Was passiert, wenn Russland in der Ukraine einmarschiert?
Am Sonntag spitzte sich der Konflikt in der Ostukraine weiter zu, ein Krieg ist inzwischen wahrscheinlicher denn je.
Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen:
Wie hat sich der Konflikt zuletzt verschärft?
Seit Freitagabend eskaliert die Situation zwischen der ukrainischen Armee und den pro-russische Separatisten in den Gebieten um Lugansk und Donezk. Dazu tobt der Informationskrieg: Die ukrainische Seite gab am Samstag den Tod zweier Soldaten bekannt, in der Nacht auf Sonntag sollen zwei Zivilisten nahe Lugansk durch ukrainischen Beschuss umgekommen sein. Beide Angaben konnten bisher nicht überprüft werden.
Laut OSZE soll es aber allein am Freitag 975 Verletzungen des Waffenstillstands gegeben haben, davon 860 Explosionen, viele davon in der Millionenstadt Donezk. Dazu werden die 30.000 russischen Soldaten in Belarus nicht wie geplant abziehen. Das war vom Westen befürchtet worden, da Putin schon lange auf eine dauerhafte Militärpräsenz dort drängt. Die USA vermuten zudem, dass Putin bereits die Entscheidung für einen Einmarsch gefällt haben soll.
Was passiert mit den Zivilisten im Osten?
Die Führer der abtrünnigen „Volksrepubliken“ riefen am Freitag zu Massenevakuierungen auf, um einen „Genozid“ zu verhindern – für viele Experten dient das als Vorwand für eine russische Invasion. Angeblich seien bereits „einige hunderttausend Menschen“ nach Russland gebracht worden, unabhängig bestätigt ist das nicht. In russischen Medien sieht man Kinder und Ältere, die mit Bussen und Zügen in notdürftige Unterkünfte gebracht werden. Journalisten vor Ort sagen, dass viele Menschen die Ostukraine dennoch nicht verlassen, weil sie nicht mit den Separatisten kooperieren wollen. In Russland werden Journalisten nicht in die Notunterkünfte gelassen.
Rechnet noch jemand mit einer friedlichen Lösung?
Neben dem zuletzt betont zuversichtlichen ukrainischen Präsidenten Selenskij scheint in Europa nur noch Frankreichs Präsident Macron an eine diplomatische Lösung zu glauben. Er telefonierte am Sonntag mit Putin: Man habe sich geeinigt, einen neuen Waffenstillstand anzustreben, sagt Paris. Kremlsprecher Dmitrij Peskow sprach dagegen von einem „maximal belasteten“ Konflikt, in dem jede kleine Provokation zu „irreparablen Konsequenzen“ führen könnte.
Auch andere Spitzenpolitiker sind wenig zuversichtlich. US-Außenminister Blinken meinte: „Alles, was wir sehen, deutet darauf hin, dass wir am Rande einer Invasion stehen.“ Der britische Premier Johnson sagte sogar, dass „der größte Krieg in Europa seit 1945“ nahe.
Was wird noch versucht, um Krieg zu verhindern?
US-Präsident Joe Biden verkündete, er sei „jederzeit“ zu einem Gespräch mit Putin bereit, „wenn das einen Krieg verhindern würde“. Auch Blinken will die diplomatischen Bemühungen fortsetzen, ein Treffen mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow in der kommenden Woche in Europa sei weiterhin geplant – „es sei denn, Russland marschiert in der Zwischenzeit ein“. Auch der französische Außenminister Yves Le Drian will Lawrow in der kommenden Woche treffen. Die OSZE hat für Montag eine Sondersitzung einberufen. Russische Vertreter dürften an dem Gipfel, wie zuletzt, aber nicht teilnehmen.
Ein positives Signal könnte sein, dass Chinas Außenminister Wang Yi Russland daran erinnerte, dass „die Souveränität jedes Landes“ respektiert werden müsse – das gelte auch für die Ukraine. China stand zuletzt fest an der Seite Russlands.
Was passiert, wenn der Krieg wirklich ausbricht?
Mit geschätzt 180.000 Soldaten könnte Russland jederzeit eine Vollinvasion starten. Das Hauptziel dürfte dann eine Kapitulation Kiews und die Etablierung einer Marionettenregierung sein. Die USA schätzen, dass dies wohl 50.000 Zivilisten das Leben kosten würde, da sich auch zivile Widerstandskämpfer massiv zur Wehr setzen würden. Zu einem neuen Weltkrieg würde das aber nicht unmittelbar führen: Die NATO würde Kiew nicht militärisch unterstützen, auch die USA haben das ausgeschlossen. Möglich ist aber finanzielle Unterstützung und die Sendung von Rüstungsmaterial und Geheimdienstinformationen.
Je länger ein Krieg andauert, desto größer würde der Druck einer militärischen Intervention des Westens aber werden – zumal eine Massenflucht einsetzen würde; eine humanitäre Katastrophe, „wie sie Europa seit vielen Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat“, sagt Caritas-Präsident Michael Landau. Wenn Russland allerdings „nur“ im Donbass einmarschiert und eine Landbrücke zur bisher abgeschnittenen Krim etabliert, würde der Westen vorerst mit den massivsten wirtschaftlichen Sanktionen bisher antworten. Russland würde so finanziell und technologisch vom Westen abgeschnitten.
Was macht Österreich?
Hierzulande wird ein "Krisenkabinett" eingerichtet, das aus allen Ministerinnen und Ministern besteht, deren Ressorts "unmittelbar betroffen sind", so das Bundeskanzleramt. Beraten wird intensiv und regelmäßig. "Die Lage in der Ukraine verschlechtert sich stündlich, das Schreckgespenst eines Krieges in Europa ist leider real", sagt Kanzler Karl Nehammer. Wenn es zu weiteren militärischen Aggressionen Russlands gegenüber der Ukraine komme, wird zudem unverzüglich den Nationalen Sicherheitsrat einberufen. "Wir müssen uns auf die schlimmsten Szenarien vorbereiten."
Kommentare