IV-Präsident Georg Knill ist "entsetzt": 2025 sei als "verlorenes Jahr abzuschreiben". Harald Mahrers "Machtrausch"-Aussage findet er "einigermaßen skurril".
Georg Knill: Ich bin entsetzt! Mir fehlen die Attribute für meinen Gemütszustand – nämlich mitzuerleben, dass innerhalb von 5 Monaten der zweite Anlauf einer Regierungsbildung kläglich gescheitert ist. Mich schockieren die Gründe, deretwegen die blau-türkisen Verhandlungen gescheitert sind – aufgrund einer Postendiskussion. In Summe muss ich feststellen, dass es in Österreich ein Politikversagen auf Bundesebene gibt.
Gibt es eine Partei, die nicht versagt?
Ehrlicherweise muss ich die Grünen ausnehmen, weil sie nicht verhandelt haben.
Dass ausgerechnet Sie die Grünen in Schutz nehmen, das ist wie ein Treppenwitz der Geschichte.
Ich bleibe bei den Fakten. Ich brauche nichts schlecht zu reden, es ist schlimm genug.
Abend der Nationalratswahl (29.9.2024): NEHAMMER/BABLER/MEINL-REISINGER/KOGLER/KICKL
Was ist Faktum und schlimm genug?
Dass es nicht gelingt, in diesem Land eine tragfähige Mehrheit zu dritt oder zu zweit zustande zu bringen -wegen Ressortverteilungen und ideologischen Hürden. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ich habe kein Verständnis dafür und ich glaube, dass dieses Verhalten auch bei einem Großteil der Bevölkerung für Unverständnis sorgt. Es geht einzig und allein um machtpolitische Themen.
Die Zuckerlkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos ist wenigstens an den Inhalten gescheitert.
Georg Knill (*1973) leitet mit seinem Bruder Christian die in Familienbesitz befindliche „Knill Gruppe“ von Weiz (Steiermark) aus. 2020 folgt Knill Georg Kapsch an der Spitze der Industriellenvereinigung (IV) nach, 2024 wird der 51-Jährige für weitere 4 Jahre gewählt.
Die IV ist eine freiwillige Interessensvertretung und hat derzeit laut eigenen Angaben mehr als 5.000 Mitglieder aus dem produzierenden Bereich, der Kreditwirtschaft, der Infrastruktur sowie industrienaher Dienstleistungen.
Das war ein erster Meilenstein, doch bei dem ist es geblieben. Übrigens haben wir Ende April das EU-Defizitverfahren wieder am Hals, wenn bis dahin weiter nichts gelöst wird. Nachdem es kein Anzeichen für eine intakte Regierung gibt, gehe ich davon aus, dass wir in ein EU-Defizit -Verfahren schlittern werden.
Noch zwei Nachfragen in der Rückschau: Haben Sie sich nicht stark genug als Interessensvertreter bei den Verhandlungen eingebracht, wenn Sie unbedingt eine FPÖ-ÖVP-Regierung wollten?
Wir haben in beiden Konstellationen sehr konstruktiv in den Verhandlungen mitgewirkt. Besonders bei der Zuckerlvariante waren wir an einem Zustandekommen mehr als interessiert. Aber es ist, wie wir wissen, an ideologischen Machtinteressen gescheitert. Das gleiche gilt für Blau-Türkis.
17.07.2024: IV-Präsident Georg KNILL, Kanzler Karl NEHAMMER, WKO-Präsident Harald MAHRER
WKO-Präsident Harald Mahrer hat der FPÖ attestiert, in einem "Machtrausch“ zu sein. Die FPÖ hätte sechs Ministerien für sich beansprucht, die ÖVP nach FPÖ-Lesart sieben bekommen. Teilen Sie Mahrers Attest?
Ich kann der Aussage Mahrers nichts abgewinnen. Diese oder eine ähnliche Ressortaufteilung wird die ÖVP in Zukunft nicht mehr so rasch haben. Der Volkspartei droht bei der nächsten Wahl Platz drei. Bei diesen Voraussetzungen von Machtrausch zu sprechen – das finde ich einigermaßen skurril.
Hat die ÖVP demnach für Sie an Glaubwürdigkeit verloren, die FPÖ mit ihrer "Erzählung“ gewonnen?
