Ex-Korruptionsjäger Geyer: "Für die Opfer ist das eine Katastrophe"
Walter Geyer, ehemaliger Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft, warnt davor, die Ibiza-Causa als Anlass zu nehmen, um Rechte von Beschuldigten auszuweiten. Handlungsbedarf sieht er dennoch.
Er ist Korruptionsjäger der ersten Stunde und hat das Anti-Korruptionsvolksbegehren mitinitiiert: Walter Geyer. In einem seiner seltenen Interviews spricht er über die geplante Justizreform, die jetzt wegen Spannungen zwischen Türkis und Grün nicht recht vom Fleck kommt.
KURIER: Die Koalition hat paktiert, dass der Generalstaatsanwalt nur kommt, wenn auch die Rechte von Beschuldigten ausgebaut werden. Wird das noch was?
Walter Geyer: Mich stört dieser Kuhhandel. Die beiden Themen hängen inhaltlich nicht zusammen. Der Generalstaatsanwalt wird seit gefühlt 50 Jahren diskutiert, die Rechte von Verfahrensbeteiligten erst seit Kurzem.
Erst, seit die ÖVP und ihre Leute selber als Beschuldigte betroffen sind, sagt die grüne Justizministerin.
Genau. Manches, das bisher nie ein Problem war, ist jetzt auf einmal ein Skandal, der uns alle beschäftigen soll.
Kann man deshalb die Argumente, die ja auch von Rechtsanwälten und Strafrechtsprofessoren gebracht werden, vom Tisch wischen?
Nein, man kann über gewisse Dinge sicher diskutieren. Ich sage nie „Nein“, wenn es um die Verbesserung der richterlichen Kontrolle geht. Richter sind Teil der Justiz, sie agieren unabhängig – ihnen kann man vertrauen.
Sollen Richter die Sicherstellung eines Handys genehmigen – so wie derzeit eine Hausdurchsuchung?
Das sollen Fachleute diskutieren.
Die jetzige Regelung stammt aus einer Zeit, bevor es Handys, WhatsApp oder Datenclouds gab. Was sagen Sie: Braucht es ein Update?
Es geht in der Diskussion de facto nur um das Ibiza- bzw. Casag-Verfahren, das jetzt im Mittelpunkt steht. Man muss aber bedenken, wie sich eine Einschränkung auf die alltägliche Strafverfolgung auswirkt: Für einen Beschuldigten ist es super, wenn die Aufklärung erschwert wird, für die Opfer ist es eine Katastrophe. Jetzt dürfen Sie raten, auf welcher Seite ich stehe.
Walter Geyer
war Richter und Staatsanwalt (u.a. im Verfahren gegen SPÖ-Minister Hannes Androsch) und ging 1986 für die Grünen in den Nationalrat. Nach seiner neunstündigen Rede wurde im Parlament eine Zeitbeschränkung eingeführt.
Korruptionsjäger
1988 kehrte er in die Justiz zurück und ermittelte gegen organisierte Kriminalität. 2009 wurde er Leiter der neuen Korruptionsstaatsanwaltschaft (KStA), die später zur WKStA ausgebaut wurde. Seit 2013 ist er in Pension.
Was halten Sie vom Kostenersatz für Beschuldigte, die freigesprochen werden?
Das ist eine rein finanzielle Frage. In der Schweiz gibt es Kostenersatz bei Freispruch. Bei Schuldspruch werden dem Verurteilten aber die Kosten der Staatsanwaltschaft und der Polizei verrechnet. Ich finde das gerecht.
Verurteilte sollen alles zahlen? Wäre das ein Modell für Österreich?
Nein, aber ich sehe ein, dass unsere Regelung auch unzureichend ist.
ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler hat kürzlich ein Zitierverbot aus Strafakten gefordert. Was halten Sie davon?
Das ist völlig absurd. In Deutschland hat es sich nicht bewährt – da umschreiben Journalisten eben, was sie nicht direkt zitieren dürfen.
Das sagen viele Experten. Warum kommt die ÖVP immer wieder mit dieser Idee?
Nach den Skandalereignissen der vergangenen Jahre kann man entweder sagen: Es ist manches schiefgelaufen, das darf nicht wieder passieren. Oder man sorgt dafür, dass solche Dinge nicht mehr an die Öffentlichkeit kommen können. Offenbar nähert man sich der zweiten Variante.
