Emotionales Kanzlerstatement: Strategisch geschickt oder ein politischer Fehler?

Emotionales Kanzlerstatement: Strategisch geschickt oder ein politischer Fehler?
Warum es richtig war, in die Offensive zu gehen, welche Fehler Kanzler Nehammer dabei aber gemacht hat, erklären Kathrin Stainer-Hämmerle und Wolfgang Bachmayer.

Schlanke elf Minuten dauerte der Auftritt von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) am gestrigen Montag, als er zu der parlamentarischen Anfrage der SPÖ rund um den Unfall von offenbar alkoholisierten Personenschützern der Kanzlerfamilie Stellung nahm.

"Heute ist eine rote Linie in der politischen Auseinandersetzung massiv überschritten worden", sagte er. Die parlamentarische Anfrage der SPÖ beruhe auf einem anonymen Schreiben, "in dem die Unwahrheit behauptet wird und die Sicherheit meiner Familie massiv gefährdet wird". Und weiter: "Es hat sich etwas massiv verschoben in der Frage des politischen Umgangs miteinander." Er habe es nicht für möglich gehalten, dass das in dieser Form geschehen könne. Wenn die parlamentarische Auseinandersetzung auf Kosten der Sicherheit seiner Familie geführt werde, halte er dies für einen "Tiefpunkt", teilte der Kanzler sichtlich betroffen und empört mit. Den Vorwurf, es sei interveniert worden, um den Vorfall zu vertuschen, nannte er eine "glatte Lüge".

War dieses Statement politstrategisch klug oder doch zu viel Flucht nach vorne? Der KURIER bat Experten und Expertinnen um ihre Einschätzung.

"Zu viel Bedeutung"

Die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle hält es zwar für klug, offensiv zu kommunizieren - "vor allem, wenn es darum geht, Gerüchten entgegenzutreten". Allerdings sei es strategisch nie gut, zu viel Emotion in ein politisches Statement zu legen. Auch gibt Stainer-Hämmerle zu bedenken, dass durch den Kanzler-Auftritt der Causa relativ viel Raum eingeräumt wurde. "Angesichts der aktuellen Themenlage hat man damit der Sache zu viel Bedeutung gegeben", sagt die Politikwissenschafterin.

OGM-Chef Wolfgang Bachmayer hält es prinzipiell für richtig, dass Nehammer in die Offensive gegangen ist - "weil hier wird die Familie hineingezogen". Der Auftritt dürfte auch bei der Bevölkerung positiv ankommen, weil Nehammer bisher recht zurückhaltend agiert und sich nicht auf jedes Scharmützel eingelassen habe, meint Bachmayer: "Daher fällt das nun doppelt auf."

"Wer weiß, was noch auftaucht"

Die "massiv" überschrittene rote Linie, ein "Tiefpunkt in der politischen Auseinandersetzung": Waren Nehammers Ausführungen in dieser Härte denn auch glaubwürdig?

Durchaus, argumentiert Bachmayer: "Er spricht das aus, was sich bereits viele Menschen im Lande denken: unterirdisches Covid-Management, eine lang anhaltende Teuerungswelle baut sich auf, die Zinsen werden bald rasch steigen." Die Menschen würden sich fragen: "Welche weiteren Probleme bringt der Krieg in der Ukraine noch? Haben wir keine anderen Sorgen als das ständige Hickhack, persönliche Fehden, gegenseitige Anzeigen und Vernaderungen?", sagt Bachmayer. Somit sei Nehammers Auftritt im Grunde eine passende Gelegenheit gewesen, auf den Tisch zu hauen. "Aber in einigen Tagen ist das Thema weg und das Hickhack geht woanders weiter", sagt Bachmayer.

Einen Fehler habe Nehammer aber dennoch gemacht, so der Meinungsforscher. Der Kanzler sagte in seiner Rede, es sei eine "glatte Lüge", dass er interveniert habe, um den Vorfall zu vertuschen. "Den Vorwurf der Lüge hätte ich nicht so gebracht. Wer weiß, was dann noch auftaucht", sagt Bachmayer.

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