Ich frage mich, was die ÖVP von ihrer Zukunft erwartet, wenn sie jetzt zum zweiten Mal wegen unterschiedlicher Gründe Regierungsverhandlungen nicht abschließen konnte. Ich frage mich, was daran – wie bei allen anderen Parteien auch – noch staatstragend ist.
Was erwarten Sie sich vom Staatsoberhaupt in der jetzigen Situation?
Viele erwarten sich jetzt eine Expertenregierung, doch ich bin sehr skeptisch, ob das das Richtige für Österreich ist. Wir hatten mit Brigitte Bierlein eine solche Regierung. Wir können uns aber keine ausschließliche Verwaltungsregierung leisten, die nur den Status Quo erhält.
Plädieren Sie für ein Comeback der Dreier-Verhandlungen, eine Viererkoalition oder Neuwahlen?
Eine nochmalige Verhandlung von ÖVP, SPÖ und Neos halte ich nicht für sinnvoll. Bis auf die Spitze der ÖVP hat sich an dieser Konstellation nichts geändert.
Andreas Babler (SPÖ-Chef) und Gunter Mayr (Finanzminister)
Liegt es nur an SPÖ-Chef Andreas Babler?
Ich nehme jetzt alle Parteien in die Pflicht.
Sie stellen auch ÖVP-Chef Christian Stocker infrage?
Alle Parteien und ihre Spitzen müssen sich die Frage stellen, ob sie bereit sind Verantwortung zu tragen, mit Ausnahme der Grünen, die nicht involviert waren, und der Neos die Verantwortung gezeigt haben. Sonst muss der Souverän das letzte Votum im Mai verifizieren.
Der IV-Präsident ist also für schnellstmögliche Wahlen vor dem Sommer?
Jeder Tag, der so weitergeht, der ohne notwendige Reformen vergeht, kostet uns 15 Millionen Euro. Das sind vergeudete Opportunitätskosten. Wir müssen den Wirtschaftsstandort und den Wohlstand sichern, stattdessen vergeuden wir das ohnehin kaum vorhandene Wachstumspotenzial von 0,6 Prozent für das heurige Jahr. Wir haben es mittlerweile aus ideologischen Gründen mit Stillstandsparteien zu tun. Das ist unverantwortlich.
Ist 2025 aus wirtschaftlicher, industriepolitischer Sicht für Sie gelaufen?
Ich gehe davon aus, dass 2025 als verlorenes Jahr abzuschreiben ist, da wir frühestens im Sommer eine Regierung haben werden.
Es geht gerade alles nach oben: Die Inflation, die Energiepreise, die Arbeitslosenzahlen. Was wiegt aus Sicht der IV am schwersten?
Wir haben allein in den letzten drei Jahren jeden 15. Euro an der Wertschöpfung verloren. Das meine ich, wenn ich von Deindustrialisierung spreche. Und genau diese Entwicklung setzt sich fort. Wir werden es mit einem noch massiveren Wohlstandsverlust in diesem Land zu tun haben. Alle Sirenen müssen aufheulen, alle roten Lichter leuchten. Ohne intakte Regierung haben wir mit den gleichen Themen zu kämpfen wie vor einem Jahr und fallen weiter zurück. Denn die Preisspirale wird sich weiterdrehen. Die Lohnstückkosten sind weiter viel zu hoch und schaden unserer Wettbewerbsfähigkeit.
Am 23. Februar wählt Deutschland. Gemäß Umfragen dürfte die Regierungsbildung bei unserem wichtigsten Handelspartner ähnlich schwierig werden wie bei uns. Bereitet Ihnen das Sorgen oder Angst?
Angst habe ich nie. Die politischen und wirtschaftlichen Prognosen sind überschaubar positiv. Die Handelspolitik, die von den USA ausgeht, wird viel mehr Herausforderung für uns sein. Ich meine damit die politischen Vorhaben von US-Präsident Donald Trump. Wir müssen uns als Europa gemeinsam positionieren und Antworten finden. So gesehen haben wir nicht nur im Land Handlungsbedarf, sondern auch einen massiven Druck von außen zu bestehen und einfach keine Zeit mehr.
Wir warten - nach den ersten Ankündigungen - auf konkrete Vorschläge von der Kommission betreffend weniger aufwendiger Reportings, im Bereich des Green Deals oder auch der Nachhaltigkeitsberichtserstattung. Das Problem, das wir im Land lösen müssen, ist allerdings das Gold-Plating, also die Übererfüllung europäischer Vorgaben.
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