, staatliches Pyramidenspiel, Sie werden um Ihr Geld gebracht!“ 

Sepp Schellhorn

Sepp Schellhorn hat 113 Maßnahmen zur Entbürokratisierung vorgestellt. Ist das ein großer Wurf der Dreierkoalition?

Es ist bestenfalls ein erster kleiner Schritt, aber kein Befreiungsschlag. Dass wissen die Regierungsparteien auch. Es ist das, was in der Regierung offensichtlich möglich war. 

Fehlt der große Wurf, weil drei und nicht zwei Parteien regieren?

Die Dreierkoalition macht das politische Leben nicht einfacher.  Es war schon früher bei ÖVP und SPÖ immer eine Atmosphäre des Stillstands spürbar und auch jetzt merkt man: Man mag sich eigentlich nicht. Man hat einen völlig anderen Blick auf die Welt. Die ÖVP scheint auch ein bisschen erschöpft zu sein von all den Regierungsjahren und den Turbulenzen der letzten Jahre. Und die Neos scheinen nur dabei sein zu wollen. Sie berufen sich gerne darauf, die kleinste Partei zu sein. Aber die Grünen waren auch sehr klein und man hatte trotzdem den Eindruck, es ist eine grün-türkise Regierung und keine türkis-grüne.

Christian Stocker sitzt an einem Tisch mit einer kleinen Vespa im Hintergrund.

Bundeskanzler und ÖVP-Chef Christian Stocker

Welche Farbe hat die ÖVP jetzt?

Schwarz, würde ich sagen, von Türkis ist nicht mehr viel übrig. Bei den Neos ist interessant, dass sie gar nicht erst versuchen, ihren Hebel einzusetzen. Sie haben vielen liberalen Todsünden abgenickt. Etwa der Bankenabgabe, dem Mietpreisdeckel oder dem Bundestrojaner. Sie hätten im Gegenzug die völlige Freigabe der Ladenöffnungszeiten einfordern können. Haben sie aber nicht. Und jetzt mäandert die Regierung herum und ist froh, dass sie zusammenbleibt, weil Neuwahlen für alle drei schlechtere Ergebnisse brächte.  

Was mutmaßen Sie, ist das jeweilige Animo der Parteien?

Sich so weit zu mögen, dass es nicht zum Bruch kommt. Mein Eindruck ist, dass es die SPÖ wahnsinnig gut macht in der Koalition, wenn es sich in den Umfragen nicht bestätigt. Aber die Sozialdemokraten haben eine klare Vorstellung, die sie durchsetzen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die zwei bürgerlich-liberalen Parteien, ÖVP und Neos, ein Übergewicht hätten und die SPÖ vor sich hertreiben. Es ist genau umgekehrt. 

PG ZUR VORSCHAU AUF DEN STAATSHAUSHALT 2026:  MARTERBAUER

SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer

Können Sie den Optimismus und die Zuversicht von SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer teilen?

Nein. Optimismus und Zuversicht sind wichtig. Aber das Problem dieser Regierung ist, dass der Realität hinterherläuft. Die Bevölkerung sieht ja, was in den Unternehmen los ist. Sie sieht, dass Investitionen nicht kommen oder ins Ausland abwandern, dass Kollegen gekündigt werden. Nicht die Bevölkerung ist für den Optimismus zuständig, das ist die Aufgabe der Regierung. Sie muss die für jedermann sichtbaren Probleme lösen und den Staatssektor modernisieren. Aber sie kann nicht länger erzählen: Es ist alles super, der Standort ist perfekt, man muss nur Geduld haben und dann wird das Wachstum schon wieder um die Ecke biegen. Das erhöht eher die Depression. 

Wie hätte ein Kurs bei der Budgetkonsolidierung ausschauen müssen, bei dem man gleichzeitig die Zuversicht wahrt und ausgabenseitig spart? Man kann darüber diskutieren, ob das derzeitige Sparpaket ein ausgaben- oder einnahmenseitiges ist…

Nein, das kann man nicht diskutieren. Es ist kein Sparpaket. Der Staat gibt heuer um 10 Milliarden mehr aus als im Vorjahr. Das ist weniger als geplant und in Österreich gilt es immer schon als Sparen, wenn man weniger von dem geplanten Mehr ausgibt. Das heißt: Sie müssen nur hoch genug budgetieren und die Mehrausgaben ein bisschen zurücknehmen und schon sind Sie auf dem Sparkurs. Die Bevölkerung durchschaut das, deshalb nimmt sie das "Sparen im System“ nicht ernst. Man rechnet in Ministerien höhere Gebühren oder Dividenden, die man Unternehmen abpresst, als Sparen in System. Wir alle wissen: Das Defizit von heute sind die Steuern von morgen. Wenn wir jetzt mit einer der höchsten Staatseinnahmenquoten in ganz Europa das vierthöchste Defizit aufreißen, dann lässt das bei der Bevölkerung alle Alarmglocken schrillen und es löst Angst und Verunsicherung aus. Der Staat gibt so viel Geld aus wie zu Corona-Zeiten – nur ohne Pandemie. Das ist verrückt. 

