Corona-Novelle ab Herbst: Der Wirt als "Daten-Sheriff"
Neben dem Desinfektionsspender liegt beim Eingang des Gasthofs von Thomas Mayr-Stockinger ein Zettel: Name, eMail-Adresse und Telefonnummer sollen seine Gäste dort eintragen.
Das Ergebnis am Ende des Tages? „Sehr dürftig.“ Kaum ein Gast gibt freiwillig seine persönlichen Daten her – so die Erfahrung laut dem Gastronom und Obmann seiner Sparte bei der Wirtschaftskammer Oberösterreich. In diesem Bundesland ist die Datenerfassung im Kampf gegen Corona seit Anfang Juli „dringend empfohlen“.
Die Bundesregierung plant nun eine bundesweite Verpflichtung von Betrieben, Vereinen und Veranstaltern, die persönlichen Daten ihrer Besucher, Kunden und Mitarbeiter für 28 Tage zu speichern und den Gesundheitsbehörden zur Verfügung zu stellen. Wenn also ein Gast positiv getestet wird, sollen jene, die mit ihm am Tisch saßen und sich angesteckt haben könnten, rascher ausfindig gemacht werden.
Mayr-Stockinger ist nach den Erfahrungen in Oberösterreich skeptisch, ob so eine Pflicht sinnvoll ist. Und seine Bedenken teilen viele Kollegen. Worum es geht – und wo es haken dürfte:
1. Datenerfassung ist ein zusätzlicher Aufwand
Mayr-Stockinger macht seine Gäste nicht extra auf das Datenblatt aufmerksam. „Es fehlt uns schlicht die Zeit.“ Es sei außerdem nicht notwendig: Ein Wirt kenne seine Stammgäste, und sonst gebe es ja noch Daten von der Reservierung.
So sieht es auch Mario Pulker, Gastro-Obmann bei der Wirtschaftskammer Österreich: „Wir spielen sicher nicht Daten-Sheriff, indem wir unseren Gästen befehlen: Schreiben Sie sich da ein, und zwar leserlich. Die Zeit haben wir im Tagesgeschäft nicht.“
Nun ist ein erwartbarer Reflex, dass sich ein Unternehmer ungern zusätzliche Arbeit aufhalsen lässt. In diesem Fall befürchten die beiden Wirte-Sprecher aber auch, dass der Aufwand umsonst ist. Denn:
2. Gäste können sich weigern, Daten herzugeben
Im Gesetzesentwurf ist nur von einer Verpflichtung der Betriebe die Rede. Sie müssen Daten speichern, in deren Verarbeitung die Gäste „ausdrücklich eingewilligt“ haben.
Heißt: Die Gäste müssen die Daten nicht zur Verfügung stellen, und ihnen kann dann auch nicht der Zutritt verwehrt werden. „Wir haben keine Handhabe. Die Regelung wäre absurd“, sagt Gastro-Sprecher Pulker. Dazu kommt:
3. Die angegebenen Daten müssen nicht stimmen
Der Wirt kann von seinem Gast keinen Ausweis verlangen, sagt Pulker. Ein Gast könnte theoretisch einen Fantasienamen hinschreiben.
In der Schweiz und in Deutschland ist das Datenblatt bereits Pflicht (siehe Artikel unten). Und dort seien erstaunlich viele „Max Mustermanns“ unterwegs, sagt der Gastronom scherzhaft. Aber im Ernst: „Wir lassen uns nicht veralbern. Der Aufwand ist umsonst, wenn nicht gewährleistet werden kann, dass die Daten vollständig und richtig sind.“
4. Datenerfassung könnte Gäste abschrecken
Es gebe gute Gründe, so Mayr-Stockinger, dass die Datenerfassung in Oberösterreich freiwillig ist: „Unsere Gäste sollen sich wohl und sicher fühlen, aber niemand will gläsern sein. Es geht bei solchen Maßnahmen um ein Miteinander.“
Auch Pulker ist dagegen, „Gäste in der Corona-Zeit noch zusätzlich zu verschrecken“. Er hält nichts von der „Zettelwirtschaft“, die der aktuelle Plan von Gesundheitsminister Rudolf Anschober zur Folge haben könnte.
Kein Problem hätte er hingegen mit einer App, die breiter angelegt wäre. Der Gastro-Sprecher der Wirtschaftskammer stellt sich das so vor: „Nur, wer diese App nutzt, darf gewisse Bereiche des öffentlichen Lebens betreten – Gastronomiebetriebe ebenso wie Bus, Bim oder Veranstaltungen.“
Die Regierung will in einer Novelle des Epidemiegesetzes das Contact Tracing verankern. Datenschutz-Experte Max Schrems sieht darin kein Problem – die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erlaubt das im Rahmen der Bekämpfung einer Epidemie sogar explizit. Schrems nennt aber rechtliche Bedingungen:
Konkreter Zweck:
Im Gesetz müsse klar definiert sein, wofür diese Daten verwendet werden, sagt Schrems. Laut vorliegendem Plan muss etwa ein Wirt den Gesundheitsbehörden die Daten seiner Gäste zur Verfügung stellen, wenn bei ihm im Betrieb ein Infektionsfall auftaucht.
Zeitliche Befristung:
Die Betriebe dürfen die Daten laut Gesetzesentwurf nur für 28 Tage speichern, dann müssen sie gelöscht werden. „Speichern“ bedeute nicht, dass der Wirt die handschriftlichen Daten digital erfassen muss, sagt Schrems – er könne auch schlicht die Zettel aufbewahren und später schreddern.
Information an Gäste:
Jeder Gast, der seine Daten hergibt, muss laut DSGVO wissen, was damit passiert. Dazu würde sich ein beigelegtes Info-Blatt eignen, sagt Schrems. Der Datenverarbeitung muss der Gast dann mit seiner Unterschrift zustimmen.
Schutz vor Einblick:
Von einer Liste, in die sich jeder Gast selbst einträgt, rät Schrems ab: So würde ja der eine Gast die Kontaktdaten eines anderen Gastes lesen und fotografieren können. Stattdessen empfiehlt der Datenschützer eine Box, in dem der Gast seinen einzeln ausgefüllten Zettel wirft, oder ein Tablet, in dem er seine Daten eintippt und speichert.
Wie geht’s weiter?
Die Novelle ist noch bis Freitag, 28. August, in Begutachtung. Institutionen, aber auch einzelne Bürger können bis dahin Stellungnahmen abgeben. Der vorliegende Text könnte dann noch ergänzt oder präzisiert werden, heißt es aus dem Ministerium. Etwa die Stelle, in der nur von einem „Aufbewahren“ der Daten für 28 Tage die Rede ist. Wie ein Betreiber an die Daten seiner Kunden kommt, ist noch nicht klar.
Paket kommt im Herbst
Klar ist aber der politische Wille: „Ein effizientes Kontaktpersonen-Management ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung der Ausbreitung des Virus“, erklärte der grüne Minister Anschober jüngst. Und diese Maßnahme soll dabei helfen.
Die Novelle des Covid-19-Gesetzes und des Epidemiegesetzes soll im September im Nationalrat eingebracht werden. Das Paket könnte dann mit Anfang Oktober in Kraft treten. Enthalten sind darin auch die gesetzlichen Grundlagen für die Corona-Ampel in den Bezirken sowie neue Rahmenbedingungen für den Mindestabstand und künftige Ausgangsverbote.
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