Aber kann es ein Rechtsstaat hinnehmen, dass ständig Inhalte eines geheimen Strafakts in der Zeitung stehen?
Die Akteninhalte kommen ja meistens von Verfahrensbeteiligten. Anwälte sehen es als ihre Pflicht an, in der Öffentlichkeit Pluspunkte für ihre Mandanten zu sammeln.
Zu einem fairen Verfahren gehört eine faire Berichterstattung. Mein Eindruck ist, dass das in Österreich sehr gut funktioniert. Und dabei sollte es auch bleiben.
Wo sehen Sie als ehemaliger Chef-Korruptionsjäger denn dann Probleme?
Bei der Verfahrensdauer. Zwar dauern die „normalen Verfahren“ relativ kurz, aber es gibt diese paar Verfahren, die in der Auslage stehen und die schneller ablaufen könnten. Die Justizministerin hat eine Evaluierung der Großverfahren in Auftrag gegeben, um zu schauen, woran es liegt.
Die Evaluierung dauert jetzt auch schon fast drei Jahre.
Dann fragen Sie bei der Arbeitsgruppe nach, warum das so lange dauert. Aber es ist sicher ein Thema, das allen – zu Recht – im Magen liegt und wo Handlungsbedarf besteht.
Kann die WKStA jetzt in Ruhe arbeiten, da ihre größten Widersacher – Sebastian Kurz, Christian Pilnacek, Johann Fuchs – weg sind?
Ich denke, die Situation hat sich wesentlich verbessert.
Wobei Pilnacek ja nur suspendiert ist. Glauben Sie, er kommt zurück?
Das hängt von der Disziplinarentscheidung (die am Donnerstag fallen könnte, Anm.) ab. Aber ja, es ist vorstellbar.
Kann man von „guter Arbeit“ sprechen, wenn zuletzt Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache zwei Mal freigesprochen wurde und es in der Causa Chorherr elf Freisprüche gab?
Es stimmt, wenn die Behördenleiterin sagt, ein Freispruch ist keine Niederlage, aber im Einzelfall muss man sich immer fragen, ob man einen Fehler gemacht hat.
Sie haben kürzlich in einem Gastkommentar eine „verbesserungswürdige Fehlerkultur“ erwähnt. Was meinen Sie damit?
In der Justiz herrscht wegen der Berichtspflicht an die Oberbehörden eine Kontrollkultur. Besser wäre eine Kultur der Zusammenarbeit und Unterstützung – und zwar dort, wo die Musik spielt: bei den Staatsanwaltschaften erster Instanz.
Die WKStA soll sich also selbst kontrollieren?
Kontrolliert wird sie - wie alle anderen Staatsanwaltschaftenauch - von den Gerichten. Ich wüsste nicht, welche Verfahren durch intensivere Berichtspflichten bei der WKStA effizienter geführt worden wären.
Noch einmal zum Generalstaatsanwalt: Die Vorstellungen von ÖVP und Grünen gehen ziemlich auseinander. Was sagen Sie?
Nehmen wir einmal die Europäische Staatsanwaltschaft als Beispiel. Dem ist ein jahrelanger Beratungsprozess vorangegangen. Österreich und weitere 21 EU-Länder – jedes mit seinem eigenen System – mussten sich zusammenraufen, um etwas Neues zu schaffen. Es war klar, dass es nicht wie in Italien wird, wo die Staatsanwälte völlig unabhängig sind, aber auch nicht so wie bei uns, wo es an der Spitze einen Politiker gibt, der nicht einmal Jurist sein muss. Bei der EuStA gibt es 22 Staatsanwälte, die in Dreierkammern entscheiden. Und: Die Hierarchie ist total flach. Es gibt nur eine Staatsanwaltschaft, keine Oberbehörden, und in Einzelstrafsachen keine Rechenschaft gegenüber dem EU-Parlament. Die Kontrolle findet durch die Gerichte in den einzelnen Ländern statt, wo die Verfahren geführt werden. Die erste Generalstaatsanwältin, Laura Codruța Kövesi, repräsentiert nach außen und erstattet den Parlamenten Bericht. Aber niemand kann sie fragen, was bei einzelnen Verfahren vor sich geht. Warum sollen bei uns andere Grundsätze gelten als diejenigen, denen Österreich bei der EuStA schon zugestimmt hat?
Glauben Sie, ÖVP und Grüne kommen noch auf einen gemeinsamen Nenner?
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