Sie können den 500 Millionen Euro, die von Verbund, BIG und ÖBAG kommen sollen für niedrigere Energiepreise nichts abgewinnen?

Kanzler Christian Stocker kommt aus dem Krankenstand zurück und vergibt freihändig 500 Millionen Euro, die man von börsennotierten Unternehmen abpresst, Aktienrecht hin oder her. Österreichischer wird es nicht mehr. Besser wäre gewesen, sich zu fragen, was denn die großen Probleme im Strommarkt sind. 

Was sind sie denn?

Die allesamt staatlichen Energieerzeuger haben kein Interesse an günstigen Preisen. Sie besitzen auch noch die Netze und schreiben super Ergebnisse, weil es keinen Wettbewerb gibt. Weil sie alle untereinander beteiligt sind. Alle schneiden mit: Der Verbund, die Landesenergieversorger, der Eigentümer Staat. Alle sind super happy, nur die Stromverbraucher nicht. Sie haben die höchsten Preise in Europa zu schultern, obwohl die Versorger mit der Wasserkraft enorm günstig produzieren. 

ARBEITSKLAUSUR DER BUNDESREGIERUNG: BABLER / STOCKER / MEINL-REISINGER

Sollen die klimaschädlichen Subventionen wie das Diesel-Privileg gestrichen werden, um zu sparen?

Gibt es ein Diesel-Privileg oder ist es nicht vielmehr ein Benzin-Malus? Ich habe nicht den Eindruck, dass Diesel unterbesteuert ist und wundere mich über diese Diskussion. Mit dem Zertifikatehandel wird das Problem ohnehin von Brüssel aus gelöst. Wer ab 2027 mehr CO2 verbraucht, der zahlt auch mehr. 

Die Grundsteuer anzuheben wäre eine andere Option?

Nein, das ist keine Option. Wir haben die höchsten Staatseinnahmen ever und daraus machen wir ein Defizit von 5 Prozent vom BIP. Und das lösen wir jetzt damit, dass wir die Grundbesitzer für dieses politische Totalversagen bezahlen lassen? Das Aufkommen der Grundsteuer hat sich seit 2005 um 60 Prozent erhöht und seit 1995 verdoppelt. Wenn man höhere Grundsteuern will, dann sollten sie die Gemeinden nur dann erhöhen, wenn sie ihre Bürger darüber abstimmen lassen. 

Halten Sie gerade ein Plädoyer für direkte Demokratie?

Warum nicht? In der Schweiz funktioniert das prächtig. Die Bürger sollen in Österreich darüber entscheiden, ob sie mehr Grundsteuer bezahlen wollen und damit auch höhere Mieten. Oder, ob es nicht gescheiter wäre, das Verwaltungspersonal in der Gemeinde zu reduzieren. Oder den Bauhof mit anderen zu teilen, Altersheime gemeinsam zu betreiben.

IV-Präsident Georg Knill sagte Anfang des Jahres im KURIER, die ÖVP werde die Ressortaufteilungen mit der FPÖ nicht mehr so rasch haben. Wäre es zu einer FPÖ-ÖVP-Regierung gekommen, ginge es der Wirtschaft anders?

IV Präsident Georg Knill

Das ist eine sehr theoretische Frage, aber ich glaube, wir werden sie bald beantwortet bekommen. Alles läuft darauf hinaus. Wenn nichts Großes passiert und die Umfragen so bleiben, wird das die wahrscheinlichere Koalition sein. Was dann inhaltlich kommen wird, weiß ich nicht. Programme sind aber nur eine Seite. Man kann der ÖVP und den Neos ja nicht vorwerfen, ein schlechtes Wirtschaftsprogramm gehabt zu haben. Sie haben es nur nicht umgesetzt. Am besten wäre gewesen, eine FPÖ-ÖVP-Neos-Regierung zu bilden. Die Wirtschaftsprogramme der drei Parteien haben sich massiv überschnitten, sie hätten eine breite Mehrheit und keine Ausreden mehr gehabt, ihre Ideen nicht in die Tat umzusetzen. 

Norbert Nemeth, Herbert Kickl und andere präsentieren das FPÖ-Wahlprogramm.

FPÖ präsentiert Wahlprogramm 2024

Was halten Sie von der Wirtschafts- und Finanzpolitik der FPÖ?

Welche FPÖ meinen Sie? Jene von Arnold Schiefer & Co., die wirtschaftspolitisch gute Vorschläge bringen? Oder jene FPÖ, die bei allen sozialpolitischen Fragen auf Seiten der SPÖ ist? Wir haben es hier ein wenig mit einer schizophrenen FPÖ zu tun und wissen nicht, welche sich durchsetzt. 

Wir befinden uns im dritten Jahr der Rezession. Die Agenda Austria finanziert sich durch Spenden. Spüren Sie die Konjunktur?

Ja, natürlich spüren wir die Konjunktur, auch wenn wir immer wieder kleinere Spenden dazu bekommen, aber in Summe ist es auch bei uns so, dass wir steigende Kosten und kein wachsendes Aufkommen an Zuwendungen haben, weil die Wirtschaft in einer enorm schwierigen Situation ist. 

Also doch vielleicht für die Politik arbeiten?

Nein. Vorher sperren wir zu. 

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